Gefahr eines ethnischen Großraumgettos

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Ein Gespräch mit Samuel Salzborn, Politikwissenschaftler an der Universität Giessen mit dem Schwerpunkt Demokratieforschung, zur aktuellen Lage in Ungarn…

Interview: Magdalena Marsovszky 

Herr Professor Salzborn, Sie haben die Europa weite Aufregung im Zusammenhang mit dem neuen ungarischen Mediengesetz, das ja genau mit dem Tag der Übernahme der EU Ratspräsidentschaft in Kraft trat, mitbekommen. Was halten Sie als Politikwissenschaftler von ihm?

Gerade vor dem Hintergrund der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft muss das neue Mediengesetz als eine katastrophale Entwicklung bezeichnet werden. Das Gesetz hat zwar nur nationale Gültigkeit, ist aber mit wesentlichen europäischen Verfassungsprinzipien unvereinbar und steht im Widerspruch zu den Grundgedanken demokratischer Rechtstaatlichkeit. Ich finde schon bemerkenswert, dass Ungarn einerseits dieses Gesetz in Kraft setzt, wenn der Staat die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, andererseits aber auch erklärt, nach Abgabe der Ratspräsidentschaft Revisionen am Gesetz vornehmen zu wollen. Damit spielt man auf Zeit – und ganz offenkundig ist Ungarn bewusst, dass sein Gesetzeswerk im Widerspruch zu den Rechtsstaatlichkeitsprinzipien der Europäischen Union steht.

Nimmt man den Gesetzestext genauer in den Blick, dann liegen die Probleme auf zwei Ebenen: Einerseits in der Rechtskonstituierung, andererseits in der politischen Praxis des Umgangs mit dem Gesetz. Mir scheint, dass man momentan eher nur die politische Praxis kritisiert, die ohne Zweifel hoch problematisch ist – etwa die Besetzung der neuen Medienbehörde mit rechtskonservativen Mitgliedern oder die personelle Abhängigkeit, die zwischen der Behörde und der ungarischen Regierung besteht. Aber das grundlegendere Problem ist doch der Rechtscharakter, oder besser: Scheincharakter des Mediengesetzes. Denn wenn man es rechtstheoretisch betrachtet, dann handelt es sich dabei überhaupt nicht um ein Gesetz, da es die Anforderungen des Gesetzesbegriffes nicht einmal formal erfüllt, die z.B. in einer Bestimmtheit in der Allgemeinheit oder auch in einer generellen Satzbildung bestehen.

Stattdessen finden wir in dem Mediengesetz eine Fülle von Generalklauseln, die mit außerrechtlichen Kategorien wie den „gute Sitten“ oder ähnlichem arbeiten –  also Dingen, die subjektiv sind und die sich rechtlich nicht definieren lassen, aber damit, erhebt man sie einmal formal in Gesetzesrang, jeder Form von Willkür Tür und Tor öffnen.

Deshalb muss auch infrage gestellt werden, dass es sich bei dem ungarischen Mediengesetz überhaupt um ein demokratisches Gesetzeswerk handelt. Mehr noch: ich plädiere dafür, diese Rechtspolitik als einen fundamentalen antidemokratischen Versuch zu interpretieren, etwas dem Scheincharakter eines Gesetzes zu geben, das ein politisches Herrschaftsinstrument autoritärer Willkür ist.

Der Gesetzesvorschlag wurde ja nicht vom zuständigen Komitee für Kultur und Presse des Ungarischen Parlaments vorgelegt, sondern als parlamentarische Eingabe von drei Abgeordneten – weshalb er nicht den üblichen demokratischen Weg über die Kontrollgremien durchlaufen musste, sondern innerhalb von einigen Tagen verabschiedet werden konnte. Das heißt also auch, dass es nicht nur keinen gesellschaftlichen Konsens über das Mediengesetz gibt, sondern auch keinen Konsens der Fachleute.

Der gesamte Konstituierungsprozess ist ja voll von Ungereimtheiten. Es gibt eine ganze Reihe von Widersprüchlichkeiten, in die sich die ungarische Regierung derzeit auf europäischer Ebene verstrickt, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es sich hier eben doch nicht einfach „nur“ um ein kleines nationales Mediengesetz handelt: denn Ungarn stellt mit diesem Mediengesetz die Geltung demokratischen Rechts in Europa generell in Frage.

