Wunschzettel

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OK. Ich gebs zu. Der Holocaustgedenktag ist kein Wunschkonzert. Aber das kann man ja mal kurz ignorieren. Wünschen darf man sich doch immer was, oder?…

Von Ramona Ambs

Wenn ich mir also was wünschen dürfte, zu diesem deutschen „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“,  dann wär das zunächst mal, dass man den Tag so gestaltet, dass wirklich alle mitkriegen, dass es ein Gedenktag ist. Das weiss nämlich fast keiner. Ehrlich. Gehen Sie mal raus und fragen Sie die Leute auf der Straße, ob sie wissen, was am 27. Januar ist. Ich wette, Sie werden nur wenige finden, die wissen, woran an diesem Tag  erinnert werden soll. Und weil das so ist, darf man sich ja vielleicht doch was wünschen zu diesem Tag. Schließlich lässt er -so wie er derzeit ist- viele Wünsche offen…

Deshalb wünsch ich mir was…

Erstens wünsch ich mir, dass man wirklich gedenkt. Dass man sich in jeder Stadt und in jedem Dorf an die Opfer erinnert. Dass man sie nicht vergisst. Dass man zusammen überlegt, wie wunderbar das Leben dieses oder jenes Menschen hätte sein können, wenn die Nazis es nicht ausgelöscht hätten…

Zweitens wünsch ich mir, dass die Damen und Herren Politiker statt feierlichen Absichtserklärungen einfach mal dafür sorgen, dass zum Beispiel Initiativen, die sich gegen Rassismus engagieren, tatsächlich unterstützt werden. Und dass man sie nicht noch durch absurde Extremismusklauseln in ihrer Arbeit behindert. Einfach deshalb, damit das vielzitierte „Nie wieder“ nicht zur hohlen Floskel verkommt, sondern mit aktuellen Inhalten gefüllt wird.

Drittens wünsch ich mir, dass man die neuen Nazis, deren Bekämpfung man immer fordert, zur Abwechslung auch mal wirklich bekämpft. Dazu würde zum Beispiel gehören, dass man die Ermittlungen im Fall der NSU professionell voran treibt. Außerdem würden mich immer noch die konkreten Verstrickungen des Verfassungsschutzes und der vielen V-Leute in die Aktivitäten der NSU interessieren. Transparenz würd ich mir da also noch dazu wünschen…

Und eigentlich lässt sich diese Wunschliste noch beliebig lange fort setzen. Aber das mit dem Wünschen ist so eine Sache. Meist hilft es nichts. Wenn Wünsche Pferde wären, könnten Träumer reiten, lautet ein deutsches Sprichwort.  Aber von deutschen Sprichwörtern sollte man sich das Wünschen und Hoffen nicht verderben lassen. In diesem Sinne hoffe ich, dass sich meine Wünsche erfüllen. Denn Hoffnung ist gerade an einem Holocaustgedenktag nötiger denn je.

7 Kommentare

  1. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Nachdem fast 10 Jahre nach der Proklamation des Gedenktages in der BRD die UNO den 27. Januar „As annual international day of commemoration to honour holocaust victims“ festlegte, ist es müßig, sich noch zu echauffieren über Herzogs Beschluss, jedoch ist es dennoch immer eine gute Gelegenheit, an seinen Versuch zu erinnern, den Artikel 139 GG – der der BRD die Handhabe gibt, den Nazismus und seine erneuten Etablierungsversuche rigoros zu bekämpfen – aus dem Grundgesetz zu streichen. Und bei wem er in die Lehre ging und wer das war.

    Trotzdem wäre es kein Fehler, noch einen weiteren speziellen deutschen Gedenktag, nicht allein, aber auch wegen der unwirtlichen Jahreszeit am 27.01. (in der nur wenige es auf sich nehmen, Aufsehen bewirken sollende, aber leider kaum beachtete – wegen des Wetters – Straßenaktionen zu veranstalten) in der Mitte des Jahres zu begehen.
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    Nämlich den, wie ich ja schon ausführte, „31.Juli: den Tag, an dem Göring 1941 Heydrich beauftragte, die Organisationsdetails zur ‚Endlösung der Judenfrage‘ auszuarbeiten, das würde außerdem viel mehr Zusammenhänge zum Thema eines so bedeutenden Gedenktages „unters Volk bringen“.

