„Wann die Juden daselbes nu nehst werden geslagen“

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Karl IV. stellte im Vorhinein Freibrief für das Pogrom von 1349 aus – Auf den Trümmern des Judenviertels entstand der Nürnberger Hauptmarkt…

Von Jim G. Tobias

Am 5. Dezember 1349 stürmten die Mörder das im Herzen Nürnbergs gelegene Wohngebiet der Juden. Durch Fenster und Türen drangen sie in die Häuser ein und erschlugen die arglosen Bewohner. Zwei Tage dauerte das Brandschatzen und Gemetzel. Am 7. Dezember waren 562 Opfer zu beklagen. Das jüdische Viertel existierte nicht mehr. Die Stadt Nürnberg konnte endlich mit dem Bau eines weiträumigen Marktplatzes beginnen.

Die Vernichtung der Nürnberger Juden war von langer Hand geplant. Bereits acht Monate vor dem Pogrom verteilte Karl IV. das Eigentum der zu ermordenden Nürnberger. Nutznießer des „Nachlasses“ sollten Adelige und Patrizier sein, die dem König zu Diensten waren. 1349 war es zu einer Zunftrevolte gekommen, die Handwerker hatten den Rat der Stadt gestürzt. Um die Rebellen niederwerfen zu können, benötigte der König Geld. Die Burggrafen und der Bamberger Bischof halfen Karl den finanziellen Engpass zu überbrücken. Dafür versprach der König den Kreditgebern die Häuser und das bewegliche Eigentum der jüdischen Minderheit. Im Oktober 1349 konnte der patrizische Rat in Nürnberg wieder das Ruder übernehmen. Gleichsam bekam die Stadt von König Karl IV. das Marktprivileg verliehen.

Nach dem königlichen Einverständnis, dass „die Juden daselbes nu nehst werden geslagen“, stand dem Bau eines Marktplatzes nichts mehr im Wege. Das Viertel wurde dem Erdboden gleichgemacht; etwa ein Drittel der jüdischen Bürger ermordet und der Rest aus der Stadt gejagt. Nun war genügend Raum geschaffen, um den heutigen Hauptmarkt zu errichten. Auf den Trümmern der geschleiften Synagoge erbaute man zudem ein christliches Gotteshaus, die Frauenkirche. Die nicht zerstörten jüdischen Häuser wurden angesehenen Bürgern zugesprochen. Allein zwei Anwesen erhielt der Patrizier Ulrich Stromer. Er war es auch, der seinerzeit das Marktprivileg erwirkte, und von Karl IV. als „sein lieber Getreuer“ bezeichnet wurde. Der Bischof von Bamberg und die Burggrafen sollten jedoch auch nicht leer ausgehen. Für die vom König zugesicherten jüdischen Immobilien entschädigte sie die Stadt Nürnberg mit 1.600 Gulden.

Trotz des Massakers vom Dezember 1349 und der Zerstörung des jüdischen Wohnviertels kehrten einige der vertriebenen Juden schon um die Jahreswende in ihre Heimatstadt zurück. Im Jahre 1352 gestattete der Rat der Stadt den Juden offiziell, sich wieder in Nürnberg niederzulassen. Bedingung war jedoch, dass alle Schulden, die Bürger bei den Juden hatten, ersatzlos gestrichen würden.

verbrennung
Judenverbrennung. Zeitgenössische Darstellung von Michael Wohlgemuth. Repro: aus der „Schedelschen Weltchronik“ von 1493.

11 Kommentare

  1. Die Geschichte der Kirche ist in der Wikepedia beschrieben:

    „Die Kirche, die in der Folgezeit als kaiserliche Hofkapelle diente, wurde an dem Ort der beim Judenpogrom im Jahre 1349 zerstörten Synagoge erbaut und 1358 geweiht.“

  2. @ego – aus dem zweiten Link:
     
    Man wird deshalb einen ökonomischen Bereich in Betracht ziehen müssen, der eng mit dem rechtlichen Status der jüdischen Einwohner der Städte im Reich zusammenhängt, die, zumindest der Theorie nach, mit Leib und Vermögen Eigentum des Königs waren; der Praxis nach waren diese Eigentumsrechte, das so genannte Judenregal, häufig in den Händen anderer Stadt- und Territorialherren oder der Städte selbst. Wer diese Rechte innehatte, hat auf jeden Fall durch oft exzessive Steuerabgabenforderungen gut verdient.

     
    Ergänzend dazu – Der Legat Cusanus, Hintergrund und Motivation kirchlicher und weltlicher Macht in Hinblick auf die Juden, penibel recherchiert: NIKOLAUS VON CUES UND DIE JUDEN.
    Das Beispiel Nürnberg bis zur Vertreibung 1499, ab S 177.
     
