Foltermord an jungen Juden in Paris vor Gericht

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In Paris stehen zurzeit 27 junge Vorstädter vor Gericht, die 2006 einen jungen Juden, Ilan Halimi, entführt, gefoltert und ermordet hatten. Der Hauptangeklagte präsentiert sich als „afrikanisch-islamischer Kämpfer“ und droht den Geschworenen. Zeitgleich ist eine Debatte über die jüngste Initiative des antijüdischen Hetzers Dieudonné entbrannt. Dieser Bühnenkünstler mit franko-afrikanischen Wurzeln, der in Migrantenvierteln populär ist, wird bei den EU-Wahlen mit einer „anti-zionistischen Liste“ antreten. Der Umkreis von Präsident Sarkozy erwog ein Verbot…

Von Danny Leder, Paris

Am ersten Prozesstag streckte der Hauptangeklagte, Youssouf Fofana, bei Eintritt in den Gerichtssaal den Zeigefinger hoch und rief „Allah“. Als ihn die Richterin nach seinem Namen fragte, erwiderte er: „Arabs – das heißt bewaffnete afrikanische barbarische salafistische Revolte“. Auf die Frage nach seinem Geburtsdatum antwortete der 28 Jährige Fofana: „13. Februar 2006“. Genau an diesem Tag war Ilan Halimi, ein 23 jähriger Jude, geknebelt, nackt, mit Stich- und Brandwunden übersät, sterbend in der Nähe eines Pariser Vorstadtbahnhofs gefunden worden. Der jetzige Pariser Geschworenen-Prozess ist der dreiwöchigen Entführung, Folterung und Ermordung von Halimi gewidmet.

Am zweiten Prozesstag drohte Fofana den Geschworenen, er habe sie von „Freunden“ fotografieren lassen, ihre Fotos könnten ins Internet gestellt und ein Kopfgeld auf sie ausgeschrieben werden – je nach Urteilsspruch.

Tatsächlich hat Fofana in dem Prozess, der Ende April begann und bis Juli andauern soll, kaum etwas zu verlieren: eine Verurteilung zu lebenslanger Haftstrafe scheint ihm gewiss, nachdem er sich zu der Tat bekannt und selber als „Chef der Barbaren“ bezeichnet hatte – im Gegensatz zu den 26 Mitangeklagten, von denen sich einige nunmehr reuig geben. Denn Halimi war einem ganzen Aufgebot an vorwiegend jugendlichen Mittätern und Mitwissern aus einer Vorstadtsiedlung zum Opfer gefallen (weil zwei der Angeklagten zur Tatzeit minderjährig waren, findet der Prozess, der französischen Rechtspraxis entsprechend, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, was die Familie Halimi bedauert).

Halimi arbeitete als Verkäufer in einem Telefonladen auf dem volkstümlichen Pariser Boulevard Voltaire. In dem Geschäft war er von einem Mädchen angesprochen und zu einem Rendez-vous gelockt worden, bei dem er von Fofana und seinen Kumpanen überwältigt wurde. Er wurde in einem Plattenbau im Vorort Bagneux festgehalten, erst in einer Wohnung und anschließend in einem Heizkeller. Mehrere Angeklagte lösten sich bei der Bewachung ab, einige misshandelten Halimi besonders, weil sie „Juden nicht mochten“. Dass hinderte sie nicht daran, in der Zwischenzeit zu ihren Eltern zurückzukehren, damit sich diese „keine Sorgen machen“. Einer gab zu Protokoll, er habe als streng gläubiger Muslim darauf geachtet, in der elterliche Wohnung die „versäumten Tagesgebete nachzuholen“.

