Am 5.11.2011 wurde im Kölner Lern- und Gedenkort Jawne auf Einladung des Arbeitskreises Jawne eine Ausstellung des kürzlich verstorbenen jüdischen Malers Wolfgang Hirsch (1924 – 2011) präsentiert. Initiatorin war Tal Kaizman, Mitglied des Arbeitskreises Jawne sowie des Jüdischen Nationalfonds JNF/KKL. Wolfgang Hirsch hatte zu seinem 85. Geburtstag sein malerisches Gesamtwerk dem Jüdischen Nationalfonds zum Geschenk gemacht. Mit dem Erlös seiner Bilder soll im Norden Israels ein Wald gepflanzt werden. 10.000 Bäume sind bereits kultiviert worden…
Wir dokumentieren nachfolgend die von Otto Oetz (Köln) präsentierte Eröffnungsrede. Die Ausstellung ist noch bis zur Finnisage, am Sonntag 4.12.2011 um 17:00 Uhr, zu sehen.
Ort: Lern-und Gedenkort Jawne, Albertusstr. 26 / Erich-Klibansky-Platz, 50667 Köln
Eröffnungsrede von Otto Oetz
„Liebe Anwesende,
Ich habe ein ganz klein wenig Hebräisch gelernt beim Zusammenschieben der kleinen Ansprache, um die ich gebeten wurde, deshalb fange ich noch einmal an und sage:
Bruchím haba’ím
Herzlich willkommen, Chaverim und Chaweroth
Willkommen, liebe Freundinnen und Freunde!
Wir stehen hier in der Jawne vor Bildern des Malers Wolfgang Hirsch: Wer war dieser Wolfgang Hirsch, wie sah er aus?
Beim Recherchieren fand ich wenige Fotos: Das liebste ist mir eines, auf dem er vor seinen Bildern sitzt.
Es zeigt einen freundlichen, zerbrechlich wirkenden alten Herrn. Er schaut in die Kamera und schaut uns an. Ein kluger, wacher Blick. Das Foto findet sich auf dem Internetpokal des Künstlers, einer virtuellen Galerie, die im Jahre 2009 eingerichtet wurde, Wolfgangs Galerie.
Hirsch war deutscher Jude, Emigrant, Überlebender des ungeheuerlichen Mordens, nach Deutschland Zurückgekehrter, Künstler. Dass er nach langer Zeit des Lebens im skandinavischen Exils nach Deutschland „heim“gekehrt sei, möchte ich mit einem kleinen Fragezeichen versehen. Denn wenigstens hatte er noch eine zweite Heimat, auch wenn er dort wohl nie für längere Zeit gelebt hat. Israel. Dass es für ihn Heimat, Heimatland war, dafür steht auch die Ausstellung, die uns hier zusammengeführt hat.
Und damit treten wir aus dem Vergangenen in das Gegenwärtige und können sogar einen Blick in die Zukunft riskieren. Wolfgang Hirsch hat vor zwei Jahren, gegen Ende seines Lebens die von ihm geschaffenen Bilder dem Jüdischen Nationalfonds KKL anvertraut wie einen Schatz. Nicht einen toten, den man in einer Truhe verwahrt, nicht einen musealen, sondern einen höchst lebendigen, aktiven, der Zukunft zugewandten. Jedes Bild, das einen Käufer findet, hilft einem am Anfang kleinen Hain im Norden von Galiläa, nahe der israelisch-libanesischen Grenze zu wachsen, weil aus dem Erlös Baumsetzlinge finanziert werden, damit aus dem Hain ein wirklicher Wald werden solle. Das ist ein Ausdruck von Zärtlichkeit und Liebe eines alten Menschen und Künstlers zum Land Israel. Es ist aber auch ein Ausdruck von Hoffnung und Zuversicht, dass der Boden, auf dem der Wald wächst, eine Zukunft des Friedens habe. Bäume und Wälder brauchen den Frieden, damit sie wachsen können, gegenwärtigen und kommenden Generationen zur Erholung und zum Nutzen.