Die Entwicklung ist dabei ohne Zweifel eine autoritäre, mit der sich Ungarn antidemokratisch positioniert und eindeutig Kurs nimmt auf ein totalitäres Regime, das den Übergriff auf alle Formen von bürgerlicher Freiheit und demokratische Mitbestimmung vorbereitet. Wir machen also in Europa unter EU-Ratspräsidentschaft von Ungarn einen Entwicklungsprozess durch, bei der es höchst fraglich ist, ob Ungarn unter diesen Vorzeichen überhaupt legitimerweise weiterhin Mitglied der Europäischen Union sein sollte.

 Würden Sie eigentlich das Wort Diktatur benutzen? In Ungarn hört man immer öfter diesen Begriff.

Aus Blickwinkel der vergleichenden Demokratie- und Diktaturforschung ist zunächst einmal festzuhalten, dass Diktaturen zwar oft durch gewalttätige Umbrüche etabliert werden, aber keinesfalls immer – der Prozess kann auch schleichend und langsam vonstatten gehen. Kontextualisiert man das Mediengesetz mit der zunehmenden Ethnisierung der ungarischen Innenpolitik und dem völkischen Umgang mit den so genannten Auslandsungarn, dann zeigen sich hier in der Tat wesentliche Konturen eines autoritären Regimes, das sich in Richtung Diktatur zu entwickeln scheint.

Von Innen bildet sich bereits ziviler Widerstand, aber was sind die Möglichkeiten von Außen, von der EU?

Die Europäische Union reagiert auf diese Entwicklungen, wie sie meistens reagiert: butterweich und viel zu zurückhaltend. Ich habe den Eindruck, dass bei der EU die Brisanz noch nicht angekommen ist. Es wäre an der Zeit, diesen Schmusekurs zu beenden, den die EU gegenüber autoritären Regimen immer wieder einschlägt, wie etwa auch gegenüber dem Iran. Mit Blick auf Ungarn sind harte Positionierungen gefragt und durchaus auch Sanktionen, die ja etwa im ökonomischen Bereich schnell und auch sehr einfach zu realisieren sind. Aber auch politisch muss man natürlich darüber nachdenken, ob Ungarn überhaupt noch die europäischen Grundprinzipien vertritt, ob so ein Land eigentlich die EU als Ratspräsident angemessen vertreten kann oder ob nicht vielmehr sogar die EU-Mitgliedschaft zur Disposition gestellt werden müsste.

Das ist natürlich hart formuliert …

Der Punkt ist der: Wenn ein politisches System sich offen gegen die Grundwerte von Rechtstaatlichkeit und Demokratie stellt und auf dem Weg in eine Diktatur ist, dann kann man – das zeigen alle historischen Beispiele – überhaupt nichts erreichen, wenn man diesem Regime Zugeständnisse macht und es damit quasi noch für seine Haltung „belohnt“. Entscheidend ist doch: der Bruch mit demokratischen Spielregeln und die autoritäre Radikalisierung wird ja von Ungarn betrieben – und nicht von seinen Kritikern.

Das völkische Denken ist ja in Ungarn und in den ehemaligen sozialistischen Ländern sehr verbreitet. Dieser Ethnisierung entspricht auch das neue Staatsbürgerschaftsgesetz, das nach dem „ius sanguinis“ Prinzip besagt: Ungarischer Staatsbürger ist nun mehr, dessen Vorfahr „aus dem historischen Ungarn” stamme.

Die Problematik einer solchen Regelung besteht darin, dass sie in erster Linie als außenpolitisches Instrument eingesetzt werden soll. Das heißt, dass damit Menschen, die seit Jahrzehnten in anderen Staaten leben, dort auch integriert und nicht unbedingt unglücklich sind, plötzlich politisch mobilisiert werden für die Interessen eines anderen Staates, eben denen von Ungarn. Damit werden in den Nachbarstaaten soziale oder politische Konflikte verstärkt oder sogar auch überhaupt erst geschürt. Es gibt eine Reihe von Beispielen, bekanntermaßen vor allem in der deutschen Geschichte, die die Erfolge einer solchen ethnopolitischen Mobilisierung zeigen: ethnische Konflikte heraufzubeschwören, die gar nicht vorhanden waren. Und das führt zu gesellschaftlicher Desintegration und politischer Destabilisierung und bringt die Gefahr des Separatismus und damit des Zerfalls von demokratisch legitimierten politischen Systemen.

