Ein modernes Wohnviertel sollte Tel Aviv sein, das vor 100 Jahren gegründet wurde. Was machte Tel Aviv aber zur ersten hebräischen Stadt? Inwieweit entstand sie als Gegensatz zur arabischen Großstadt Jaffa? Wann entdeckte sie den Mittelmeerstrand? Inwieweit bildete Tel Aviv die Grundlage für den Staat Israel?…
Wie prägte die Politik Europas die Entwicklung der jungen Stadt? Wo wurde in Tel Aviv israelische Geschichte geschrieben? Wie hat sich Tel Aviv als „Weiße Stadt“ entdeckt? Was ist im heutigen Tel Aviv vom Geist der Stadtgründer übrig geblieben?
Diese Fragen sollen in einem Vortrag, auch anhand historischer Fotos von Tel Aviv, behandeln.
Die Deutsch – Israelische Gesellschaft München und der DGB-Bezirk Bayern laden am 16. November 2009 um 18:00 Uhr ins Gewerkschaftshaus, Schwanthalerstrasse 64, Raum 005 EG
Bettina Gassmann sprach mit Igal Avidan
Bg: Tel Aviv ist 100 Jahre alt geworden. Ein relativ „junges Alter“ für eine Stadt in Israel. Was ist daran so besonders?
Avidan: Zum Beispiel, dass in Tel Aviv Menschen leben, die fast so alt sind, wie die Stadt selbst. Oder dass Tel Aviv aus Jaffa hervorgegangen ist und bis heute eine zwiespältige Beziehung zu dem arabischen Stadtteil pflegt. Im toleranten Tel Aviv leben orthodoxe und säkulare Juden friedlich zusammen und auch die schwullesbische Szene feiert sich gern.
Bg: Tel Aviv feiert, sagt ein Sprichwort, Haifa arbeitet und Jerusalem betet. Ist Tel Aviv eine typische israelische Stadt?
Avidan: Nur in dem Sinne, dass man die Geschichte gern Jerusalem überlässt. Sonst nicht, weil die meisten Künstler in Tel Aviv leben und man dort die größte Ansammlung von Häusern im Stil des Bauhauses findet. Viele Tel Aviver betrachten ihre Stadt als eine Art Manhattan am Mittelmeer, als ob es nicht im Nahen Osten läge.
Bg: Sie zeigen eine ganz Reihe historischer Aufnahmen aus der Zeit der Stadtgründung? Woher stammen die Aufnahmen und wie sind Sie daran gekommen?
Avidan: Wie viele Passanten bin ich auch zufällig vor dem Schaufenster des Fotoladens „Zalmania Pri-Or“ stehen geblieben und bestaunte die historischen Aufnahmen. Als ich hinter der Türschwelle die 96-jährige Miriam fand, die lebendige Witwe des Fotografen, die hier seit 1940 sitzt und mir vom drohenden Abriss ihres Hauses erzählte, berichtete ich über den Skandal. So erhielt ich die Genehmigung, die wunderbaren alten Fotos von Rudi Weissenstein bei meinen Vorträgen zu zeigen.
Bg: Tel Aviv ist die Gratwanderung zwischen Bauhaus und Wolkenkratzern, das höchste Gebäude im Nahen Osten steht dort und direkt daneben liegt die uralte Stadt Jaffa. Wie unterschiedlich leben die Bewohner in beiden Städten? Wer lebt wo und warum?
Avidan: Die 20.000 Araber in Jaffa, die dort ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, werden benachteiligt. Vor allem die Sozialschwachen sehen die starke Abwanderung gutsituierter Juden ungern. Sie kapseln sich ab und sehen in der Entwicklung der Altstadt einen Versuch, sie hinauszudrängen. Die Gewalt in den Palästinensergebieten verstärkt das gegenseitige Misstrauen. Die Araber können doch nicht Jaffa verlassen, weil dort ihre Moscheen und Kirchen sowie ihre Schulen sind. In Tel Aviv wiederum leben kaum Araber.
Bg: Was bedeutet Ihnen Tel Aviv? Sie leben seit 20 Jahren in Deutschland. Was ist das erste, was Sie in Tel Aviv besuchen oder tun?
Avidan: Tel Aviv, wo ich einige Jahre lebte, ist der lebendigste und interessanteste Ort in Israel. Das erste, was ich dort tue, ist meine Eltern zu besuchen. Außerdem radle ich gern entlang der wunderbaren neuen Promenade von Tel Aviv zu.
Igal Avidan, geboren 1962 in Tel Aviv, studierte Englische Literatur und Informatik in Ramat Gan sowie Politikwissenschaft in Berlin. Igal Avidan lebt in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren als freier Journalist und Deutschland-Korrespondent für verschiedene israelische Zeitungen (wie z.B. der Tageszeitung Maariv, Tel Aviv), Hörfunksender und Nachrichtenagenturen sowie als freier Autor und Kolumnist zum Thema Nahost u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die NZZ, Cicero, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung, Der Tagesspiegel, Die Welt, Handelsblatt. Für verschiedene deut¬sche Organisationen wie die Bundeszentrale für Politische Bildung, die Deutsch-Israelische- und Christlich-Jüdische-Gesellschaft sowie für mehrere Stiftungen hält er Vorträge über Israel und den Friedensprozess im Nahen Osten.
Ein interessanter, packender Vortrag.  Avidan ist ein kritischer Denker, der zwar einerseits von Israel begeistert ist und unzweifelhaft einen zionistischen Hintergrund hat, der andererseits aber auch nicht als Propagandist oder Tourismustrompete herhalten möchte.  Das zeigen seine besorgten Äusserungen um die „Araber in den Palästinensergebieten“ (damit meint er wohl die Palästinenser).
Im Vortrag zeigt Avidan ein Foto von einer zerstörten Stadtlandschaft aus dem 1947-8er Krieg, das er selbst als „schockierend“ bezeichnet.  Auf Nachfrage stellt er fest, dass die Verwüstung von der (jüdischen) Hagana verantwortet wurde.  Er kritisiert, dass dieses dunkle Kapitel im Tel Aviver Hagana-Museum komplett ausgeblendet würde.  Außerdem äußert er, „es war relativ klar dass die Juden den Krieg gewinnen würden“, auch weil die arabischen Staaten keine Armeen sondern nur Freiwillige sandten.
Für derartige Äußerungen hat die veranstaltende Deutsch-Israelische Gesellschaft vor drei Wochen ein Raumverbot gegen Ilan Pappe erwirkt.  Das ist irgendwie schizophren.
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