Diesmal gedenken wir ganz anders! Während Deutschland mal wieder der zweifelhaften Helden des 20. Juli gedenkt und sich in allgemeiner „Wir waren alle Nazigegner“-Stimmung in den Schlaf der Gerechten wiegt, wollen wir am 20. Juli an jemanden erinnern, der an diesem Tag Geburtstag hätte: Otto Blumenthal…
Von Ramona Ambs
Blumenthal wurde am 20. Juli 1876 in Frankfurt a.M. als Sohn eines jüdischen Arztes geboren. Schon früh entwickelte er großes Interesse an Mathematik, promovierte 1898 und wurde später durch zahlreiche mathematische Entdeckungen berühmt. Aber er war nicht nur mathematisch begabt. Er konnte sich in acht Sprachen unterhalten und war sehr engagiert in der damaligen Friedensbewegung.
Am 27. April 1933, zwanzig Tage nachdem das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Kraft trat, wurde Blumenthal verhaftet. Er war von Studenten beim zuständigen Minister in Berlin als „Kommunist“ denunziert worden. Da dieser Vorwurf nicht belegt werden konnte, wurde Blumenthal nach zwei Wochen Haft wieder entlassen, aber dennoch von der Hochschule suspendiert, offiziell wegen seiner „Mitgliedschaft in der Liga für Menschenrechte“.
1938 musste er als Herausgeber der „Mathematischen Annalen“ zurücktreten. Schließlich wurde ihm, der zwar zum Protestantismus konvertierte, aber aufgrund seiner Herkunft als „Volljude“ galt, die sogenannte „Judenvermögensabgabe“ auferlegt. Diese Steuer hatten Juden nach dem Novemberpogrom 1938 als sogenannte „Sühneleistung“ zu bezahlen. Blumenthal geriet nun in existentielle Bedrängnis. Als ihm schließlich im Januar 1939 die Deutsche Beamten-Krankenversicherung kündigte, entschloss er sich zur Emigration. Im Sommer 1939 fand er in den Niederlanden eine neue Bleibe. Doch auch dort war er vor den Nazis nicht sicher. 1943 wurde er deportiert. Blumenthal starb im KZ-Theresienstadt am 12. November 1944.
Warum wir zur Abwechslung mal Blumenthal gedenken sollten, statt Stauffenberg?
Ganz einfach: Blumenthal war ein wunderbarer Mensch, der viel gegeben hat und dem die Nazis alles genommen hatten. Er liebte das Leben, er liebte den Frieden und die Wissenschaft. Er liebte den Austausch mit anderen Menschen. Deshalb sollten wir seiner gedenken. Er war – anders als Stauffenberg – schon immer ein Kriegsgegner. Auch als es noch ganz und gar unpopulär war.
Wer sich noch weiter über Otto Blumenthal informieren möchte, dem sei folgender Vortrag empfohlen.
[…] auskotzen, wie ein autoritärer Nationalist im achso geläuterten Deutschland abgefeiert wird. HaGalil verweist auf Otto Blumenthal, der probierte sich durch Flucht in die Niederlande der Gefahr …. Während Blumenthal schon im holländischen Exil war, half Stauffenberg beim Ãœberfall auf Polen […]
„Als ihm schließlich im Januar 1939 die Deutsche Beamten-Krankenversicherung kündigte, entschloss er sich zur Emigration.“
Das list sich im Nachhinein seltsamer als Kafka.
Liebe Frau Ambs,
ich danke Ihnen für Ihren Artikel über Otto Blumenthal. Auch ich halte die Helden des 20. Juli für zweifelhaft. Hätten sie ihren Anschlag auf Hitler 10 Jahre früher durchgeführt, als die verbrecherischen Absichten des Regimes schon deutlich genug waren, würde ich sie gern bewundern.
Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen für Ihr Wirken
Eleonore Kattwinkel
Herzlichen Dank für diese wichtigen Beiträge!
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