  2. Wünsch dir was…
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    Ich tät mir auch was wünschen, nämlich was ich hier seit Jahr und Tag in haGalil mir zum 27.01. immer wieder wünsche: Verlegung des Gedenktages. Grund:
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    http://forum.hagalil.com/cgi-bin/a/show.pl?tpc=8&post=178029#POST178029
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    Leider geht der Link darin, zum Artikel 139 des Grundgesetzes zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus, inzwischen ins Leere – obwohl „das Internet nichts vergisst“ ?
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    Das Gleiche behandelt aber dieser Artikel aus dem „Der Freitag“ an:
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    http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/stumpf-gegen-rechts
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    Es lohnt sich, ihn zu lesen, er fügt sich u.a. in gewisser Hinsicht ein in den jetzigen Beitrag von Robert Schlickewitz „Warum ich … “ und macht klar, wo der „Erfinder“ des Holocaust-Gedenktages, der sich damit einen Namen machte, eigentlich stand.

  3. …und hier kurz das Ergebnis meiner Mittags-Umfrage in der Hamburger Innenstadt… Es ging gar nicht so schlecht aus, wenn man bedenkt, daß z.B. an Unis 1985 66% als „politisch sehr interessierte Studierende“ galten, heute etwa 30%, (Umfrage ist natürlich nicht repräsentativ, auch wenn ich mir vornahm, nicht nach meinem persönlichen Wunsch [„die weiß das bestimmt“], sondern nach Zahl [jede/n 8.] zu fragen.
    Ich rannte in eine Schulklasse, und alle wußten es! Man lernt das also in der Schule. (Heut wird auch der „Bertini-Preis“, mitgestiftet, glaub ich, von Ralph Giordano, verliehen, im Ernst-Deutsch-Theater, und Esther, eine Freundin von mir, die Auschwitz überlebte, wird extra da sein)
    Sonst ging es eher so: „Heut iss Freidach du Pisser, der 27.!“ (eine gewisse Änderung des Verhaltens auf der Straße in die Richtung, wie man in Internetforen, wo man sich nicht sieht, zu reden geruht^^). Aber das war nur einer^^.
    Sonst wußten etwa 5% von etwa 100 Befragten, was heute für ein Tag ist, und was am 27.Januar vor 67 Jahren geschah. Was das heißt? Ich weiß nicht. Immerhin, 5 außer der Schulklasse wußten es. Wir leben seit gut 20 Jahren in einer Gesellschaft, in der es auch die Kultur „cool“ findet,  Engagement „altbacken“ „uncool“ oder „gutmenschenhaft“ zu nennen. Da scheint es mir gar nicht so schlecht, daß Schülerinnen es fast alle wissen, und sonst 5%? Auch Intellektuelle waren meist überfordert.
    Wenn man es nicht schwarz sehen möchte, könnte man sagen, es ist eben die Folge, wenn man Engagement zu lange lächerlich machte. (Ich wette, zum CSD/ Gay Pride könnten weit mehr bei Umfragen was sagen, weil das eben „cooles Engagement“ ist?).
    Und man könnte sagen, daß es zwar trist ist, wie wenige Leute wissen, was am 27.Januar 1945 geschah. Das aber heißt nicht, nur weil man Gedenktage nicht beachtet, die Leute wären automatisch antisemitischer, als sie immer sind. Wer weiß schon, ob Gedenktage, würden sie beachtet, zu weniger Nazis führen würden, oder zu mehr („einmal muß doch Schluß sein“-Gerede)? Meine Urgroßmutter starb 1942 durch die Nazis, ihre Schwester wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Ich erzähl das seit langem niemand mehr in Gesprächen, es führt garantiert nicht dazu, daß Leute sich „Gedanken machen“. Trotzdem ist niemand *deshalb* ein Nazi. Aber es ist eben ein Gedenktag. Man kann nicht so tun, als würden Leute dann nachfühlen, was in Familien war, in denen Menschen in Auschwitz umgebracht wurden. So ist die Welt nicht, schon gar nicht in Zeiten, in denen es cool ist, als weiche Form von Absurdität, nicht existierende Minderheiten („Altlinke“, „Ökos“, „Gutmenschen“) gewinnbringend und wohlfeil niederzumachen. Gut daran ist, wer keine Gedenktage ehrt, ist möglicherweise unsensibel – aber allein deshalb zum Glück weder Nazi noch Sarrazin-Nachbeter. Immerhin.
     

