Kindergartenstalinismus

0
24

Auf Antisemitismusvorwürfe reagiert das Bielefelder AJZ mit Ablenkungsmanövern, Mobbing und Boykott…

Gruppe Alas! (Denkbewegung Bielefeld) ((Alas! ist ein im Jahre 2009 von Unzufriedenen und Unbefriedeten gegründetes politisches Grüppchen. Unser Anliegen ist die ungerade Kritik an Kapitalismus, Nation(alismus), Antisemitismus, Rassismus, Geschlechterverhältnissen und allen anderen alltäglichen gesellschaftlichen Zurichtungen. Der Gruppenname Alas! bezeichnet das Elend, dass das, was wir uns wünschen, die Wurzelbehandlung der fettarmen Welt, noch immer nicht verwirklicht ist, obwohl Emanzipation zum Greifen nahe liegen könnte. Wenn wir groß sind, würden wir gerne die Angst durchqueren, als Laufmasche die Muster des Wiederholungszwangs aufribbeln und mehr auslösen als bloße Reaktion.))

Die Sandkastenschlacht der Bielefelder Linken hat im März 2010 einen weiteren Höhepunkt erreicht. Viereinhalb Monate ist es nun her, dass die Hausversammlung des Bielefelder ArbeiterInnenJugendZentrums (AJZ) am 17.11.2009 beschloss, der Vortrag „Ungarn 2009 – Antisemitismus, Antiziganismus, Neonazismus“ des österreichisch-jüdischen Journalisten Karl Pfeifer dürfe nicht wie geplant im AJZ stattfinden. Begründung: Gewissen irgendwo aus dem Internet gewonnenen Informationen zufolge habe Karl Pfeifer nach dem zweiten Weltkrieg möglicherweise als Mitglied einer nicht näher bezeichneten zionistischen „Eliteeinheit“ an einem „Massaker“ in einem ebenfalls nicht spezifizierten „palästinensischen Dorf“ teilgenommen.

In einem Gedächtnisprotokoll derjenigen Mitglieder der veranstaltenden Antifa-AG, die an der fraglichen Hausversammlung teilnahmen, heißt es ferner: „In diesem Rahmen wurden Kommentare abgegeben, in welchen Phrasen wie ‚Er ist ja Zionist…’ (Wortlaut) gefallen sind. Darüber hinaus wurde gesagt, dass Veranstaltungen mit Mitgliedern des ‚Schwarzen Septembers‘ doch ebenfalls unerwünscht seien und ein Verbot somit vollkommen nachvollziehbar sei.“ ((Nachzulesen unter <http://engageonline.files.wordpress.com/2009/11/gedachtnisprotokoll_antifa_ag.pdf>.)) Die Entscheidung gegen das Stattfinden der Veranstaltung mit Karl Pfeifer im AJZ fiel zwei Tage vor dem Veranstaltungstermin. Glücklicherweise gelang es den veranstaltenden Gruppen – der Antifa-AG des AStA der Uni Bielefeld sowie dem Antifa-Referat der Fachhochschule Bielefeld –, einen alternativen Raum in der FH zu organisieren, so dass der Vortrag letztlich trotz allem stattfinden konnte. Karl Pfeifer und einige Kommentator_innen nahmen die Absage des Raums seitens des AJZ als antisemitisch wahr.