Auch Fofana hatte sich in den letzten Jahren vor der Entführung Halimis einer demonstrativen Befolgung des Islams zugewandt und war regelmäßig in einer örtlichen Moschee zum Gebet erschienen. Den Anstoß zur islamischen Frömmigkeit habe er bei seinem Gefängnisaufenthalt erhalten, erklärte der wegen Raubüberfälle mehrfach vorbestrafte Fofana. In seinem Umkreis galt er als „Kaid“ (ein arabisches Wort für „Chef“, das im aktuellen französischen Sprachgebrauch den Boss einer mehr oder weniger kriminellen Jugendclique kennzeichnet). Gelegentlich ließ sich Fofana als „Usama“ oder „Mohammed“ ansprechen. Er wurde auch „der Große“ gerufen, der sich mit Einschüchterung und Brutalität Gehorsam verschaffte. Seine Mutter, die aus der Cote d’Ivoire (Elfenbeinküste) eingewandert war, und alleine sieben Kinder erzog, hielt Youssouf allerdings für einen unreifen Versager: „Er kann gar kein Kaid sein, er bekommt von mir noch Taschengeld. Das passt nicht zusammen.“

Dabei war es Fofana, der sich die „Entführung eines Juden“ ausgedacht und dafür auch eine „ideologische“ Begründung geliefert hatte. „Seiner (Fofanas) Ansicht nach, fressen die Juden das Geld des Staates, während er, als Schwarzer, vom Staat als Sklave betrachtet wird“, gab das Mädchen zu Protokoll, dass in Fofanas Auftrag Halimi in die tödliche Falle gelockt hatte.

Seine Bande hatte bereits versucht mehrere andere Juden zu kidnappen, war aber stets gescheitert, bevor sie Halimi habhaft werden konnte. Den Telefonladen, in dem Halimi als Angestellter arbeitete, hatten sie als „jüdisch“ ausgekundschaftet, weil er am Freitag-Abend und Samstag wegen der Schabbat-Ruhe sperrte.

Der Familie Halimis ließ Fofana ursprünglich eine Lösegeldforderung in Höhe von 450.000 Euro zukommen. Die Mutter von Ilan Halimi, ebenfalls eine Alleinerzieherin von drei Kindern und Angestellte mit kleinem Einkommen, konnte diese Summe nicht auftreiben. Fofana war freilich der Überzeugung, dass „die Juden reich sind, und einer verschworenen Gemeinschaft angehören, die bereit ist zu zahlen“ (so die Aussage eines der Mitangeklagten). Fofana wandte sich daher mit seiner Lösegeldforderung auch an einen x-beliebigen Rabbiner.

Es war auch Fofana, der nach Scheitern der Lösgeldverhandlungen Halimi erstach, mit Benzin übergoss und anzündete. Danach flüchtete er in die Elfenbeinküste. Dort unternahm er allerdings keine Anstalten, sich zu verstecken, sondern gab in einem Restaurant, im Beisein seiner Freundin, einem französischen TV-Team ein Interview: darin bekannte er sich zur Entführung Halimis. Gegenüber der Öffentlichkeit und den Behörden der Elfenbeinküste präsentierte sich Fofana als eine Art Widerstandskämpfer der Schwarzen in Frankreich gegen den Rassismus der Weißen. Auf Druck der französischen Regierung wurde er festgenommen und an Frankreich ausgeliefert.

Während der Vorbereitung des Prozesses engagierte Fofana der Reihe nach nicht weniger als 30 Anwälte, die er gleich darauf, meistens begleitet von beleidigenden Schreiben, wieder entließ. Ebenso ließ er der U-Richterin schriftlich Beschimpfungen zukommen, in denen seine antijüdische Paranoia nicht fehlen durfte.

Es wäre aber verfehlt, die Tat auf Fofanas krankhafte Persönlichkeit zu reduzieren. Schon seit Jahren häufen sich in Frankreichs städtischen Randvierteln Übergriffe gegen Juden, die Täter sind überwiegend Jugendliche aus moslemischen Einwandererfamilien. Dabei vermischen sich, wie bei Fofana und seiner Truppe, psychische Labilität, soziale Verwahrlosung, brachiale Jugendkriminalität, radikal-islamische Propaganda und antijüdischer Hass. Juden sind zwar bei weitem nicht die einzigen Opfer der Jugendgewalt, sie sind aber besonders gefährdet, auch wenn Frankreichs Politiker und Behörden auf antijüdische Taten meistens rasch und scharf reagieren.

