3. deutsch-israelische Literaturtage, Berlin, 27. – 30. Mai 2010…
Heimat – ein sperriges, unbequemes Wort. Gerade in Zeiten, in denen sich viele Menschen offenbar von ihren Wurzeln gelöst haben. Als moderne Nomaden sind sie kaum noch an einen einzigen Ort gebunden, sondern können – mobil, flexibel und im Internet vernetzt – überall zu Hause sein. Ihnen steht ein Heer von wahrhaft Heimatlosen gegenüber: ethnische Minderheiten, sans papiers und Flüchtlinge, denen die gesellschaftliche Anerkennung versagt bleibt. Sie alle leiden darunter, von ihren Familien getrennt und in instabilen Arbeitssituationen zu leben – das Verlangen nach Vertrautem, nach Kontinuität und Sicherheit wächst. Denn Heimat, so scheint es, ist immer auch ein Gefühl, das auf Defizite deutet.
In der Literatur findet dies seit jeher seinen Ausdruck. Als Spiegel der Zeit ist das geschriebene Wort voller Sehnsüchte nach Orten, in denen Heimat gefunden werden will.
Wie real und konkret kann Heimat sein? Historisch bedingt haben sowohl Deutsche als auch Israelis ein völlig eigenes Verhältnis zu diesem Begriff entwickelt. Die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis und der Zivilisationsbruch durch die Shoah haben das geistige Konzept der Heimat enorm verkompliziert, wenn nicht gar untragbar gemacht. Einen Wendepunkt markiert dabei das Jahr 1967 – hier wie dort: Während die bundesdeutsche Studentenrevolte einen kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte forcierte, formte sich mit dem gewonnenen Sechs-Tage-Krieg ein neues nationales Selbstbewusstsein in Israel. In beiden Ländern wurde der Heimat-Begriff in der Folgezeit vornehmlich durch die politische Rechte besetzt.
Welche Assoziationen weckt der Begriff heute? Wie hat er sich durch die Geschichte der jüdischen Diaspora und die Erfahrung von modernen Einwanderungsgesellschaften verändert? Und wer wird gehört, wenn von Heimat und kultureller Zugehörigkeit gesprochen wird?
Das Goethe-Institut und die Heinrich-Böll-Stiftung laden zum dritten Mal Autorinnen und Autoren der jüngeren Generation beider Länder zu den deutsch-israelischen Literaturtagen ein, die seit 2005 jährlich im Wechsel zwischen Berlin und Tel Aviv stattfinden. Unter dem Motto «Heimat im Heute» sprechen sie über Verwurzelung und Freiheit im Zeitalter der Globalisierung, über ihr künstlerisches Selbstverständnis und ihre ganz persönliche Vorstellung von Heimat.
Information: www.goethe.de/literaturtage und www.boell.de/literaturtage
Zeit und Ort:
Donnerstag, 27. Mai 2010, 19.00 Uhr
Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3, 10115 Berlin
Freitag, 28. Mai 2010, 19.30 Uhr
Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3, 10115 Berlin
Samstag, 29. Mai 2010, 16.00 und 19.00 Uhr
Sophiensaele, Sophienstraße 18, 10178 Berlin
Sonntag, 30. Mai 2010, 11.00 Uhr
Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin
Sprache: Alle Veranstaltungen finden in deutscher und hebräischer Sprache mit Simultanübersetzung statt.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Die Autoren:
Shimon Adaf
„Homeland for me is the Hebrew language, with its tender murmur of prayers and harsh poesy of prophecy; and homeland is also my mother’s food.“
Shimon Adaf wurde 1972 in Sderot, Israel, als Sohn marokkanisch-stämmiger Eltern geboren. Während seines Wehrdienstes begann er, erste Gedichte zu publizieren. Von 1996 bis 2000 studierte er an der Universität von Tel Aviv, wo er sich ebenfalls der Rockband Ha-Atsula als Liedtexter und Gitarrist anschloss. Gleichzeitig gründete er den Literaturclub ev, dessen Ziel es ist, dichterische Schnittstellen zwischen klassischem und modernem Hebräisch zu finden. Adaf veröffentlichte bislang mehrere Gedichtbände und drei Romane. 1996 erhielt er den Israeli Ministry of Education Award, 2007 den renommierten Prime Minister’s Prize.