Nachdem unter anderem Jerusalem Post, Haaretz, Jungle World und Neue Westfälische über den Fall berichtet hatten, verfassten Teilnehmer_innen einer  AJZ-Vollversammlung am 1.12.2009 eine Stellungnahme und veröffentlichten diese am nächsten Tag. Darin werden hauptsächlich die „selbst verwalteten, autonomen Strukturen“ des AJZ (die aber „richtig und gut“ seien – warum auch immer) sowie insbesondere diverse Probleme bei der „Kommunikation“ für die Entscheidung zur „Verlegung“ des Vortrags verantwortlich gemacht. Diese Kommunikationsschwierigkeiten wiederum werden hauptsächliche der Antifa-AG angelastet. Vage ist von „missverständliche[n] und aus dem Kontext gerissenen Bemerkungen“ sowie von der „missverständliche[n] Wiedergabe von Äußerungen“ die Rede – wie die fraglichen Bemerkungen aber ‚richtig‘ zu verstehen gewesen wären und aus welchem ‚Kontext‘ sie gerissen worden sein sollen, das ist bis heute offenbar streng geheim. Anstatt bei Karl Pfeifer entschuldigt sich die Vollversammlung bei nicht näher bezeichneten „Dritte[n]“, die „angegriffen und verletzt wurden“. Vor allem aber werden „alle Beteiligten auf[gefordert], von weiterer unsachlicher, konstruierter und falscher Berichterstattung über den ‚antisemitischen Gerüchtshof im AJZ Bielefeld‘ abzusehen“. Dieser Vorwurf meint offensichtlich die Antifa-AG (die Karl Pfeifer auf dessen Bitte hin das besagte Gedächtnisprotokoll hatte zukommen lassen), Karl Pfeifer selbst (der dieses Protokoll und seine Sicht der Dinge öffentlich machte) und die Journalist_innen und Kommentator_innen, die darüber berichteten. Alles weitere, so die Stellungnahme, müsse „in den internen politischen Strukturen geklärt werden“. ((Alle nicht anders gekennzeichneten Zitate stammen aus der AJZ-Stellungnahme, nachzulesen auf <www.ajz-bielefeld.de>. Für eine ausführliche Kritik der Stellungnahme vgl. <http://www.redok.de/content/view/1605/7/>.))

Zu diesem Zwecke (einer Klärung der Vorfälle, wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit) wurde für den 22.12.2009 ein Treffen für die an einer Diskussion der Angelegenheit Interessierten anberaumt. Kritische Geister erhofften sich hiervon einen Ansatz zur in der AJZ-Stellungnahme selbst eingeforderten „ernsthafte[…] Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus“ sowie eine Diskussion über das Zustandekommen der Absage des Vortrags. Auch wir hätten gern erfahren, was genau sich denn die Personen, die Karl Pfeifer mit Mitgliedern der antisemitischen Mörderbande ‚Schwarzen September‘ in einen Topf geworfen und in unklarer Absicht seinen ‚Zionismus‘ thematisiert hatten, wohl eigentlich dabei gedacht hatten. Wir wurden allerdings enttäuscht: Ein Großteil des Treffens wurde darauf verwandt, dass die Antifa-AG für ihre Weitergabe des Gedächtnisprotokolls an Karl Pfeifer gegeißelt wurde und verschiedene AG-Mitglieder sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen suchten. Wenigstens gelang es gegen Ende des Treffens, eine Themenliste für ein weiteres Treffen zu vereinbaren, in welcher irgendwo auch das Wort „Antisemitismus“ auftauchte.

Besagtes nächstes Treffen sollte am 26.1.2010 stattfinden. Den Mitgliedern der Antifa-AG, welche dieses besuchten, wurde gleich bei ihrer Ankunft mitgeteilt, aufgrund des durch die Veröffentlichung entstandenen ‚Vertrauensproblems‘ dürfe die AG nicht im gemeinsamen Bus zu den Protesten in Dresden am 13.2.2010 mitfahren. Von denjenigen Anwesenden, die nicht der AG angehörten, hatte auch auf Nachfrage niemand einen Einwand gegen diese Maßnahme. Die AG-Mitglieder verließen daraufhin geschlossen das Treffen. Anfang März schließlich wurde hinter dem Rücken der Antifa-AG entschieden, dass einige ihrer Mitglieder auch nicht an der Fahrt zur Gedenkstätte Ravensbrück teilnehmen dürfen – ein wenig subtiler Spaltungsversuch. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels lagen uns leider noch immer keine Informationen darüber vor, anhand welches Kriteriums sich aus Sicht des AJZ akzeptable von inakzeptablen AG-Aktivist_innen unterscheiden.