Einige Stationen seines Lebens: Wolfgang Hisch wurde am 3.7.1924 in Greifswald geboren, im Februar dieses Jahres ist er verstorben. Nach der Trennung der Eltern lebte er mit zwei Geschwistern bei der Mutter in Berlin, der Vater war nach Hamburg gezogen. Wolfgang Hirsch besuchte die Volksschule (Grundschule) in Berlin-Steglitz In dieser Zeit machte er erste, noch kindliche, künstlerische Versuche:
„Es fing damit an, daß ich einfach wie Kinder viel kritzelte und Karikaturen machte, und da ich nicht sehr gesprächig war, hielten mich meine Angehörigen für ein bisschen zurückgeblieben, bis sie dann meine Zeichnungen sahen und merkten, dass ich doch ’ne gewisse Beobachtungsgabe hatte. Das wurde dann auch gefördert“, erzählt er selbst auf seiner Internetseite. Er zeichnet „hauptsächlich Karikaturen der Menschen, die ihn umgeben“, wird berichtet, „was seine frühen Lehrer sehr verärgert. Er erhält dafür so manche Ohrfeige.“ Die Mutter ermutigt das Kind. „Sie arbeitet in einem Büro und bringt richtiges Papier mit, sodass er nicht mehr auf Papiertüten malen muss“ (Eröffnungsrede von Sanna Böswirth zu einer Ausstellung in der Jüdischen Galerie 2009 in Berlin).
1934, als Zehnjähriger also, kommt Wolfgang auf die Mittelschule der Jüdischen Gemeinde in Berlin in der Großen Hamburger Str. 27, in der Spandauer Vorstadt, bzw. im Scheunenviertel, einem Quartier, das seit dem 18. Jahrhundert jüdisch geprägt war. Die Schule hatte 1930 500 Schülerinnen und Schüler, 1934 dann 1000. Die Verdoppelung der Schülerzahl mag damit zusammen hängen, dass jüdische Eltern es vorzogen, ihre Kinder nicht mehr auf ’normale‘ weiterbildende Schulen zu schicken, in denen der Ungeist des Nazisystems um sich griff und Kinder jüdischer Eltern bald nicht mehr zugelassen waren. Das Gebäude steht heute noch ganz in der Nähe des alten jüdischen Friedhofs mit dem Grab des großen aufgeklärten Philosophen Moses Mendelsohn, Freund Lessings und Vorlage für den Nathan in dessen Drama Nathan der Weise und nicht weit von der großen Synagoge in der Oranienburger Straße, die heute wieder ein Zentrum jüdischen Lebens in Berlin ist.
1939 nahm der Fünfzehnjährige an einem Camp teil, das auf ein Leben im damaligen Palästina vorbereite, dem Land der Hoffnung für die in Deutschland und Europa lebenden, von Verfolgung und Völkermord Bedrohten. Warum er anders als sein älterer Bruder Gerhard nicht nach Palästina gelangte, erschließt sich mir nicht. Dieser Bruder diente in den letzten Jahres des zweiten Weltkriegs übrigens in der Jüdischen Brigade, einer widerwillig von den Engländern eingerichteten Truppeneinheit, und dieser kämpfte in Afrika und Italien gegen das nationalsozialistische Deutschland. Nach dem Krieg war er bis zu seinem Tod 1970 beim Theater in Hamburg und in Köln tätig.
Wolfgang selbst kam als Fünfzehnjähriger mit einem Kindertransport der Jugendalija nach Dänemark, während seine Schwester Ruth mit der Mutter nach England gelangte. Ich habe keine Information darüber gefunden, ob sie sich nach dem Krieg noch einmal wiedergesehen haben. Die in Deutschland verbliebenen Verwandten der Mutter sind in den Todesfabriken des NS- Staats ermordet worden.
Wolfgang Hirsch, auf sich alleine gestellt, arbeitete in Dänemark in der Landwirtschaft. Er lebte als ‚Pflegekind‘ bei einer Bauernfamilie. Vielleicht konnte er dort die im erwähnten Camp erlernten Fähigkeiten einsetzen. Auch wollte er seinem Bruder nach Palästina folgen. Daraus wurde dann aber nichts.
