Ab morgen ist Ungarns gesamte Kommunikation unter Kontrolle…
Von Magdalena Marsovszky
Nun ist das neue Mediengesetz unterschrieben. Es gilt ab dem Tag, an dem es im offiziellen „Ungarischen Mittelungsblatt“ erscheint. Viele haben gehofft, dass es Ungarns neuer Staatspräsident, Pál Schmitt, seit Juni 2010 im Amt, im letzten Moment dem Parlament zurückschickt. Denn der internationale Protest war nach dem 20. Dezember, dem Tag, als es vom Parlament verabschiedet worden war, so groß wie vielleicht noch nie in der Geschichte Ungarns. Es verging seitdem kein Tag ohne die Kommentare maßgeblicher Berichterstatter. Doch nicht nur die Medien haben die ungarische Regierung und speziell Ministerpräsident Viktor Orbán aufgefordert, das Gesetz noch einmal umzuarbeiten. Selbst aus den eigenen Reihen, nämlich von Wilfried Martens, dem Präsidenten der Europäischen Volkspartei, deren Vizepräsident Orbán ist, kam ein Brief mit der vorsichtig formulierten Hoffnung, das neue Mediengesetz mit den europäischen Normen im Einklang in die Praxis umzusetzen.
Weniger zimperlich formulierten andere Organe und Parteien. In einem Kommentar der ARD wurde von der Beschneidung der Pressefreiheit gesprochen, Der Spiegel schrieb von Ungarns Knebelgesetz, das Europa spalte, The Washington Post von der „Putinisierung Ungarns“, The Times und die Daily Mail berichteten von einem Stil im Umgang mit den Medien wie bei den Kommunisten, die ZDF zitierte den ungarischen Schriftsteller György Konrád, der die Gleichschaltung der Medien mit der im NS-Regime verglich, der Standard um nur einige zu nennen. PolitikerInnen versuchten zu intervenieren, so äußerte z.B. Neelie Kroes, die im Europarat auch für die Pressefreiheit zuständige Vizepräsidentin in ihrem Brief an den stellvertretenden Ministerpräsidenten, Tibor Navracsics ihre Befürchtung, dass die Medienfreiheit in Gefahr geraten könnte, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin nannte das Mediengesetz einen Angriff auf den Rechtsstaat und schlug vor, darüber nachzudenken, ob Ungarn unter diesen Umständen die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union für das nächste halbe Jahr übernehmen kann, der bundesdeutsche Außenminister, Guido Westerwelle telefonierte diesbezüglich direkt mit dem ungarischen Außenminister, János Martonyi, der Aussenminister Luxemburgs, Jean Asselborn forderte vom Europarat sich gegen das neue Mediengesetz einzusetzen, und selbst die bundesdeutsche Kanzlerin, Angela Merkel warnte davor, auf dem Boden der Rechtstaatlichkeit zu bleiben. Doch nichts half.
Viktor Orbán zeigte sich unbeeindruckt von der internationalen Welle der Empörung und meinte, man denke nicht im Traum daran, das Gesetz zu ändern. Das westliche Echo interessiere ihn nicht, er sei nicht geneigt, darauf mit zitternden Knien zu reagieren und im Übrigen „was die arme deutsche Bundeskanzlerin betrifft, so ist sie da hereingezogen worden“, sagte er. Das Gesetz entspreche den europäischen Normen. Was das allerdings heißt, führte er nicht aus. Ob Orbán das Wesen des europäischen Gedankens verstehe bezweifelte allerdings der Politikwissenschaftler und Osteuropaexperte Kai Olaf Lang in der ARD. Diesem Zweifel ist durchaus zuzustimmen.
Dennoch übernimmt allem Anschein nach die ungarische – antidemokratische – Regierung ab dem 1. Januar 2011 die Ratspräsidentschaft der „Europäischen Union“, während das 11 Tage zuvor verabschiedetes Mediengesetz die Pressefreiheit faktisch abschaffen wird.