Baram, Nir
Nir Baram, geboren 1977 in Jerusalem, stammt aus einer Politikerfamilie und setzt sich aktiv für die Gleichberechtigung der Palästinenser und für Frieden in Israel ein. „Der Wiederträumer“ ist sein dritter Roman und ebenso wie schon sein Debüt „Purple Love Story“ in Israel ein Bestseller. 2007 stand „Der Wiederträumer“ auf der Shortlist des Sapir-Prize, des wichtigsten israelischen Literaturpreises.
Anat Einhar
„The word Moledet no longer has a significant place as an Israeli cultural expression; It is absent from the political discourse, both in left-wing and right-wing positions (Moledet, a right-wing party which was established in 1988 and promoted an ideology of ‘’transfer’’ of Arabs, was assimilated within another insignificant right-wing party long ago). It seems that the environment in which this word grew and resonated, an environment of solid and collective Zionist values does not exist any longer. It has dropped out of public awareness along with other similar terms. If I insist on undressing the word Moledet of its broader contexts, it will be narrowed down to the borders of my home town, Petach Tikva, a city founded in 1878, one of the first agricultural settlements in the Land of Israel. The vivid memories I carry of it are becoming stronger as I age. However its actual landscape has changed beyond recognition through construction and development in Central Israel and the population has changed too. As a Tel Aviv resident for more than a decade, I have nothing to search for in my hometown any longer and thus my private Moledet has ceased to exist.“
Anat Einhar wurde 1970 in Petach Tikva geboren. Sie absolvierte die Bezalel Academy of Art and Design. Heute arbeitet sie als Designerin, Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Für ihr erstes Buch wurde sie 2008 mit dem Wiener Prize ausgezeichnet. Anat Einhar lebt in Tel Aviv.
Jenny Erpenbeck
„Heimat, denke ich, ist der Ort und die Welt, wo man die Zeit verbracht hat, in der man noch nicht wusste, dass Zeit etwas ist, das abläuft.“
Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Ost-Berlin geboren. Nach einer Buchbinderlehre und Tätigkeiten als Requisiteuse und Ankleiderin an der Staatsoper Berlin studierte sie in Berlin Theaterwissenschaften und Musiktheaterregie. Seit 1991 arbeitete sie zunächst als Regieassistentin und inszenierte danach Aufführungen für Oper und Musiktheater in Berlin und Graz. Ihr Prosa-Debüt „Geschichte vom alten Kind“ war 1999 ein sensationeller Überraschungserfolg, der Erzählband „Tand“ (2001) und die Romane „Wörterbuch“ (2005) und „Heimsuchung“ (2008) folgten. Erpenbecks Bücher wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet und sind in insgesamt elf Sprachen übersetzt. Sie lebt als freie Autorin und Regisseurin in Berlin.
Avirama Golan
“Home is the first words I said in my mother tongue, Hebrew. Home is the very same first words that my granddaughter, who is called after my mother, is murmuring now. Home is the hope I feel, listening to her, that one day she’ll hear those words, sweeter than music, from the mouth of her granddaughter, at the very same house. But Home is also the fear that bothers me now more and more, whispering in my ears that the old destiny of the Jewish People might overcome the new history of the Israeli state. That all this beauty will be gone, and this comforting normality will vanish once again.”
Avirama Golan wurde 1950 in Israel geboren. Sie studierte Literatur in Tel Aviv und Paris und arbeitete für die Tageszeitung Davar. Sie veröffentlichte sieben Bücher, darunter zwei Romane (in Israel Bestseller) und Kinderbücher. Außerdem arbeitete Avirama Golan als Übersetzerin und Drehbuchautorin. 2005 erhielt sie den Book Publishers Association’s Gold Book Prize.
Detlef Kuhlbrodt
„I can’t relax at home“
Detlef Kuhlbrodt, geboren 1961 in Bad Segeberg, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie und Religionswissenschaft. Seit den Achtzigern schreibt er für Zeitungen und Zeitschriften, vor allem für die ‚taz’. Für seine Arbeit als Feuilletonist wurde er 2008 mit dem Ben Witter Preis ausgezeichnet. Kuhlbrodt lebt als freier Autor in Berlin.