  4. Dear all,

    „… dass man den Tag so gestaltet, dass wirklich alle mitkriegen, dass es ein Gedenktag ist. Das weiss nämlich fast keiner.“

    Dass Frau Ambs damit nur zu sehr recht hat, konnte ich gestern bei einem Abendkonzert feststellen, dass im Rahmen der „Tage Alter Musik 2012“ in Nürnberg stattfand. Programm: Musik deutscher Komponisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kompositionsdaten: 1916 bis 1944. Das waren Lieder und Instrumentalstücke von Musiker, die zum Umkreis der Jugendmusikbewegung gehörten. Dazu fiel dem Moderator dieses Gesprächskonzertes ein zu behaupten, dass Musik aus jener Zeit [meint: die Werke von Komponisten im Deutschland der Nazizeit], die nicht als „entartet“ gebrandmarkt worden sei, mit einem Tabu belegt wäre und deshalb praktisch nicht zur Aufführung komme. Nun werde ich für einen Musikverein einen Bericht über diese Tage Alter Musik verfassen und frage mich jetzt schon, ob ich danach Hausverbot von den Veranstaltern bekomme …

    Joachim

  5. Und genau, was Du sagst, werde ich morgen mal machen. Ich werd in einem einfachen Café sitzen und da schreiben, und bevor das umgebaut wurde („um wettbewerbsfähig zu sein“), saßen da z.B. viele Taxifahrer in ihren Pausen, aus Marokko, Iran, Palästinenser, Deutsche. Jetzt sitzen da fast keine mehr, es ist einheitlicher geworden, wohlhabendere junge Leute sind da, mal sehen, was die sagen, morgen.
    Ich hätte dazu noch den Wunsch, daß nicht viele, die vornerum so freundlich reden, und betonen, gar nicht antisemitisch zu sein, und es auch niemals je waren, seit Sarrazin („man wird doch noch sagen dürfen“; „also ich hab nichts in dem Buch gefunden, was gegen Muslime gerichtet wäre“) einen Haß auf in Deutschland lebende Muslime haben dürften, ohne daß ihnen dann ALLE widersprächen. Aber erstaunlich oft widersprachen dann Leute nicht, auch nicht Intellektuelle in Zeitungen wie jungle world, konkret und anderen. Von den selbstgerechten Leuten von bahamas.org oder Lizas Welt ganz zu schweigen. Es ist unübersichtlicher geworden unter den Hassern und Vereinfachern.
    Es gibt in Deutschland einen sonderbar widerlichen Drang, versteckt die pauschalsten und krudesten Vorurteile zu haben. Manche verkaufen den als Witze, die sie selbst für unglaublich intelligent halten; andere fangen nach ein paar Minuten Gespräch mit ihrem sabbernden Hass an, andere erst, wenn sie besoffen sind.
    Schreib doch demnächst wieder einige Wünsche auf. Niemand weiß, ob es hilft, aber wann hätten solche Wünsche je geschadet?

  6. Ich wünsche mir, dass diese Gedenktage – und nicht nur dieser! – auch bei denen, die wissen, worum es sich handelt, etwas verändern und nicht folgenlos vorübergehen.
    Für die Politiker freilich wünsche ich mir gar nichts mehr, dieser Artikel
    http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/12129
    bestätigt meine Meinung, dass Politiker zu sein kein Beruf ist, sondern ein intellektuelles und moralisches Defizit, eine „déformation professionelle“ gewissermaßen.
     
     

  7. Viele deutsche haben im Mai 1945 gesagt wir sind Besiegt und Besetzt worden !

    Von Befreiung haben die wenigsten gesprochen, siehe Marlene Dietrich die als Verräterin in deutschland galt.

    Meine Mutter hat immer gesagt wie konnte es sein das eine Hälfte der deutschen nach 1945 behaupten konnte sie waren alles Kommunisten und die andere Hälfte wusste angeblich von nichts?

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