1943 gelang es ihm, aus dem besetzten Dänemark nach Schweden zu fliehen, wo er zunächst wieder in der Landwirtschaft tätig war. 1945 wird er erst Modelleur (er hat Keramikfigürchen geformt) in einer Keramikfabrik in Upsala. Später arbeitet er, seiner Begabung näher, im Malersaal dieser Fabrik. 1948 findet er an der Fachhochschule für Kunst und Gewerbe in Stockholm einen Studienplatz in dekorativer Malerei, bzw. Monumentalmalerei. Dort lernt er Wandmalerei al fresco auf Putz, eine Form, wie man heute vielleicht sagen würde, von Kunst am Bau. Das Studium kann er aus wirtschaftlichen Gründen nicht beenden, da er inzwischen – seit 1948 ist er verheiratet – eine kleine Familie mit zwei Kindern zu ernähren hat. Er malt Stadtansichten in Öl auf Leinwand (Sanna ‚Böswirth). So was war damals gefragt. Die Veduten, die er malt, entsprechen aber nicht seinen künstlerischen Ansprüchen.
Er wollte keine gefälligen Bilder malen, „nur“ um damit seine Familie ernähren zu können. Der Beruf des Malers wäre ihm sonst wie jeder andere erschienen; er sollte mehr sein, künstlerischer Ausdruck eben. (Anna Haentjens: Rede zurAusstellungseröffnung in Pinneberg 1994).
„Denn Malen, das ist nicht einfach irgendein Beruf um Geld zu verdienen. Dann kann man auch Heringe verkaufen“, meint er, „oder mit sonst was Geld verdienen. Und man hat ein besseres Gewissen dabei. Aber so hat man immer sein künstlerisches Gewissen, und das ist nicht vereinbar“ (Böswirth).
Er findet eine Arbeit als Zeichenlehrer und Lehrer in Schwedisch für Ausländer an einem Volksbildungsinstitut. Später arbeitet er als Archivar in einem Verlag. 1974 kommt Wolfgang Hirsch nach Deutschland. Seine Frau und die beiden Kinder waren verstorben. Er heiratet die Witwe seines Bruders Gerhard. Das Paar lebt in Pinneberg bei Hamburg. 1978 beginnt Wolfgang wieder zu malen. „Ich hatte immer das Gefühl, da ist noch ein Fünklein unter der Asche, es glimmt noch. Ich hab‘ immer auf den Tag gehofft, dass es wieder anfängt“(Haentjens).
Am Anfang nennt er sein erstes Bild, das er wie folgt beschreibt und interpretiert: „Das sind zwei miese Klötze, die aber was wollen“ (Haentjens). Viele Bilder sind ihm gefolgt. Eine Auswahl dürfen wir heute hier sehen.
Aus Anlass seines 85. Geburtstags schenkt Wolfgang Hirsch im Jahr 2009 einen großen Teil seines Lebenswerks wie erwähnt dem JNF-KKL. Vom Erlös der ersten Ausstellung in der Jüdischen Galerie in Berlin werden 1000 Baumsetzlinge gekauft. Die Ausstellung trägt den Titel: „Farbklang & Innenwelten„.
Am 18. Oktober 2009 wurde der nach Wolfgang Hirschs Großvater genannte David-Heimann-Hain auf einem Hügel bei Kiryat Shamona im ‚hohen‘ Norden Israels eingeweiht. Er ist Teil eines größeren Projekts mit Spendern in aller Welt zur Wiederaufforstung des im Libanon-Krieg entwaldeten Gebiets. David Heimann hatte seit 1904 mit seiner Familie nach Berlin gelebt, wo er sich in der jüdischen Gemeinde engagierte. 1940 versuchte er, nach Palästina auszuwandern. Das Palästina-Amt Berlin schrieb ihm: „Bei der Bearbeitung Ihres Fragebogens stellen wir fest, dass Sie bereits 75 Jahre alt sind. Da erfahrungsgemäß die Strapazen einer derartigen Reise sehr groß sind, können wir es nicht verantworten, Menchen ihres Alters auf diesem Wege zur Alijah zu bringen.“ Am 11. September 1942 wurde er verhaftet und drei Tage später mit dem 62. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert. Dann verliert sich seine Spur.
