Zu Besuch bei Freunden

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Ein Nachmittag in der Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek…

Von Svenja Menkhaus
Erschienen in: uni’kon, Journal der Universität Konstanz, 37/2010

Kennen Sie die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek? Oder waren Sie gar schon mal dort? Nein? Ich bis vor kurzem auch nicht. Um ehrlich zu sein, wusste ich überhaupt nichts darüber, außer dass die Bibliothek zur Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz gehört und ihren Sitz in der Sigismundstraße 19 hat. Ich wusste noch nicht einmal, ob nichtjüdische Nicht-Gemeindemitglieder dort überhaupt willkommen waren. Um es kurz zu machen: Sie sind es. Sogar sehr.

Im ersten Stock des Gebäudes beherbergt eine umgebaute Wohnung die kleine, aber feine Bibliothek, die mit viel Herz vom ehrenamtlichen Leiter Thomas Uhrmann geführt wird. Jeden ersten und dritten Montag im Monat steht sie jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern offen – Schülern, Studenten und ab und zu auch mal Professoren. Denn die jüdische Bibliothek ist für alle da, „sogar für Rabbiner“, wie Thomas Uhrmann mit einem verschmitzten Lächeln sagt.

Heute ist ein ganz normaler Öffnungstag, und ich freue mich, dass neben Herrn Uhrmann auch Peter Stiefel, der erste Vorsitzende der Gemeinde, anwesend ist. Stolz sind die beiden auf die Unabhängigkeit der kleinen Bibliothek und auf das Lob einiger Professoren der Universität Konstanz, die sie bei ihren Projekten unterstützen konnten. Als Dank finden sich die Veröffentlichungen (samt Widmung) in den gut sortierten Regalen, so etwa Prof. Wiehns Bücher über Lebensschicksale jüdischer Menschen.

Seit 2001 ist die Bibliothek auch im SWB-Online-Katalog zu finden, man kann nun sogar mit hebräischen Schriftzeichen recherchieren und ebenso mit kyrillischen.

Dies ist vor allem für die Konstanzer Gemeinde wichtig, denn ein großer Teil der Mitglieder stammt aus den ehemaligen Sowjetstaaten. Sie füllen die Lücken auf, die der Holocaust in die Reihen der Konstanzer Juden riss: Peter Stiefel erzählt, dass nach dem Krieg nur ein einziges Konstanzer Gemeindemitglied seinen Weg zurück an den Bodensee fand.

Der Bestand der Bibliothek spiegelt das Schicksal ihrer Betreiber: In der Reichspogromnacht 1938 wurden Synagoge und Bibliothek Opfer der Flammen, nur ein einziges Buch entging der Vernichtung, ausgerechnet Theodor Herzls „Zionistische Schriften“. Der Vorsitzende der Kreuzlinger jüdischen Gemeinde, Robert Wieler, hatte es gerade zufällig ausgeliehen. In den 70er Jahren wanderte der Zionist nach Israel aus und mit ihm das Konstanzer Buch. Erst 2006 fand es seinen Weg zurück: 101 Jahre nach seinem Druck. Heute liegt diese einzige Verbindung zur alten Bibliothek in einem Ausstellungskasten. Zusammen mit dem Standort der Synagoge ist es die einzige Verbindung der Gemeinde zu ihrer Vergangenheit.

Ich blättere im Talmud und staune nicht schlecht, als ich erklärt bekomme, dass rund um den hebräischen Kern aramäische Kommentare verschiedener Rabbiner gedruckt sind – die einander stellenweise heftig widersprechen. Im Grunde wie eine wissenschaftliche Zeitschrift, nur ungleich früher entstanden: Im Mittelalter publizierte ein (christlicher) Drucker aus Venedig Text und Kritik in dieser einmaligen Form. Vor meinem Besuch dachte ich, dass ich eine Menge über das Judentum wüsste, aber ich stelle fest, dass ich so viel mehr wissen könnte. Gut, dass es den Talmud auch in deutscher Übersetzung gibt.


Svenja Menkhaus und Thomas Uhrmann

Ein junger VWL-Student kommt und fragt Herrn Uhrmann ein bisschen verlegen nach zwei Büchern von Yaffa Ganz. Es sind eigentlich Kinderbücher, in denen Bina und Beni die hohen Festtage Rosch Haschana, Jom Kippur, Pessach, Schawuot und Sukkot feiern. Ich freue mich sehr darüber und erzähle, dass ich das an Weihnachten und Ostern genauso mache – die Kinderbücher wecken Erinnerungen an gemütliche Feiertage mit der Familie.

Ich selbst wähle drei Bücher aus der großen Auswahl an Literatur über jüdische Geschichte, Religion und Philosophie, über Israel, spannende Biographien und Belletristik. Ich gehe mit den Büchern in der Hand und einer Einladung, zu Schabbat jederzeit Gast in der Synagoge zu sein. Ein schöner Nachmittag ist vorübergeflogen – ungleich reicher, lauter und amüsanter als sonst in einer Bibliothek. Es ist, als leihe man sich ein Buch von einem guten Freund.

–> www.bsz-bw.de/eu/blochbib