Am 8. Juli 1935 – vor 75 Jahren – wurden alle Juden vom Studium an den deutschen Universitäten ausgeschlossen…
Von Heiner Lichtenstein
In diesem Herbst dürfte vielerorts an den Nürnberger Parteitag vom 10. bis zum 16. September 1935 erinnert werden. Älteren mag möglicherweise die Stimme von Hermann Göring in Erinnerung sein. Er verkündete die neuen, die „Nürnberger Gesetze“, die allesamt mit den zwei Worten endeten „… sind verboten“, die der Reichstagspräsident mehr bellend als in normaler Sprache verkündete.
Diese Gesetze, durch die jüdisches Leben in Deutschland schließlich endete, standen allerdings nicht für sich allein. Sie hatten sowohl Vorläufer als auch Folgen, die damals kaum jemand abzusehen vermochte.
Zu diesen Vorläufern gehört der „Arier-Nachweis“ für alle Studenten, die Mitglied der „Reichsschaft der Studierenden“ werden wollten. Diese Mitgliedschaft war Voraussetzung dafür, an einer deutschen Universität studieren zu können. Kürzer formuliert darf man folglich sagen: Durch diesen Nachweis wurden alle jüdischen Studenten vom Studium ausgeschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob an deutschen Universitäten dieses schmählichen Tages gedacht wird. Es war der 8. Juli 1935 – also vor 75 Jahren.
Keine jüdischen Akademiker mehr tätig
Was die Juden in Deutschland erwartete, war bereits drei Monate nach der „Machtergreifung“ am 1. April 1933 unübersehbar deutlich geworden. Der reichsweite Boykott jüdischer Einzelhändler, Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und jüdischer Einrichtungen am 1. April 1933 war der Auftakt zur Ausgrenzung und schließlich zur Vernichtung aller Juden im Machtbereich der Nationalsozialisten. Dass der schließlich fast ganz Europa umfassen würde, konnte vor 75 Jahren allerdings vermutlich niemand vorhersagen. Mit dem Erlass vor 75 Jahren wurde erreicht, dass in wenigen Jahren in Deutschland kein jüdischer Akademiker mehr tätig sein würde.
Die „Nürnberger Gesetze“ bedurften allerdings noch zahlreicher einzelner Bestimmungen und Verordnungen, um diese Gesetze in der täglichen Praxis anwendbar zu machen. Dazu hat damals ein Beamter wesentlich geholfen, der in den frühen Jahren der Bundesrepublik zu den einflussreichsten Beamten gehörte: der Chef des späteren Bundeskanzleramtes von Konrad Adenauer, Staatssekretär Hans Globke.
Unterscheidung zwischen Staats- und Reichsbürgern
Denn das gehörte zu den Grundsätzen auch des NS-Unrechtstaates: Für alles musste es Gesetze geben. Ohne sie ging nichts, auch oder gerade dann, wenn es sich sonst um Gesetzwidrigkeiten gehandelt hätte. Ein deutscher Beamter braucht immer ein gültiges Gesetz, auch wenn mit ihm Unrecht gedeckt wird. Enteignung privaten Eigentums ist strafbar, es sei denn, ein Gesetz erlaubt das, etwa bei der Enteignung jüdischen Besitzes.
An erster Stelle ist das „Reichsbürgergesetz“ zu nennen, das grundsätzlich unterschied zwischen Staats- und Reichsbürgern. Juden konnten nur noch Staatsbürger sein und verloren damit wichtige Rechte. Das nach Nürnberg erlassene „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verbot Ehen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Partnern als „Mischehen“, wie es damals hieß. Haushaltshilfen unter 45 Jahren durften nicht in jüdischen Haushalten arbeiten. Die „Reichsflagge“, also die mit dem Hakenkreuz, durften Juden nicht mehr hissen. Das war strafbar.
Weiter wurde nach Nürnberg geregelt, wer „Volljude“ und wer „Halb- oder „Vierteljude“ war – Begriffe, die heute noch benutzt werden. Andere Gesetze, die als Folge des Nürnberger Parteitages in Kraft traten, betrafen das Wahlrecht und viele andere Bestimmungen, über die im Zusammenhang mit dem 75. Jahrestag der „Nürnberger Gesetze“ der „blick nach rechts“ in den nächsten Wochen berichten wird.
Dieser letzte Beitrag Heiner Lichtensteins erschien am 3. Juli 2010 auf „blick nach rechts“. Wir danken der Redaktion von „blick nach rechts“, Frau Gabriele Nandlinger, für die freundlich erteilte Nachdruckgenehmigung. Weitere Beiträge Heiner Lichtensteins finden Sie unter: http://www.bnr.de/category/autor/heiner-lichtenstein