Zur Einweihung des Hains, der den Namen trägt, konnte Wolfgang Hirsch selbst nicht mehr nach Israel reisen. Er verfasste eine kurze Botschaft:
„Liebe Chaverim und Chaweroth, wenn ich Euch denn so nennen darf als schon früh Aktiver für den KKL damals in den 30er und 40er Jahren in Berlin, Dänemark, Schweden und nun seit 34 Jahren wieder hier in Deutschland. Obwohl es viele Zeiten gab, in denen ich mich weder als Vogel noch als Fisch gefühlt habe, war es mir immer ein Bedürfnis, Bäumchen für Israel spenden zu können. Nun bin ich trotz Hitler und anderem Elend ziemlich alt geworden. 85 Jahre, das ist schon ganz schön. Neben allen anderen Berufen, die ich im Laufe meines Lebens amtlich ausgeübt habe wie Landarbeiter, Fabrikarbeiter, Nachtwächter, Bibliothekar, Student und Verlagsarchivar bin ich ganz persönlich Kunstmaler gewesen und bin es vielleicht immer noch. Wenn auch nicht gerade ein Picasso, so bin ich ein geachtetes und anerkanntes Mitglied in der Zunft. Dass mein künstlerischer Nachlass in irgendeiner Schublade verstauben würde, wollte ich nicht. Dass aus ihnen Bäume in Israel werden könnten, war schon eher nach meinem Geschmack“.
Farbklang und Innenwelten: Werfen wir noch einen Blick auf die Bilder (Aquarelle und Gouachen). Es sind, poetische, leichte, transparente Gebilde, die auf dem Malgrund erscheinen.
Wolfgang Hirsch hat nicht nach Themen gesucht, die es darzustellen galt. Er malte aus innerem Antrieb. Musik war, scheint es, im Entstehungsprozess wichtig. Wenn er malte hörte er gerne Musik: Bach, klassische Musik, Jazz. Rhythmus und Klangfarbe übertrugen sich auf die malerische Komposition. „Nicht das Finden ist das Wichtige, sondern die Suche (danach). Alles andere wäre Stagnation.“ Die Künsterkollegen in Pinneberg haben den ersten Satz in die Anzeige zu seinem Tod gesetzt. Sie haben mit dem Zitat Wesentliches dieser Malerei, dieser Bilder des Künstlers Hirsch erfasst.
Zum Schluss will ich Wolfgang Hirsch selber weiter zu Worte kommen lassen:
„Ein bißchen wie Bleigießen meine Malerei. Etwas Glauben gehört schon dazu. Aus dem scheinbar Hingekritzelten kristallisieren sich Formen heraus, die zwar für den außenstehenden Betrachter rätselhaft und unverständlich sein mögen, mir aber, wie dem Kind, das aus simplen Bauklötzen die merkwürdigsten Dinge entstehen lassen kann, ganz real sind. Die Fähigkeit des Kindes Dinge zu beseelen. Das Gemälde, es blüht wie eine Blume, deren Bestimmung die Verführung ist (d. h. in Bezug der Blume auf die Biene) nämlich sich mit ihr intim und eingehend zu beschäftigen. Wie abstrakt sie auch sind, enthalten alle Bilder (mein Axiom), mehr oder weniger verschlüsselte Botschaften, auch wenn sie gar nichts „Erkennbares“ darstellen…“
Ich gehe nun mal davon aus, dass beim Malen ein psychischer Prozess abläuft, an dem Intellekt, technisches und handwerkliches Können, beobachtend, korrigierend und auch ästhetisierend ständig, Gott gebe es, maßvoll steuernd, beteiligt sind.“
Ich wünsche uns einen anregenden Abend, Freude an den Bildern und der Ausstellung Erfolg, nicht zuletzt auch bei der Suche nach Käufern, damit aus ihnen noch mehr Bäume werden, um eine Formulierung der Jüdischen Allgemeinen Zeit zu varrieren.
Dank an alle, die die Ausstellung vorbereitet und organisiert haben, allen voran Tal Kaizman, die viel Energie, Zeit und Arbeitskraft in sie investiert hat, und allen, die dabei geholfen haben.
Toda Raba, Tal und den anderen, herzlichen Dank
Schalom“
Mehr zu Wolfgang Hirsch:
http://www.w-hirsch.com/
http://www.israeli-art.com/malerei/hirsch.htm