Man hört von Ungarn auch immer wieder, dass man für eine kulturelle, bzw. sogar überhaupt für eine Autonomie der magyarischen Minderheiten in den Nachbarländern kämpft. Das heißt, dass die Mitgliedschaft in der EU diese Frage nicht nur nicht relativierte, sondern im Gegenteil, die Frage rückt vielmehr in den Vordergrund. Der gegenwärtige Staatssekretär im Außenministerium und wohl designierter Außenminister Ungarns, Zsolt Németh, sagte vor einem dreiviertel Jahr sogar: „Es gibt kein anderes politisches Ziel, das den Interessen der Auslandsmagyaren in den umliegenden Ländern so eindeutig und klar dienen würde, als die Autonomie“.

Es geschieht selten genug, dass solche völkischen Mythen einmal auf ihren realen Kern hin befragt werden, aber versuchen wir es einmal: Was soll eigentlich der wirkliche Zugewinn durch eine solche Staatsbürgerschaftsregelung sein? Wir haben im europäischen Kontext eine ganze Reihe von Grundfreiheiten realisiert, Grund- und Menschenrechte, nicht zuletzt die Niederlassungsfreiheit. Auf individueller Ebene gewährleistet die EU einen großen Rahmen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Was will man also mehr? Ungarn geht es hier aber offensichtlich nicht um das Individuum, sondern ausschließlich um den Menschen als – halluzinierten – Teil von einer ganz bestimmten kulturellen Gemeinschaft. Die Vorstellung einer kulturellen Gemeinschaft unterscheidet sich von der einer pluralistischen Gesellschaft aber gerade dadurch, dass sie als homogen und letztlich unveränderlich unterstellt wird, wobei das Individuum nichts, das Kollektiv aber alles zählt. Freiheiten werden auf diese Weise suspendiert, der Mensch in ein ethnopolitisches Kollektivgefängnis gesperrt.

Sie sprachen vorhin von Desintegration und Destabilisierung. Was für Gefahren birgt so eine Ideologie, in der der Mensch nicht als Individuum, sondern lediglich als Teil einer ganz bestimmten kulturellen Gemeinschaft gesehen wird?

Die Gefahr besteht in der Schaffung von ethnischen Großraumgettos. Das heißt, dass Menschen, denen eine starre, nicht änderbare ethnische Identität zugeschrieben wird oder die sich selbst eine solche Identität zuschreiben, die Interaktion mit anderen Menschen genommen wird. Im Prinzip handelt es sich um eine Konstellation, die man mit einem Zoo vergleichen könnte: Der Mensch soll dann plötzlich nicht mehr ein gesellschaftliches Wesen sein, das mit anderen interagiert, auf Austausch orientiert ist, den Dialog, aber auch den Konflikt sucht und so im demokratischen Sinn partizipieren möchte. Er wird zu einem Lebewesen gemacht, das von anderen isoliert, abgrenzt und in scheinbar homogenen Einheiten leben soll. Damit wird er jedoch von allen Formen der Partizipationen und Mitbestimmung strukturell ausgeschlossen. Ethnische Identität wird so vom individuellen Angebot zum kollektiven Zwang.

Letztlich zielt darauf auch das neue Mediengesetz, das über einen Umweg dem ungarischen Ideal der Ethnisierung folgt, wenn es von „guten Sitten“ fabuliert. Denn: Was sind gute Sitten? Darauf hat eigentlich jeder, je nach politischer oder religiöser Couleur, eine andere Antwort. Wenn man aber eine solche Generalklausel in das Recht integriert, dann hält sie das Recht für den politischen Raum interpretationsoffen. Somit wird Recht zur Machtfrage: Wer definiert denn, was „gute Sitte“ sind und wer gegen sie verstößt? Wenn der politische Raum ethnisiert ist, dann ist klar, dass nach den Vorstellungen einer homogenen, widerspruchsfreien, letztlich autoritären Gesellschaft nur das als den „guten Sitten“ folgend gelten kann, was genau diesen ethnischen Kriterien entspricht. So könnte zum Beispiel bereits die Berichterstattung über eine völkische Abschiebepolitik als Verstoß gegen die „guten Sitten“ ausgelegt werden – was letztlich der Presse jede Form von Berichterstattung unmöglich macht, da sie potenziell unter drakonische Strafe gestellt wird.

Hängt damit die Radikalisierung der Gesellschaft zusammen?