Die de facto Vertreibung der Juden aus Vororten

In Frankreich leben sowohl die meisten Juden Europas (rund 600.000) als auch die meisten Moslems (etwa fünf Millionen). Die Mehrheit beider konfessionellen Gruppen stammt familiengeschichtlich aus Frankreichs Ex-Kolonien in Nordafrika, Angehörige beider Gruppen wohnen oft noch Tür an Tür in Migrantenvierteln. Aber die phasenweise anschwellenden Gewaltakte und die dauerhafte Anmache haben zum Auszug vieler Juden aus den unruhigsten Vorstädten nördlich von Paris geführt.

Die Anfeindungen sind diesen Juden teilweise sogar bis nach Paris gefolgt, und zwar in die volkstümlichen nordöstlichen Bezirke, wo sich heute jüdische Familien in besonderem Ausmaß konzentrieren und viele jüdische Kinder eigene jüdische Schulen besuchen. Dort kam es in den letzten Jahren ebenfalls zu Attacken von Jugendlichen aus nord- und schwarzafrikanischen Familien auf Juden, gelegentlich konnten sich jüdische Jugendliche zur Wehr setzen.

Mit welcher Selbstverständlichkeit die Stigmatisierung der Juden in den städtischen Problemzonen gehandhabt wird, wurde am Rande einer Kampagne gegen Vorurteile der Bewegung „SOS-Rassismus“ wieder deutlich. Aktivisten dieser Bewegung veranstalten gemeinsam mit Vertretern der „Union jüdischer Studenten Frankreichs“ in Schulklassen im Pariser Nordosten Diskussionen und Rollenspiele unter dem Titel: „Coexist“. Eine Journalistin des „Le Monde“ begleitete die Aktivisten ins Collège (Unterstufen-Gesamtschule) Henri Bergson (so benannt nach einem Philosophen und Literaturnobelpreisträger von 1922, der aus einer polnisch-jüdischen Familie stammte.) Dabei erfuhr die Journalistin von einer Lehrerin, dass im Schulhof ein Katz-und Maus-Spiel Anklang gefunden hatte, das die Kinder ‚Chat-Feuj’ (Katze-Jude) nannten. Berührte die ‚Katze’ einen Schüler, musste dieser niederknien und sich dafür entschuldigen, ein Jude zu sein. Das Spiel wurde schließlich verboten.

Im Bagneux, dem Ort der Entführung, hatte zwar die linke Rathausmehrheit Trauerkundgebungen für Halimi organisiert, an der Persönlichkeiten und Jugendliche aus den diversen Einwanderergruppen und darunter auch moslemische Würdenträger teilnahmen. Jüngere Teilnehmer missbilligten aber im Einzelgespräch, was sie als eine „unbegründete Hervorhebung des Antisemitismus“ empfanden. Diese Tendenz prägte generell den anfänglichen Umgang der Polizei- und Justizbehörden und eines Teils der französischen Öffentlichkeit mit diesem Fall: die Entführung und Ermordung von Halimi wäre eine rein kriminelle Angelegenheit. Die jugendlichen Täter wären zu „dumm und ungebildet“, um als Anhänger einer (antijüdischen) Ideologie eingestuft zu werden, versicherten Polizei- und Justizsprecher.