 So also gestaltet sich die „Auseinandersetzung“ des AJZ mit dem Skandal um Karl Pfeifers Vortrag sowie mit Antisemitismus in der Linken. Weitere Treffen und Versammlungen zum Thema sind nicht geplant und würden auch kaum mehr zu Tage bringen als das bereits Bekannte: Die im AJZ tonangebende Gruppe von Menschen – bestätigt durch alle, die schweigen – sieht den eigentlichen Skandal keineswegs in der Absage des Vortrags aufgrund eines auf Gerüchten basierenden Massenmordvorwurfs. Auch die dabei geforderte Gleichbehandlung eines jüdischen Antifaschisten einerseits und der Mitglieder einer antisemitischen Terrororganisation andererseits bereitet ihr keine schlaflosen Nächte. Als skandalös und sogar bestrafungswürdig gilt vielmehr die Tatsache, dass die Öffentlichkeit hierüber informiert wurde. Statt mit einer politischen Debatte sehen sich Mitglieder der Antifa-AG und teilweise auch unserer eigenen Gruppe mit Formen der Auseinandersetzung konfrontiert, die eher düstere Erinnerungen an Kindheit und Jugend wecken. Beispielsweise werden Personen von anderen Personen, die seit Jahren in derselben Gruppe wie sie aktiv sind, plötzlich auf der Straße nicht mehr gegrüßt, und alte Freundschaften werden ohne Erklärung gekündigt. Dass den Mitgliedern der Antifa-AG das Mitfahren in den Bussen nach Dresden, wo es immerhin um die Bekämpfung der Relativierung des Holocaust und des größten Naziaufmarsches in Europa ging, untersagt wurde, schien an Abstrusität, Dummheit und Frechheit kaum noch zu überbieten. Aber schlimmer geht’s immer: Die Organisator_innen der Fahrt zum ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück sind offenbar der Ansicht, dass Leute, die Antisemitismus als ernsthaftes Problem betrachten, bei einer solchen Unternehmung nichts zu suchen haben. Das lässt tief blicken.

Unglaublich, aber wahr: Viereinhalb Monate nach dem Vortrag Karl Pfeifers wird also nicht etwa zu einem Boykott des AJZ aufgerufen, sondern zu einem Boykott der Antifa-AG. Diese wird zur Nestbeschmutzerin erklärt. Unausgesprochen bleibt dabei, was doch logisch impliziert ist: Karl Pfeifer sei ein feindliches Element, dem die Antifa-AG keine Informationen hätte zukommen lassen dürfen, weil doch hätte klar sein müssen, dass er die Medien aufhetzen würde. Während jedoch die AG offen bestraft wird, wird das Ressentiment gegen Karl Pfeifer diesmal nicht ausgesprochen – zumindest in dieser Hinsicht haben die Verantwortlichen praktisch dazugelernt.

Kaum eine linke Gruppe aus dem Dunstkreis des AJZ hat es bislang über sich gebracht, öffentlich Kritik am Vorgehen des AJZ im Zusammenhang mit dem Vortrag Karl Pfeifers zu äußern; eine wohltuende Ausnahme ist die ehemalige AJZ-Kinogruppe. ((Vgl. <http://ajz-kino.de>.)) Selbst die Antifa-AG hat ihre zunächst sehr kritische Stellungnahme gleich zwei mal mit dem Hinweis ergänzt, über diese Stellungnahme herrsche in der Gruppe kein Konsens bzw. müsse noch einmal diskutiert werden. Bis heute stehen diese Kommentare unverändert online. ((Vgl. <http://ag.antifa.net>.)) Die Rede vom ‚Vertrauensbruch‘ schließlich, den die ‚Veröffentlichung von Informationen‘ durch die Antifa-AG dargestellt habe, verfängt bei vielen Linken, obwohl (oder gerade weil) sie so vage bleibt. Nicht selten wird so in Gesprächen behauptet, die Antifa-AG habe Informationen (an wen auch immer) ‚herausgegeben‘, die zur Identifikation einzelner Beteiligter führen könnten. Faktisch gibt aber weder das Gedächtnisprotokoll über die Hausversammlung noch die Stellungnahme der Antifa-AG auch nur den leisesten Hinweis auf die Identität irgendwelcher Angehöriger des AJZ. Besonders konsequent wird mit dem selbst erhobenen Vorwurf nicht einmal im AJZ umgegangen: Um mit Mitgliedern der Antifa-AG gemeinsam in einem Bus nach Dresden zu fahren oder an einer Gedenkveranstaltung im ehemaligen KZ Ravensbrück teilzunehmen, reicht das ‚Vertrauen‘ zwar nicht, wohl aber (offensichtlich) zur weiteren Zusammenarbeit in diversen AJZ-Hausgruppen (in denen Mitglieder der Antifa-AG weiterhin aktiv sind). Mag sein, dass hier – ganz entgegen den ‚antikommerziellen Prinzipien‘ des Hauses – kommerzielle Erwägungen entscheidend sind: Ohne die ‚Club‘-Partygruppe könnte das AJZ finanziell einpacken. 