Die Gefahr einer gesellschaftlichen Radikalisierung deutet sich an den Stellen an, an denen sich Menschen solchen völkischen Ordnungsprinzipien unterwerfen. Allerdings ist das durchaus ein offener Prozess, und man muss mit Blick auf die innenpolitischen Proteste in Ungarn sagen, dass es auch deutlich positive Signale gibt. Es zeigt sich, dass es offenkundig auch eine erhebliche Anzahl von Menschen gibt, die nicht bereit sind, sich diesen Prozessen von Ethnisierungen und Homogenisierungen zu unterwerfen. Genau die – und darin liegt nicht zuletzt auch eine Herausforderung für die EU – gilt es im politischen Prozess zu stärken, wenn man das Recht auf Mitbestimmung und Partizipation, auf demokratische Kontrolle nicht einfach daherschenken möchte, sondern sie für grundlegende Fundamente des menschlichen Zusammenlebens auch im beginnenden 21. Jahrhundert hält.

Herr Professor Salzborn, vielen Dank für dieses Gespräch.

10 Kommentare

  1. Jane, das Thema hier ist Ungarn und nicht Israel. Es gibt kein Vergleich zwischen den beiden, ausser an den Haaren herbeigezogen von Ihnen.
    Also wir haben in Ungarn ein Land der EU, in dem eine Partei 2/3 Mehrheit im Parlament hat und nun sich anschickt, diesen Staat in einen autoritären Staat umzuwandeln.
    Ungarn lebt mit Ausnahme der Revolution 1956 seit 1945 in Frieden. Alle Nachbarn erkennen es an.
    Was hat das mit der Wirklichkeit Israels zu tun? Versucht die israelische Regierung die Meinungsfreiheit in Israel zu beschränken mit einer Zensurbehörde wie in Ungarn? nein
    Hat die israelische Regierung die Kompetenzen eines hohen Gerichts eingeschränkt wie in Ungarn? nein
    Hat die israelische Regierung ein Gesetz erlassen, wonach jeder Staatsangestellte ohne Angabe von Gründen entlassen werden kann? nein
    Aber machen Sie nur so fort, erklären Sie uns, dass wir doch wenn wir über Ungarn sprechen gleich auch über Israel diskutieren sollten.
    Im Umkehrschluss würde das nämlich bedeuten, wir müßten bei jeder Diskussion über Israel-Palästinenser über Ungarn sprechen.
     Was natürlich Unsinn ist, aber der Logik von Jane entspricht. Und Ihr Israelbashing ähnelt dem der nationalsozialistischen Jobbik Partei.

  2. Kleine Korrektur
    – meine Ansichten und auch meine vorherigen Darlegungen zu Ungarn, sowie die Darlegungen zu potentiell sich bildenden ethnischen Getthos in Ungarn, insofern die Nationalisten so weiter machen könnten, entsprechen nicht der Darlegungen der Interviewerin, sondern den Antworten des Professor Samuel Salzborns.

  3. Auch wenn es nicht in Ihr Freund/Feind Schema passt Herr Pfeiffer – ich bin 100%ig der Ansicht der Autorin – nicht nur dass, die Schlussfolgerungen, welche Sie nahe legt um dem Erfolg der nationalistischen Kräfte entgegen zu treten, entsprechen exaxt dem, was ich bereits selbst in einem anderen Thread gesagt hatte, Ihre beleidigende Zuordnung geht daher vollkommen ins Leere.

    So und jetzt noch mal zum durchaus sinnvollen Vergleich Ungarn/Israel:

    “Die Gefahr besteht in der Schaffung von ethnischen Großraumgettos. Das heißt, dass Menschen, denen eine starre, nicht änderbare ethnische Identität zugeschrieben wird oder die sich selbst eine solche Identität zuschreiben, die Interaktion mit anderen Menschen genommen wird. “

    MM zu Ungarn

     
    Sie, Herr Pfeifer, empören sich zu Recht über solche Bestrebungen der nationalistischen Partei in Ungarn und in Israel verteidigen Sie eine solche, wo die Schaffung solch ethnischer Ghettos längst und über jahrzehnte Gestalt angenommen hat und gleichen dann den von Ihnen in Ungarn kritisierten Jobbik-Vertretern selber aufs Haar:
     
    “Die meisten Angehörigen der arabischen Minderheit fühlten sich nicht als Teil des israelischen Staats, sagt die Palästinenserin Lobna Agbaria gegenüber swissinfo.ch. „Die arabischen Christen und Muslime leben in den Städten von den Juden getrennt, so in der Schule, an der Uni oder in der Freizeit „, sagt die 23-jährige Rechts- und Wirtschaftsstudentin.