„Erstmals in der 60-jährigen Geschichte der EG/EU steht am Anfang einer Ratspräsidentschaft ein Rechtsbruch: Die christdemokratisch-konservative Regierung von Viktor Orbán hat im ungarischen Parlament ein Mediengesetz verabschieden lassen, welches die Pressefreiheit vom 1. Januar 2011 an faktisch abschafft. Nach der Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien 2010 werden jetzt auch die Privaten einer strikten staatlichen Kontrolle unterstellt“, konstatierte Axel Schäfer, der als EU-Parlamentarier in den 1990er Jahren Sprecher der Fraktion der „Sozialdemokratischen Partei Europas“ im „Europäischen Parlament“ war und seit 2005 Sprecher der SPD-Fraktionsarbeitsgruppe „Angelegenheiten der Europäischen Union“ im „Deutschen Bundestag“ ist. Und da die „Fidesz-Bürgerunion“ (Fidesz-MPSZ) zur Christdemokratischen Parteifamilie in Europa, der „Europäischen Volkspartei“ (EVP), gehört, fordert Schäfer Angela Merkel, José Manuel Durão Barroso und Herman Van Rompuy auf, als politische Führung der EU ihre Verantwortung wahrzunehmen. Ihr langes Schweigen und vor allem die Erklärung Van Rompuys vom 20. Dezember 2010, er werde aus Budapest „mit einem ausgezeichneten Eindruck nach Brüssel zurückkehren“, werfe die Frage nach der „politischen Kumpanei unter den Mitte-Rechts-Parteien“ auf.
Da die Regierungskoalition von Viktor Orbán über eine Zweidrittel Mehrheit verfügt, verklangen auch die wenigen Gegenstimmen der linken Opposition beinahe ungehört. Linksliberale sind in der Tat seit vielen Jahren verbittert darüber, mit welchem Rückenwind die EVP und die bürgerlichen Stiftungen in Ungarn zum Rechtschub assistieren. Diese neue Norm, die die OSZE Beauftragte Dunja Milatovic unlängst mit Gesetzen von totalitären Regimen wie Kasachstan verglich, ist das Ergebnis eines stetigen und andauernden Rechtsrucks in Ungarn.
Bereits kurz nach Regierungsantritt von Orbán im April 2010 wurden die ungarische Nachrichtenagentur „Magyar Távirati Iroda” (MTI) zusammen mit den drei öffentlich-rechtlichen Medien, dem ungarischen Radio, dem ungarischen Fernsehen und dem Duna Fernsehen (für die Auslandsmagyaren) zusammengelegt und in einer neuen Stiftung direkt dem Parlament unterstellt. Die Spitze der Stiftung wurde mit einem Fidesz-Mitglied besetzt.
Die nun durch das neue Mediengesetz geschaffene „Nationale Medien- und Nachrichtenbehörde (NMHH) soll nun die privaten Medien an die ‚Kette der Regierung legen’. Erste Präsidentin wurde die Parteifreundin Annamaria Szalai, eine frühere Chefredakteurin der Sexillustrierten „Miami Press“.
Die Medienbehörde soll überwachen, dass die Berichterstattung „vielseitig, zeitgemäß, faktisch, objektiv und ausgeglichen“ ist. Doch das sind alles unbestimmte Rechtsbegriffe, die bereits im alten Mediengesetz schwer auszulegen waren. Unter der neuen Konstellation lädt die Formulierung zur willkürlichen Anwendung ein. Die Behörde soll ferner den Schutz von Personen, Nationen, Ethnien oder Minderheiten gewährleisten – doch ist auch diese Formulierung im Gesetz so weit gefasst, dass beispielsweise ein Regierungskritisches Medium schon gegen diese Bestimmung verstossen könnte. Da die Regierung aber die Leitung der neuen Medienbehörde ernennt und in der Vergangenheit bereits den Medienrat und andere wichtigen Positionen mit Parteigetreuen besetzt hat, liegt die Vermutung mehr als nahe, dass die Behörde als verlängerter Arm der Regierung fungieren soll. Und damit daran auch nach einer etwaigen Abwahl so schnell nichts verändern werden kann, wurden die Präsidentin und die MitarbeiterInnen auf den wichtigsten Posten für neun Jahre ernannt.