Die Mutter von Ilan, Ruth Halimi, antwortete wiederholt auf diese Sichtweise. Zuletzt in einem gemeinsam mit der Journalistin Emilie Frèche verfassten Buch („24 Jours“, Editions du Seuil): „Demnach können sie (die Entführer) keine Antisemiten sein, weil sie sich ‚gedanklich auf dem Niveau Null’ befinden würden, wie der Staatsanwalt erklärt hatte. So als hätte die SS nur unter ‚kultivierten’ Menschen rekrutiert und nicht unter kriminellem Abschaum. Aber der Hass gegen Juden war wohl nie eine Frage der Intelligenz“. Fofana hatte seine telefonischen Lösegeldforderungen an die „jüdische Gemeinschaft“ gerichtet, und dabei Passagen aus dem Koran vorgesungen. „Wie kann man sich der Einsicht verweigern, dass islamistische TV-Satelittensender, aus denen sich antisemitischer Hass ergießt, die jungen Entführer beeinflusst haben?“ fragt Ruth Halimi in ihrem Buch.

In den Verhören der Entführer und den Bekenntnissen von Fofana trat der spezifische Judenhass als „Zement dieser Gruppe“ (so der Soziologe Didier Lapeyronnie) aber derartig in Erscheinung, dass auch die die Staatsanwaltschaft schließlich nicht umhin kam, in der Anklage von „vorsätzlichem Mord wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit des Opfers zur einer bestimmten Religion“ zu sprechen – ein erschwerender Tatbestand.

In der Siedlung, in der Halimi 24 Tage festgehalten wurde, und wo der Kreis der Personen, die über ein vages Mitwissen verfügten, ziemlich breit gewesen sein dürfte, stößt man heute oft auf das übliche larmoyante Selbstmitleid: man sei „wegen der Medien“ in Verruf geraten und würde noch immer unter diesem „Imageschaden“ leiden, klagen Einwohner, die meistens das Gespräch verweigern.

Dahinter steckt freilich auch die anhaltende Angst vor gewaltbereiten Jugendcliquen. Bei Halbwüchsigen und Jugendlichen vor Ort genießt Fofana eine ungebrochene Aura der Bewunderung. In einer Reportage des TV-Senders „France 24“ kommt der Leiter eines nahen Jugendzentrums zu Wort. Sichtlich erschüttert berichtete der Mann vor laufender Kamera, wie der Bandleader einer Rapgruppe mit einem Song auftretenden wollte, der den Satz enthielt: „Wir schaffen dich in einen Keller und wir besorgen es dir in der Art von Youssouf“. Er habe, so der Zentrumsleiter, in einem ausführlichen Gespräch dem Raper versucht zu erklären, weshalb er mit diesem Song nicht auftreten könne: „Aber ehrlich gesagt, der ist nach einer Stunde mit genau der selben Haltung, mit der er erschienen war, wieder weggegangen“.

TV-Einschaltungen für einen antijüdischen Hetzer ?

Zeitgleich zum Prozess um die Ermordung Halimis ist ein berüchtigter antijüdischer Hetzer wieder in den öffentlichen Vordergrund gerückt. Der Komiker Dieudonné Mbala Mbala hat die Kandidatur einer „anti-zionistischen Liste“ bei den EU-Wahlen in der Region Ile de France (der Großraum um Paris) angekündigt.

Der Sohn eines Kameruner und einer Französin ist in den letzten Jahren zum Sprachrohr des antijüdischen Ressentiments in den Migrantenvierteln geworden. Einst eroberte der einfallsreiche und vielfältig begabte Bühnenkünstler im Duo mit einem jüdischen Komiker, Elie Semoun, ein breites Publikum. In ihren Sketchen nahmen sie alles und jedermann auf die Schaukel. Doch dann trennten sich die beiden, und „Dieudonné“ (so sein Bühnenname) ätzte fast nur mehr über „die Zionisten“. In Interviews wurde er explizit: die Juden seien „Nachfahren von Sklavenhändlern“, die Beschäftigung mit dem Holocaust sei „Erinnerungs-Pornographie“. Die „jüdische Lobby“ würde „die Schwarzen hassen, weil sie das Leiden verkörpern, das die Juden als ihr Geschäft beanspruchen. Jetzt genügt es, den Hemdsärmel hoch zu krempeln, um seine (KZ-) Nummer herzuzeigen, und schon hat man Anrecht auf Anerkennung.“