     

  3. Nürnberg war kein singuläres Geschehen. In jener Zeit gab es viele Pogrome: http://de.wikipedia.org/wiki/Judenverfolgungen_zur_Zeit_des_Schwarzen_Todes

    „Zunächst kam es zu Pogromen in Frankreich, vor allem um Genf. Im November 1348 erreichte die Pogromwelle mit Solothurn die erste deutschsprachige Stadt. Anfang 1349 wurden in Basel (9. Januar) und Freiburg im Breisgau Juden verbrannt. Am 14. Februar wurden in Straßburg die ansässigen Juden ermordet. Die Pogrome breiteten sich weiter im Rheinland aus. Hier wurden u. a. die jüdischen Gemeinden der Städte Speyer (22. Januar), Worms, Mainz, Koblenz, Köln (23./24. August) und Trier vernichtet. In Königsberg fand noch im Februar 1351 ein Pogrom statt.“

    Nürnberg ist darin nicht genannt, aber, beispielsweise, hier:

    http://www.teachsam.de/pro/pro_seuch/pest/fb_gesch/pro_pest_gesch_txt_4.htm

    „… Mordaktionen, deren Ausmaße so groß waren, dass Historiker von »der schwersten Katastrophe des mitteleuropäischen Judentums vor der nationalsozialistischen ‚Endlösung’« (Haferkamp 1981) sprechen.“

    Von Spanien bis vierzig Jahre später Prag zieht sich die blutige Spur der Mörder.

    Literatur über dies und andere Verfolgungen von Jüdinnen und Juden ist fast unüberschaubar.

    Simon Wiesenthal hat ein Buch herausgegeben: „Jeder Tag ein Gedenktag“ Es kann über haGalil bezogen werden und sollte eigentlich in jedem Haushalt stehen…

  4. Was mir auffällt: dass Demokratiefeindlichkeit (Niederwerfen der „Zunftrevolte“, Wiedereinsetzen der Macht einiger reicher Familien) und Vernichtungs-Antisemitismus schon damals Hand in Hand gingen.

  5. Christkindlmarkt?
    Wozu sollten die Nürnberger das wissen, Christkindlmarkt hat ja auch nichts mit Weihnachten zu tun, Geschäft ist Geschaft, das weiß man heute, das wußte man vor 600 Jahren…

  6. Noch an einen weiteren Jahrestag gilt es für den 5. und 6. Dezember zu erinnern, an einen Jahrestag, der noch nicht so weit zurückliegt.
     
    Vor 70 Jahren, 1939, begannen die deutschen Behörden im besetzten Polen mit der Beschlagnahme jüdischen Eigentums. „Beschlagnahme“ war dabei nur die offizielle Bezeichnung für eine Raubaktion gigantischen Ausmaßes: Autos, Krafträder, Fahrräder, Möbel, Schmuck, wertvolle Bücher, Textilien, Spielzeug, Dinge des täglichen Bedarfs, Haushaltsgeräte, Radioapparate, optische Geräte, u. v. a. m. wurde den rechtmäßigen Eigentümern entrissen und güterzugsweise ins Reich transportiert. Dort profitierten von diesem frühen ‚Weihnachtssegen‘ keineswegs nur Bonzen und Parteimitglieder, nein, vielmehr die Durchschnittsdeutschen, der sprichwörtliche ‚Mann von der Straße‘, der deutsche Bürger – sie gehörten zu den Empfängern und Nutznießern dieser deutschen Aktion der Unmoral.
     
    An solche Jahrestage zu erinnern wäre eigentlich Aufgabe der Regierung und der Medien in diesem Lande gewesen. Es zeugt von Kleinmut und Schäbigkeit solche Ereignisse ‚links liegen zu lassen‘ und zur Tagesordnung überzugehen. Aber daran ist man in Deutschland ja gewohnt.
     
    RS

  7. Dort findet doch jetzt der weltberühmte Nürnberger Christkindlmarkt statt. Wissen das wenigstens die Nürnberger?

  8. Da wird man schon nachdenklich, wenn man sich überlegt, wie die Reichen dieses Landes im Laufe der Generationen zu ihrem Reichtum kamen.

  9. Es war der 5. Dezember 1349, als gemordet wurde.  „Zur Jahreswende“ kehrten einige wieder zurück. Drei Wochen später? – Doch selbst wenn es drei Jahre gewesen wären, man gerät ins Grübeln. Aussichtslos, sich in die Menschen jener Zeit hineinzudenken. Und so wandern die Gedanken pflugs 600 Jahre weiter.

  10. guter Artikel,- stellt sich nur gleich die Frage:
    gibt es denn an oder in der FrauenKirche in Nürnberg Hinweise auf diese Geschichte?
    Bei einem flüchtigen Blick auf die Homepage der Kirche  habe ich keinen Hinweis auf diese historischen Hintergründe gefunden. …

  11. Entsetzlich! Ja, auch das sollte nicht vergessen werden. Ich hatte das nicht gewusst (Aber viele ähnliche Geschichten). Danke für den Artikel. Da wird Vieles beleuchtet.

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