    Für das Projekt „Breaking the Ice“ (Das Eis brechen) wählte Coexistences den Mont Blanc in FrankreichM insbesondere wegen seiner starken symbolischen Ausstrahlung. Eine Ausstrahlung, die auch dafür stehen soll, dass Friede im Nahen Osten möglich ist.

    ..Er habe zwar viele Araber gekannt, aber nie eine engere Freundschaft zu einem Araber gehabt, sagt der 29-jährige Tomer Ketter.

    „Das Projekt veränderte meine politische Einstellung. Jetzt, wo ich arabische Freunde habe, eröffnet sich mir eine neue Welt“, so der Geophysikstudent.

    Viele Juden und Araber würden wie er denken, getrauten sich aber nicht, dies zu sagen. „Es ist viel einfacher, mit lauter Stimme aufzubegehren“. Das grösste Problem sei, dass die Presse kleinen extremistischen Gruppen viel, den Stimmen aus der Mitte jedoch keinen Platz einräume.

    http://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/Juden_und_Araber_brechen_das_Eis_auf_dem_Berg.html?cid=21522674

  4. Jane hat nur ein Thema, sie hat nur die Fliege im Sinn, Über den Elefanten kann sie nur sagen, der hat eine Fliege am Rüssel. Doch hier sollten Sie nicht ihre Mantra über die Fliege ablassen. Denn ihre Argumentation über Israel gleicht fast wortwörtlich der Argumentation den die schlimmsten ungarischen Nationalsozialisten von sich geben.
    Jane ist also in guter Gesellschaft. Kein Zufall, dass die antisemitische Jobbik Hetzerin Krisztina Morvai, die auch im EU-Parlament als Abgeordnete sitzt, von der Palästina-Solidarität vor nicht allzulanger Zeit nach London zu einer Konferenz eingeladen wurde. Erst nachdem ein Labourabgeordneter drohte nicht zur Konferenz zu kommen, wurde sie ausgeladen.

    Jane bei Jobbik, die Plakate gegen den israelischen Präsidenten Peres gedruckt haben, würden Sie sich wohl fühlen. Auch bei den Veranstaltungen der Morvai, die verspricht das Ungarn nicht Palästina wird.

  5. “Mit Blick auf Ungarn sind harte Positionierungen gefragt und durchaus auch Sanktionen, die ja etwa im ökonomischen Bereich schnell und auch sehr einfach zu realisieren sind. Aber auch politisch muss man natürlich darüber nachdenken, ob Ungarn überhaupt noch die europäischen Grundprinzipien vertritt…

    Der Punkt ist der: Wenn ein politisches System sich offen gegen die Grundwerte von Rechtstaatlichkeit und Demokratie stellt und auf dem Weg in eine Diktatur ist, dann kann man – das zeigen alle historischen Beispiele – überhaupt nichts erreichen, wenn man diesem Regime Zugeständnisse macht und es damit quasi noch für seine Haltung „belohnt“. Entscheidend ist doch: der Bruch mit demokratischen Spielregeln und die autoritäre Radikalisierung wird ja von Ungarn betrieben – und nicht von seinen Kritikern“
     
    Magdalena Marsovzky beschreibt hier sehr klarsichtig die Situation (und das entspricht so ziemlich genau dem, was ich in einem meiner Beiträge über Ungarn auch schon formulierte) und fordert in meinen Augen auch absolut klarsichtig, dass die Missachtung demokratischer Grundwerte durch eine machthabende Partei in einem Mitglied der EU so nicht hinnehmbar ist und mit Konsequenzen konfrontiert werden MUSS.
     
    Alles andere arbeitet der Entdemokratisierung zu, zum Leidwesen nicht weniger Ungarn und seiner Minderheiten ohnehin, da bin ich mir sicher.
     
    Ich sags noch mal, die Entwicklung hat nicht wenig Parallelen mit der Entwicklung in Israel, dass sich ebenfalls seit langer Zeit in nationalistisch-chauvinistischer Manier über Rechtsnormen des Völkerrechts hinwegsetzt und zunehmend auch in der Innenpolitik mehr und mehr eine völkische Denke an den Tag legt, die mehr und mehr nach Wegen sucht, Opposition zu delegitimieren und Minderheiten mehr noch als bisher, auszugrenzen.
     
