Kafka wird der Prozess gemacht

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Bei einem Tel Aviver Gericht wird hinter verschlossenen Türen der Erbin des Nachlasses von Max Brod gemacht, Schriftsteller und Freund des 1924 verstorbenen Prager Schriftstellers Franz Kafka…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 8. September 2009

Wie die israelische Zeitung Haaretz erstmals berichtet, habe die Jüdische Nationalbibliothek in Jerusalem gegen Eva Hoffe geklagt, der Tochter der vor zwei Jahren im Alter von 101 verstorbenen Sekretärin Max Brods, Esther Hoffe. Sie hatte dem Wunsch in Brods Testament nicht entsprochen, seinen literarischen Nachlass, darunter auch Tausende Dokumente zu Kafka, einer „öffentlichen Institution“ zu übergeben. Jetzt liegen die Papiere in der Wohnung der 75 Jahre alten Eva Hoffe in Tel Aviv und in mehreren Bankfächern. Hoffe weigere sich nach Angaben der Zeitung, die Papiere herauszurücken, angeblich um sie nach Deutschland zu verkaufen. Deshalb gehe die Nationalbibliothek fern der Öffentlichkeit bei einem Familiengericht in Tel Aviv den Rechtsweg.

Haaretz hatte mit mehreren Artikel im Dezember 2008 darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Dokumente, „die in der literarischen Welt eine Revolution auslösen könnten“, noch im Privatbesitz bei der Tochter der ehemaligen Brod-Sekretärin befänden.

Max Brod ist zu verdanken, dass die Werke seines Freundes Franz Kafka überhaupt erhalten geblieben sind. Kafka hatte vor seinem Tode bestimmt, dass alle seine Schriften verbrannt werden sollten. Auf der Flucht vor den Nazis brachte Brod die Papiere 1939 nach Palästina.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

6 Kommentare

  1. Sowenig sich Kafka vorstellen konnte, dass er dereinst zur letzten Heiligenfigur unserer profanen literarischen Kultur werden würde, so unvorstellbar wäre es für ihn gewesen, dass die Schriftstücke, die er zur Vernichtung vorsah, zu modernen Reliquien geworden sind – und zu einem Streitobjekt zwischen zwei Staaten, die erst 25 Jahre nach seinem Tod gegründet wurden.

     
    Es gibt nur einen Besitzer und das ist Franz Kafka nach wie vor. Nach ihm gibt es keinen Besitzer mehr, kann es gar nicht geben, denn es gibt keine Hinterlassenschaft, er hat, in diesem Sinne, nichts hinterlassen.
     
    Was also bleibt ist jeglicher Verzicht auf persönlichen Geldgewinn je damit befasster Personen bzw., wie von Brod vorgesehen, eine institutionelle Behandlung zum allgemeinen Vorteil der gesamten literarischen Welt.
     
    Es wäre eine Perversion sondergleichen, wenn der Versuch Kafkas, im Angesicht des herannahenden Todes in allererster Linie sich selbst und damit aber seine Schriften – die er aus genau der Gefühlsregung heraus, die sein Werk wie ein roter Faden durchzieht und ihn so bedeutsam, so unvergleichlich, so unvergesslich macht – gerade vor  Leuten, welchen er sich Zeit seines Lebens ausgeliefert fühlte  zu schützen, letzten Endes doch noch scheitern würde.
     
    Also – Seit jeher naheliegend wäre es gewesen, an die Jüdische Nationalbibliothek zu übergeben, liegt auf der Hand und warum auch nicht?

    Stellt sich ausschließlich nur die eine Frage, warum das bisher noch nicht geschehen ist?
     
    Antwort: Geld.
     