Das war besonders infam, zumal die Bewegungen gegen anti-schwarzen und anti-arabischen Rassismus vielfach von jüdischen Aktivisten getragen wurden. Aber mit diesen Sprüchen lieferte Dieudonné perspektivlosen Jugendlichen in Vorstädten einen Sündenbock für ihre schwierige Lage – noch dazu einen Sündenbock, an dem man sich leichter vergreifen konnte als an der französischen Mehrheitsgesellschaft.

Inzwischen ging Dieudonné mit dem Rechtsaußen-Tribun Jean-Marie Le Pen mehrmals öffentlich und privat auf Tuchfühlung. Er ließ bei seinen Inszenierungen Frankreichs prominentesten Holocaust-Leugner, den pensionierten und mehrfach verurteilten Literaturprofessor Robert Faurisson, auftreten. Faurisson konnte bei dieser Gelegenheit zwar seine geschichtsrevisionistischen Spinnereien nicht vortragen, er bekam aber von einem Mitarbeiter von Dieudonné, der sich auf der Bühne in der Kluft eines KZ-Häftlings präsentierte, einen „Preis der Ausgrenzung“ verliehen. Anschließend umarmten sich Dieudonné und Faurisson.

Immerhin geschah dies vor 5000 Besuchern im Pariser „Zenith“, der größten innerstädtischen Veranstaltungshalle. Kein Zuseher protestierte, niemand verließ den Saal. Dieudonné füllte den Zenith mehrfach, er absolviert auch regelmäßig gut besuchte Tourneen in der französischen Provinz und anderen frankophonen Ländern. Stellenweise verweigerten Kommunen ihre Säle Dieudonné. Der sozialistische Pariser Bürgermeister, Bertrand Delanoe, kündigte ein Hausverbot für Dieudonné im „Zenith“ an.

Es ist aber klar, dass Dieudonné ungebrochen über beträchtliche Beliebtheit vor allem in den Vororten verfügt, bei Muslimen aus Nord- und Schwarzafrika, bei Jugendlichen aus Familien, die aus den französischen Karibikinseln stammen. Ein Teil der Muslime und Franko-Araber sind über seine pausenlosen Tiraden gegen Israel (seine jüngsten Auftritte enden mit einem Song, in dem ein palästinensischer Kamikaze gefeiert wird) begeistert, ein Teil der schwarzen Franzosen sehen in ihm ein Opfer weißer Diskriminierung. Vor allem aber bestärkt Dieudonné die in Migrantenvierteln zirkulierende Vorstellung, die man als „antijüdische Weltanschauung“ bezeichnen könnte. Darin werden „die Juden“ als allmächtiger Herrschaftsklan dargestellt und für die soziale Ausgrenzungen verantwortlich gemacht, die junge Franko-Araber und Franko-Afrikaner in der französischen Gesellschaft erleiden. Dementsprechend erklärte Dieudonné bei der Pressekonferenz für den Start seiner EU-Wahlkampagne, „das zionistische System“ sei auch in Frankreich an der Macht, wogegen sich der Aufstand der „Sklaven“ richten werde – also fast wortwörtlich die Hirngespinste, die Youssouf Fofana von sich gibt.