Der Vorwurf des ‚Vertrauensbruch‘ ist unhaltbares Szenegeschwafel, in dem es mehr um Racketzugehörigkeit und familienähnliche Nester geht als um politische Inhalte. Wie dem auch sei: Damit zeigt ein weiteres, geschickt ins Spiel gebrachtes Gerücht innerhalb dieser traurigen Geschichte beachtliche Wirkung. Selbst von einzelnen Stimmen aus dem Kreise der Antifa-AG war zwischenzeitlich zu vernehmen, die Aushändigung des Gedächtnisprotokolls der Hausversammlung an Karl Pfeifer sei womöglich ein Fehler gewesen. 

Mit einer Mischung aus mangelnder inhaltlicher Klarheit, Duckmäuserei und pseudodifferenziertem, versöhnlichem Gerede von Teilen der AG und anderer Gruppen sowie unerbittlichen Gegenangriffen als Selbstentschuldungs- und Ablenkungsstrategie auf Seiten des AJZ ist es gelungen, die allermeisten Kritiker_innen schlicht zu ermüden und zu entmutigen und jegliche auch nur halbwegs öffentliche Auseinandersetzung um Antisemitismus in der Bielefelder Linken zu verhindern. Dies ist paradoxerweise nicht zuletzt dadurch ermöglicht worden, dass kritischere Geister längst oder unlängst die Hoffnung begraben haben, aus dem AJZ sei irgendeine emanzipatorische Kritik oder Praxis zu erwarten. So realistisch diese Einschätzung, so fatal ist die aus ihr zumeist gezogene Konsequenz: die Kritik einzustellen in der Annahme, dass sie verschwendet wäre, während andererseits doch in der einen oder anderen Hausgruppe und bei den Hausversammlungen weiter mitgemischt wird. Die darin enthaltene Botschaft lautet: ‚Nur weiter so‘.

Da Kritik belanglos wird, wenn sie nur das gerade ‚realistisch‘ Erscheinende zum Maßstab nimmt, möchten wir weiterhin das offensichtlich Unmögliche fordern:

1.) Eine AJZ-Hausversammlung möge sich endlich und unmissverständlich bei Karl Pfeifer (und nicht bei „Dritten“) dafür entschuldigen, dass sein Vortrag unter Rückgriff auf Gerüchte und antisemitische Ressentiments abgesagt wurde.

Sollte jedoch ernsthaft weiter an der Behauptung festgehalten werden, alles beruhe nur auf einem Missverständnis, so möge dieses doch bitte endlich aufgeklärt werden. Wer auch immer vom ‚Schwarzen September‘ und von Karl Pfeifers ‚Zionismus‘ sprach, wird doch sicherlich endlich einmal darlegen können, was sie oder er damit eigentlich sagen wollte? Gern auch anonym?

 2.) Bis dahin möge die Antifa-AG – lieber spät als nie – ihre Ankündigung wahr machen, nicht mehr mit dem AJZ zusammenzuarbeiten: „Solange […] Strukturen wie die vorgefundenen solch ungeheuerliche Vorfälle möglich machen, solange die Diskussion und Auseinandersetzung dort nicht etwas ändert, kann das AJZ kein_e Kooperationspartner_in mehr für die Antifa AG sein.“ ((Aus der Stellungnahme der Antifa-AG <http://ag.antifa.net>.)) Das steht auf der Internetseite der AG und wirkt unter den gegebenen Umständen eher peinlich. Dabei sollte es Euch doch nicht so schwer fallen, eine Institution zu boykottieren, die Euch boykottiert.

3.) Kritische Leute innerhalb der Hausgruppen des AJZ sollten endlich Konsequenzen ziehen. Das AJZ braucht die ‚Club‘-Partys – nicht umgekehrt.

Die oben geschilderten Reaktionen des AJZ auf die Kritik an der Absage von Karl Pfeifers Vortrag sind – wie viele Leute bemerkt haben – in der Tat „Kindergartenkacke“. Sie sind aber gleichzeitig – und das wird allzu schnell vergessen – eiskalte Machtpolitik, wenn auch nur innerhalb einer kleinen Subkultur, die gesamtgesellschaftlich selbst weitgehend irrelevant ist. Und schließlich lassen sich an ihnen einmal mehr die Ressentiments, die Schuldabwehr und die Projektionen studieren, die von Anfang an den Umgang des AJZ mit Karl Pfeifer bestimmt haben. Auch was lächerlich erscheint, kann gefährlich sein.