     

  2. Der letzte Kommentar ist schlicht sachlich falsch: die Hoffes sind sehr wohl Eigentümer der Manuskripte, was im übrigen auch ein israelisches Gericht bereits vor Jahrzehnten offiziell anerkannt hat:
    „Die Kafka-Manuskripte hat Max Brod meiner Mutter noch zu Lebzeiten geschenkt, seinen Nachlass hat sie von ihm geerbt. 1974 hat ein israelisches Gericht entschieden, dass Ester Hoffe die rechtmäßige Besitzerin ist.“
    http://www.zeit.de/2009/48/Interview-Hoffe
    Und dass ggf. ein „persönlicher Geldvorteil“ entstanden ist, war durchaus im Sinne Brods, der seiner langjährigen Sekretärin zumindest eine gewisse Kompensation dafür bieten wollte, dass er sie kaum je bezahlen konnte und vielmehr sie ihn in schwieriger Situation quais in die eigene Familie aufgenommen hatte.
    Wenn hier jemand hochgradig und verlogen agiert, dann ist es die israelische Nationalbibliothek in Gestalt von Herrn Shmuel Har Noy sowie die Schocken.Familie mit ihren bewussten und zum eigenen Vorteil manipulativen Berichten, siehe:
    http://www.zeit.de/2009/48/Kafka

  3. Festzustellen ist, die Hoffes sind nicht Eigentümer, das heißt, es gehört ihnen schlicht nicht, folglich haben sie auch nichts zu verkaufen. Sie haben das Konvolut unter der Auflage übernommen, den Nachlaß einer öffentlichen Institution zu überantworten.
     
    Seit jeher naheliegend wäre es gewesen, an die Jüdische Nationalbibliothek zu übergeben, liegt auf der Hand und warum auch nicht?
     
    Stellt sich ausschließlich nur die eine Frage, warum das bisher noch nicht geschehen ist?
     
    Sollte je jemand aus diesem Nachlaß persönlichen Geldvorteil erwirtschaftet haben, so wäre das, denke ich, nicht bloß Diebstahl, sondern eine moralische Ungeheuerlichkeit sondergleichen.
     
    Max Brod hat seine Einstellung und Auffassung ganz offenbar auf Andere übertragen, diesen unterstellt, ebenso zu empfinden und zu denken wie er selbst.
     
    Das war womöglich der Kardinalfehler, auf den letztlich diese überaus schmierige Komödie zurück zu führen ist.
     
     

  4. @ Das Grauen
    Priorität muß natürlich haben, daß der Kafka/ Brod-Nachlaß überhaupt endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Allerdings ist mir beim Lesen des Artikels von Herrn Sahm auch der Gedanke gekommen, daß „öffentliche Institutionen“ nicht nur in Israel existieren. Es muß ja nicht gleich „investigativer“ Journalismus sein – aber eine etwas kritischere und ausgewogenere Berichterstattung  würde man sich schon wünschen!

  5. Hier der erwähnte SPIEGEL-Artikel:
     
    http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=67036886&aref=image040/2009/09/24/ROSP200904001520154.PDF&thumb=false
     
    Wachenbachs Sicht teile ich, das Konservierungs-Argument allerdings nicht. Persönlich hoffe ich aber sehr, dass dieses unwürdige Schauspiel möglichst bald beendet werden wird können.
     
    Es handelt sich immerhin um einen ungeheuren Schatz, in Geld kaum zu bewerten. Der Zugang muss endlich ermöglicht sein, die Spannung ist enorm.

  6. Herr Sahm, sollten Sie nicht zumindest erwähnen, daß Brods Testament ausdrücklich sagt, daß die „öffentliche Institution“ auch im Ausland sein dürfe? Und daß „nach Deutschland verkaufen“ etwas genauer bedeutet, diese dem Marburger Archiv zu übergeben, einer öffentlichen Institution, die schon das Manuskript von „Der Process“ aufbewahrt und, selbst nach Angaben israelischer Behörden, bessere Möglichkeiten zur sachgerechten Konservierung und Archivierung der Papiere hat als das Israelische Nationalarchiv?

    Und schließlich, ist Ihnen bekannt, daß die Zeitung Haaretz der Familie Schocken gehört, die ihrerseits dubiose Ansprüche auf die Papiere Kafkas erhebt, und wohl auch eine der beteiligten Parteien am Erbschaftstreit ist? Ich meine, dies ist doch ein Interessenkonflikt, den man zumindest mal erwähnen sollte! Nun, vielleicht sollten Sie nicht nur Haaretz als Quelle benutzen, sondern z.B. auch den guten Artikel im Spiegel heranziehen, um Ihre Leser umfassender zu informieren!

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