Am Einschneidensten ist, kritisieren Medienrechtler, dass mit dem neuen Mediengesetz, nicht nur wie bisher die öffentlich-rechtlichen Medien, sondern auch die private Presse und die online-Textportale vom Staat kontrolliert würden. Seit dem die Zensur des Realsozialismus abgeschafft worden war, ist die neue Behörde die erste, bei der wieder alles unter einer Kontrollinstanz gebündelt wird. Kritiker betonen, dass das offensichtliche Ziel des Gesetzes die Beschneidung der Pressefreiheit, die Machtsicherung der Behörde und die Verschleierung von Pflichten ist. Passend dazu ist die ungarische Nachrichtenagentur „Magyar Távirati Iroda“ (MTI) zum zentralen Nachrichtenlieferanten ernannt worden. Ihre Leistungen sind unentgeltlich und werden staatlich subventioniert. Andere Nachrichtendienste werden damit benachteiligt. Unabhängige ausländische Medienbeobachter betonen jüngst, dass MTI die Nachrichten in Sinne der Regierung verfälsche, so würde beispielsweise die internationale Kritik am neuen Mediengesetz zu einem großen Teil verschwiegen.
Während dessen rüsten sich die Medien und die Journalisten in Ungarn auf die Zeit einer neuen Diktatur. Der Journalist Iván Andrassew schrieb vor Kurzem in seinem Kommentar „Bevor ich anfange zu lügen“, das er im ebenfalls Existenz gefährdeten Klubrádió vorlas, Folgendes:
„Es sieht so aus, dass dies die letzte Sendung vor der Verabschiedung des neuen Mediendings ist; nun gut, nennen wir es jetzt – in Ermangelung eines besseren Ausdrucks – „Mediengesetz“. Es ist mir das letzte Mal möglich, frei und ohne Selbstdisziplin zu Ihnen zu sprechen. Demnächst werde ich mich wohl zurückhalten, weil ich der Gemeinschaft, der Redaktion und dem Medium, für das ich schreibe, spreche und redigiere, keinen Ärger bereiten möchte. Ich werde mich auch dann zurückhalten, wenn nicht nur Sie mich ermuntern, mich keine Sekunde zurückzuhalten, sondern auch meine Redaktionskollegen. Anfangs werde ich mich dafür schämen und mein Gewissen mit verschiedenen Erklärungen beruhigen: weil mir ein Gesetz im Rücken sitzt, in dem irgendwas steht, das schemenhaft formuliert ist, damit keiner weiß, was er sagen darf und was nicht. Also sage ich lieber nichts, denn selbst ein einziger Satz kann Millionen kosten. Vielleicht gerade so viel, wie Sie großzügigerweise gespendet haben, damit dieses Radio weiterarbeiten kann.
Natürlich werde ich, schlauer Fuchs, all meine Sprachfertigkeiten einsetzen und durch die Blume zu Ihnen sprechen; in diesem Blumenstrauß wird zwar meine Meinung und die Wahrheit enthalten sein, diese werden Sie aber nur mit einiger Anstrengung verstehen.
Man muss dann sehr aufmerksam sein, meinen Kommentar vielleicht im Internet noch einmal nachhören, damit die feinen Anspielungen verständlich werden. Praktische Erfahrung besitze ich genug, war ich ja schließlich bereits vor der Wende Journalist. Heute hilft mir die Technik, in erster Linie das Internet, von dem wir damals nicht einmal zu träumen wagten.
Bleibt nur noch die Frage, ob Sie bereit sind, am Samstagnachmittag oder am Sonntagvormittag den Schneebesen beiseite zu legen, das Auto anzuhalten oder aber Ihre Arbeit im Garten oder das Putzen in der Wohnung für die paar Minuten zu unterbrechen, wenn ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit bitte. Es kann sein, dass Sie sagen, ich höre diesem feigen Mann nicht mehr zu, dem Mann, der immer an der Sache vorbeiredet, sondern schalte auf einen Musiksender um, z.B. aufs Petöfi-Radio. Zugegeben, dieses hat einen Chefredakteur, der Mitglied des Motorradfahrerclubs Goj Motorosok (Nichtjüdische Motorradfahrer) ist, aber ich werde wenigstens nicht mit unverständlichen Begriffen genervt, denkt sich dann wohl der eine oder andere.