    Im Grund genommen gibt es klare Richtlinien, die in beiden Fällen verletzt werden und juristische Grundlagen, die eben auch im politischen Diskurs nicht ausgeblendet werden dürfen, denn dann nehemen freiheitliche Werte und die Völkergemeinschaft als Ganzes schweren Schaden.
     
    Die Ungarn können wählen wen sie wollen, aber insofern sie Mitglied der EU sind, sind sie auch an dessen Grundwerte gebunden.
     
    Israel ist politisch eng im westlichen Bündnis eingebunden und der Westen sollte sich nicht scheuen klar zu formulieren, insofern es auf dieses Bündnis wert legt, bestimmte Verletzungen des Internationalen Rechts eben nicht hinnehmbar sind. Im Prinzip geschieht dies auch schon lange – es hat aber nie irgendwelche Konsequenzen (außer dass eine geplante Einbindung in die EU still und leise bis auf Weiteres auf Eis gelegt wurde)
     
    Magdalena Marsovzky legt klar dar, wie wichtig auch für die Menschen im Land eine klare kompromisslose Haltung der Internationalen Gemeinschaft ein konstruktiver Beitrag gegen die Erosion von demokratischen Werten und Rechtsstaatlichkeit, vonnöten ist, um einer solchen Entwicklung nicht durch Gleichgültigkeit, fehlgeleitete Sympathie oder auch einfach Bequemlichkeit noch Vorschub zu leisten.
     
    In puncto Israel ist dies leider über zig Jahre geschehen. Eine Mehrheit der Israelis war über lange Zeit tatsächlich ja nicht so chauvinistisch eingestellt, wie es heute anscheinend der Fall ist und hat sich allzu lange über die Motivationen ihrer eigenen Führung hinweggetäuscht. Die laxe Haltung der internationalen Gemeinschaft und vermutlich der Wunsch nach Konsens im eigenen Land hat der Entwicklung Vorschub geleistet auch wenn sie vermutlich von einer Mehrheit der Israelis so tatsächlich nie intendiert war.
     
    Zeitige klare Ansagen der Internationalen Gemeinschaft, bzw. Konsequenzen für die Missachtung von UNO-Resolutionen, wären auch hier hilfreich gewesen, um diesen Prozess nicht in der Sackgasse landen zu lassen, auch mit allen unerfreulichen Belastungen für das westlich/arabische Verhältnis, wo er heute angelangt ist.
     
    Ungarn und auch Israel haben das Recht innerhalb ihrer Grenzen zu machen was sie wollen, aber Ungarn muss begreifen, dass diese Entwicklung mit der Mitgliedschaft in der EU nicht vereinbar ist und ich habe keinen Zweifel, dass dies in Ungarn zu einem konstruktiven Lernprozess führen wird.
     
    Und in Sachen Israel wäre eine frühe konsequente Haltung ebenfalls dazu beigetragen, die Situation zu befrieden – auch im Interesse vieler Israelis, wenn auch nicht jener, die sich ein Groß-Israel wünschen. Aber Umfagen über lange Zeit, zeigten ja recht deutlich, dass eine Mehrheit der Israelis das auch nicht wünschten – und dennoch hat jede israelische Regierung den Siedlungsbau weitgehend unwidersprochen weiter voran getrieben und dennoch genoss der Siedlungsbau zu jeder Zeit in klarer Missachtung internationalen Rechts und sämtlicher UNO-Resolutionen anscheinend Narrenfreiheit.
     
    Nachsicht kann eben mitunter destruktiv sein.

  6. Ausgezeichneter Beitrag. Der ungarische Soziologe István Bibó, schrieb 1942 eine Arbeit über die „Deutsche Hysterie“, würde er heute leben, müsste er über die ungarische Hysterie schreiben. Die ist zwar in ihrer Virulenz nicht gleichzusetzen mit der deutschen Hysterie von 1938, aber vieles, sehr vieles ist ähnlich.
    Empfehlenswert dazu noch
    http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article12272950/Nestbeschmutzer-im-Wald-verscharren.html
    und
    http://www.welt.de/kultur/article12128948/In-Ungarn-ist-auch-die-Freiheit-des-Geistes-bedroht.html

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