Neben Dieudonné wird diese „anti-zionistische Liste“ von Alain Soral geleitet, einem Wortführer der so genannten „rotbraunen“ Strömung, die in Frankreich bisher zwar keine Relevanz erlangte, aber als ideologischer Partner im moslemischen Fundamentalistenmilieu willkommen ist. Soral, ursprünglich KP-Mitglied, wechselte zur „Front national“ von Le Pen. Dort rückte er sogar ins Zentralkomitee auf und vertrat eine Linie, die darauf abzielte, die moslemischen Jugendlichen in den Vorstädten durch antijüdische Tiraden für die Rechtsaußenpartei zu gewinnen. Le Pens Tochter und voraussichtliche Nachfolgerin an der Parteispitze, Marine Le Pen, die ansatzweise um eine Mäßigung der „Front national“ bemüht ist und die gelegentlichen antijüdischen Anspielungen ihres Vaters halblaut missbilligt, ließ Soral kürzlich parteiintern kalt stellen. Soral verließ daraufhin die „Front national“ in der Meinung, diese sei zu judenfreundlich.

Insgesamt kandidiert auf Dieudonnés Liste ein Sammelsurium von Wirrköpfen, die eben nur der Judenhass eint. Darunter der Führer einer winzigen schiitischen Fundamentalistengruppe, die vom iranischen Regime unterstützt wird, und der auf Startpressekonferenz der Wahlliste die französischen Christen aufrief: „Erwacht. Eure Situation in Frankreich ist die der Palästinenser in Israel“. Am Bord dieses Narrenschiffs befinden sind obendrein ein katholischer Fundamentalist, ein serbischer Nationalist und sogar eine Art Druide, der sich bei der Pressekonferenz als „bretonischer Krieger“ präsentierte und die anwesenden Journalisten warnte: „Die Gangster, die die Welt beherrschen, haben durch die Verbreitung einer falschen Grippe einen bakteriologischen Krieg eröffnet.“

Aber die Lächerlichkeit dieses Haufens, der nur von wenigen französischen Qualitätsmedien detailliert dargestellt wurde, tangierte bisher kaum den Ruf von Dieudonné als vorgebliches gesellschaftskritisches Reibeisen und provokante Kultfigur, den er bei Teilen des vorstädtischen Jugendmilieus genießt.

Natürlich stellt Dieudonné rein wahlarithmetisch keine ernst zu nehmende Kraft dar. Die von ihm bereits bei den EU-Wahlen 2004 mitgetragene Liste „Euro-Palestine“ kam im Großraum um Paris auf nur 1,97 Prozent der Stimmen, konnte aber in einigen vorstädtischen Wahlkreisen bis auf über 10 Prozent klettern. Allerdings gingen wenige Monate nach der Wahl die übrigen Führungspersönlichkeiten von „Euro-Palestine“ auf Distanz zu Dieudonné wegen seiner deklarierten Nähe zu Soral, der mit unverblümten antisemitischen Äußerungen in einer wichtigen TV-Sendung in Erscheinung getreten war.

Das Dilemma mit Sarkozy

Die Gefahr, die von Dieudonné ausgeht, liegt also kaum im Bereich der zu erwartenden Wahlergebnisse, sondern in der unterschwelligen Legitimierung und Anstachelung der Gewaltakte gegen Juden in städtischen Randvierteln. Dieudonné will seine Kampagne mit einer Bustournee in den Vororten, und namentlich in jenen Gegenden beginnen, wo jüdische Gemeinschaften noch präsent sind. Vor allem aber würde er als Kandidat über kostenlose Sendezeit für Wahlwerbung in den wichtigsten TV-Sendern verfügen. Seine geschickt vorgetragene antijüdische Hetze könnte dann ein Millionenpublikum erreichen – mit sicherem Effekt auf die labilsten Jugendlichen.

Darauf angesprochen, erklärte der Generalsekretär des französischen Präsidentenamts und wichtigste Mitarbeiter von Nicolas Sarkozy, Claude Guéant, in einem Interview in einem jüdischen Radiosender: „Kann man sich heute mit einem offen antisemitischen Programm bei Wahlen präsentieren? Das ist eine absolute skandalöse Initiative. Die Behörden überprüfen derzeit, ob diese Initiative gegen das Gesetz verstößt. Ich bin aber nicht sicher, ob es uns gelingen wird (diese Kandidatur) zu verbieten“.