Wenn Sie mir dann Briefe schreiben, erkläre ich Ihnen, dass nicht ich feige bin, nicht ich habe Angst. Ich habe nicht Angst um mich, sondern um andere. Um andere, denn ich bin tapfer, gehorche aber auch einer Moral, und jeder der tapfer und moralisch ist, denkt immer an andere.
Es wird nur einige Monate dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe, eine raffinierte Rhetorik anwende und nicht einmal zufällig die Wahrheit ausspreche. Die Wahrheit, von der ich denke, dass sie eine ist. Hoffentlich werden wir nie so weit kommen, dass das Klubrádió nicht mehr ein Sender der „Fakten und Meinungen“ ist. Denn aus der Nähe der Fakten werden wir von einer zentralisierten Medienmacht verbannt und von den Meinungen bleiben nur noch Anspielungen übrig. Nur Stimmen. Wörter. Sätze ohne Gewicht und Mark. Ein Walzer der Gedanken für leere Stunden.
Mag sein, dass Sie mitspielen. Mag sein, dass wir die Jagd nach Hintergründigem, den Tanz der Meinungen und das leere Gelaber sogar spannend finden.
Aber ich werde mich schämen. Und auch Sie werden sich schämen. Weil ich lüge und Sie meine Komplizen sind. Weil wir in einem solchen Land leben. In dem der Kampf ums Wesentliche selbst dem Tapfersten das Rückgrat bricht. Bei manchen einmal, bei anderen zweimal oder hundertmal. Wenn die neue Mediengesetzgebung trotz aller Warnungen und trotz des weltweiten Aufschreis wirklich in die Tat umgesetzt wird, dann werden wir uns, gezwungenermaßen zwar, aber dennoch einer albernen, dunklen Kraft beugen, was nicht nur ekelerregend, sondern auch traurig ist. Denn diese Kraft weiß nicht, was sie tut. Doch wir können den Menschen hinter der Kraft nicht mehr verzeihen, nur weil sie nicht wissen, was sie tun.“
Die Medienbehörde und die Regierung betonen immer wieder, dass das neue Mediengesetz deshalb wichtig sei, weil mit seiner Hilfe gegen rechtsradikale Internetportale wie beispielsweise „Kurucinfo“ vorgegangen werden könnte. Doch diese Seite liegt auf einem ausländischen Server und bleibt vom neuen Gesetz unberührt. Zudem ist anzunehmen, dass die Regierung von Viktor Orbán eher gegen kritische, linksliberale Medien vorgehen wird als gegen rechtes Gedankengut – eine nicht unbegründete Vermutung: Vor kurzem wurde Gergely Koltay zum Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen „Petöfi Rádió“ ernannt. Koltay ist Mitglied der antisemitischen Motorradclubs „Goj Motorosok“ – „goj“ ist hebräisch und eine Bezeichnung für Nichtjuden.
Nun ist in den letzten zwei Wochen auch die linksliberale Presse aus Ungarn „ausgewandert“ und befindet sich als Samisdat ebenfalls auf ausländischen Portalen, wie http://szamiszdat.com, und die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Sozialistischen Partei MSZP, Ildikó Lendvai möchte, dass man das Radio Freies Europa in Ungarn wieder hören möge.
Mein Dank an Ungarnexperte Janosz Malterik, der mir sein Manuskript zur Verfügung stellte. Sein diesbezüglicher Artikel erscheint in der nächste Ausgabe des Heftes Der Rechte Rand, Ausgabe 128, Januar/Februar 2011, Seite 26 (www.der-rechte-rand.de).
Der Artikel von Herrn Pfeifer auch bei haGalil:
http://test.hagalil.com/2011/01/03/censorship/
Wie die Zensurbehörde vorgeht wurde von mir geschildert auf:
http://propagandistmag.com/2011/01/01/censorship-hungary
und
http://hurryupharry.org/2011/01/03/censorship-in-hungary/
Â
[…] Ungarn, Medien […]
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