Sibylle Lewitscharoff
„Heimat bedeutet für mich Stuttgart-Degerloch. Da gibt es nichts zu verklären, aber viel zu erkunden.“
Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart geboren, studierte Religionwissenschaften in Berlin, wo sie nach Aufenthalten in Buenos Aires und Paris wieder lebt. Sie ist Autorin von Radiofeatures und Hörspielen sowie Urheberin eines Grammatik-Brettspiels. Ihr literarisches Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, u.a. 1998 mit dem Ingeborg Bachmann-Preis, 2009 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse und 2010 mit dem Berliner Literaturpreis.
Terézia Mora
„‘Heimat ist für mich…‘, um es mit den Worten der Dichterin Zsófia Balla zu sagen: ‚das, wie ich lebe‘. Was nichts weniger bedeutet, als dass man Heimat nicht mit Vaterland verwechseln sollte. Letzteres ist unveränderbar. Heimat ist eine persönliche, eine innere Angelegenheit.“
Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren. Sie lebt seit 1990 in Berlin und zählt zu den renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Ungarischen. Mit dem Erzählband „Seltsame Materie“ gelang ihr 1999 ein von der Kritik viel beachtetes Debüt. 2004 erschien der Roman „Alle Tage“, für den sie u.a. mit dem Mara-Cassens-Preis und dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt wurde. Moras drittes Buch, der Gegenwartsroman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, wurde 2009 veröffentlicht. Für ihr literarisches Werk und ihre Tätigkeit als Übersetzerin erhielt sie in diesem Jahr den Adelbert-von-Chamisso-Preis.
Fania Oz-Salzberger
„Homeland for me is a little bookshelf that stood by a window in a tiny classroom in Kibbutz Hulda in the 1960s. The books were by Leah Goldberg, Erich Kästner, Natan Alterman and Lev Tolstoy, they were cheap and tattered, and the window opened to fields and a cypress tree.“
Fania Oz-Salzberger, geboren 1960 im Kibbuz Hulda, lehrt Geschichte an der Universität Haifa. Ihre Erzählung „Die Schramme“ wurde 1999 mit dem ersten Preis des Ha’aretz-Kurzgeschichtenwettbewerbs ausgezeichnet. Zur selben Zeit lebte und arbeitete sie als Fellow des Wissenschaftskollegs in Berlin. Aus dem einjährigen Aufenthalt ging ihr Buch „Israelis in Berlin“ (2001) hervor, das monatelang auf der israelischen Bestsellerliste stand. 2005 erschien der Essayband „Das jüdische Erbe Europas“, den sie als Koeditorin herausgab. Seit 2009 lehrt Oz-Salzberger an der Princeton University.
Elisabeth Rank
„Heimat hat nichts mit einer kleinen Melancholie zu tun, das ist das breite Grinsen, wenn man weiß, dass man sich nicht verliert. Egal, was und wie viel und wer kommt. Mir genügen schon Bruchstücke an Erinnerung und alles baut sich wieder auf. Das geht nicht weg.“
Elisabeth Rank wurde 1984 in Berlin geboren. Sie hat Publizistik und Kommunikationswissenschaft sowie Europäische Ethnologie studiert. Neben ihrer Arbeit als freie Autorin ist sie als Online-Konzepterin in einer Kommunikationsagentur tätig. Hamburg, Berlin und das Internet sind derzeit ihre Hauptaufenthaltsorte.
Ayman Sikseck
„My Homeland is not for me, rather: I AM for my homeland. I exist for it, in my writing, my dreams, and the memories of my ancestors. I AM for my Homeland, and for the people of my homeland, and together we share a hope that our homeland can one day BE for us in return.“
Ayman Sikseck, 1984 in Israel geboren, studiert gegenwärtig Vergleichende Literaturwissenschaft an der Jerusalemer Hebrew University. In Prosatexten, Gedichten und Artikeln setzte sich der palästinensische Israeli bislang vor allem mit dem Leben der arabischen Minderheit in Israel und deren Identität auseinander. So auch in der Anthologie „The Palestinian Nakba in Hebrew Poetry, 1948-1958“, die er als Mitherausgeber 2009 veröffentlichte. Sein erster Roman „To Jaffa“ erschien im Frühjahr 2010.