Diese Erklärung löste vorwiegend negative Reaktionen aus. Die meisten Politiker der SP- und Zentrumsopposition verurteilten zwar in allgemeiner Weise Dieudonné, ereiferten sich aber über einen vorgeblichen „Trick“ von Sarkozy: Der bürgerliche Staatschef würde Dieudonné durch diese Erklärung erst recht aufwerten, und sowohl das Stimmenpotential der Opposition aufsplittern als auch „die jüdische Wählerschaft“ an sich binden wollen. Kommentatoren in den Medien äußerten sich in ähnlicher Weise. Tatsächlich jubelte Dieudonné über diese angebliche „Wahlhilfe“ durch die Reaktion aus dem Umkreis des Staatschefs.

Damit offenbart sich neuerlich das Dilemma, das seit Amtsantritt von Präsident Sarkozy, 2007, von etlichen Franzosen empfunden wird, die in Sachen Judenhass besonders hellhörig sind. Im Grunde ist die besorgte Reaktion aus dem Umkreis von Sarkozy auf den Vorstoß von Dieudonné bei den EU-Wahlen völlig richtig: die Vorstellung, dass (wie oben bereits angesprochen) der begabte Demagoge und sein antijüdischer Fanatikerkreis via TV-Einschaltungen zur Hauptsendezeit ein Millionenpublikum erreicht, ist tatsächlich unerträglich. Schon allein die Zielvorgabe dieser Kandidatur, der „Anti-Zionismus in Frankreich“, den die Kandidaten wiederholt als Kampf gegen ein „in Frankreich herrschendes System der Ungleichheit“ definiert haben, entspricht dem Tatbestand der Verhetzung gegen die Juden.

Nicolas Sarkozy hat stets, auch noch bevor er Präsident wurde, etwa als Innenminister, auf antijüdische Drohungen mit besonderer persönlicher Anteilnahme und markanter Entschlossenheit reagiert – was nicht heißen soll, dass die übrigen französischen Spitzenpolitiker, etwa sein Vorgänger Jacques Chirac, die keinen famliengeschichtlichen Bezug zum jüdischen Schicksal aufweisen, weniger deutlich auf Gewaltakte gegen Juden reagiert hätten (Chirac etwa prägte den Spruch: „Wer einen Juden angreift, greift Frankreich an“).

Aber manchmal vermittelt Sarkozy eine ganz persönliche Nähe zur jüdischen Schicksalsgemeinschaft. Zumindest wird das so von Teilen der französchen Juden so empfunden und von notorischen Judenhassern auch so registriert, während die breitere französische Öffentlichkeit diesem Aspekt bisher kaum Aufmerksamkeit schenkte.

Sarkozy ist praktizierender Katholik, er hat sich aber mehrmals spontan zu seinen jüdischen Vorfahren bekannt, ihr Schicksal hat ihn sichtlich geprägt (der Vater stammte zwar aus einer protestantischen Adels-Familie aus Ungarn, von denen sich Teile vermutlich auf Seiten der ungarischen Faschisten engagiert hatten. Ein Großvater, mütterlicherseits, kam hingegen aus einer jüdischen Familie aus Griechenland, die von den Nazis fast vollständig ausgelöscht wurde. In Frankreich konvertierte dieser Großvater zum Katholizismus).

Ansatzweise taucht eine Art Gleichsetzung zwischen dem außerordentlich polarisierenden bürgerlichen Staatschef und der jüdischen Minderheit auf – auch wenn zahllose Persönlichkeiten und Aktivisten mit jüdischem Hintergrund in den Reihen der linken Oppositionskräfte wirken. Vor allem aber besteht die Gefahr, dass auch die richtigen und notwendigen Reaktionen auf antijüdische Hetze von Oppositionsbewegungen misstrauisch betrachtet oder sogar rundweg verworfen werden, nur weil sie von Sarkozy ausgehen.

>> Untersuchungsrichter nehmen antisemitisches Tatmotiv auf