Der Bürgermeister in U-Haft, der FN in der Offensive

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Marine Le Pen als „Oppositionsführerin“ in Hénin-Beaumont…

Von Bernard Schmid, Paris

Den Titel „größter Idiot des Jahrhunderts“ hat derzeit zweifellos der sozialdemokratische Bürgermeister von Hénin-Beaumont verdient, und zwar redlich. Der erst 38jährige Gérard Dalongeville regiert(e) die rund 26.000 Einwohner zählende, (frühere) Arbeiterstadt im Bezirk Pas-de Calais seit 2001. Zur „Oppositionsführerin“ in der Kommune hat sich in den letzten Jahren Marine Le Pen aufgeschwungen, die als Spitzenrepräsentanten der örtlichen extremen Rechten den dort gut verankerten Steeve Briois abgelöst hat.´

Marine Le Pen beackert bereits seit längerem das Terrain in der französischen Nordregion – dem früheren Bergbaurevier Nord-Pas de Calais -, so trat sie bei den Parlamentswahlen 2002 in der Nachbarstadt Lens an und übersprang dort die 30-Prozent-Marke. Als Kandidatin zu den Parlamentswahlen im Juni 2007 holte Marine Le Pen, sekundiert von Steeve Briois als Stellvertreter, im Wahlkreis von Hénin-Beaumont stattliche 41,7 Prozent der Stimmen in der Stichwahl (und zuvor 24,5 % im ersten Wahlgang). Hingegen trat sie zur Kommunalwahl im März 2008 auf Listenplatz Nummer Zwei an, hinter dem örtlichen Aktivisten und Parteifunktionär Steeve Briois auf Platz Eins. Mittels ihrer „doppelten Spitzenkandidatur“ – die Köpfe der beiden Bewerber erschienen auf Flugblättern und Plakaten stets zusammen – erhielten sie dieses Mal aber „nur“ 28,8 Prozent in der Stichwahl, kümmerliche 0,3 Prozent mehr als im ersten Durchgang (28,5 %).

Gérard Dalongeville war 2001 auf einer konkurrierenden Liste – bestehenden aus einigen Sozialdemokraten und Linksnationalisten, Anhängern des EU-skeptischen früheren Innenministers Jean-Pierre Chevènement – gegen die offizielle Liste der Sozialdemokratie und der Linksparteien gewählt worden. Im Jahr 2008 nahm die Sozialdemokratie, die ihn aufgrund der Konkurrenzkandidatur ausgeschlossen hatte, ihn wieder in ihre Reihen auf. Und nun sitzt er im Knast, in Untersuchungshaft. Seit dem 8. April wurde ein Strafverfahren gegen ihn wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder, Dokumentenfälschung und Korruption eröffnet. Er und sein Team – so lauten jedenfalls die Vorwürfe der Justiz – sollen 900.000 Euro laut gesicherten Erkenntnissen, „mutmaßlich jedoch bis zu vier Millionen Euro“ unterschlagen respektive zwischen sich und befreundeten Firmen (denen öffentliche Aufträge zugeschanzt worden waren) aufgeteilt haben.

Marine Le Pen frohlockt wie noch selten zuvor. Am vorletzten Samstag hielt sie bereits einen Auftritt mit ihren Getreuen auf dem Wochenmarkt ab, wo sie lautstark Knast für den korrupten Amtsinhaber im Rathaus forderten. Die „ironische“ Aktion bestand darin, „Orangen für Dalongeville“ zu verteilen – laut einem französischen Sprichwort oder feststehenden Ausdruck bringt man jemandem Orangen, wenn er im Gefängnis sitzt. Kurz darauf rief Marine Le Pen „den Frühling von Hénin-Beaumont“ aus, eine bürgerliche Sonntagszeitung titelte, sie singe und feiere „auf den Ruinen von Hénin-Beaumont“.

Noch ist unklar, ob Neuwahlen zum Rathaus der Stadt ausgeschrieben werden müssen, was jedoch gut möglich ist. Marine Le Pen und ihr Team haben unterdessen eine juristische Anfechtung der letzten Kommunalwahl angekündigt, da der Bürgermeister und seine Wahlkampfmannschaft sich durch ihre betrügerischen Manöver unrechtmäßige finanzielle Vorteile verschafft hätten und das Wahlergebnis dadurch verfälscht worden sei. Der FN sitzt, mit vollauf motivierten örtlichen Truppen, in den Startlöchern und hält sich für Neuwahlen bereit. Das französische oberste Verwaltungsgericht, der ‚Conseil d“Etat’, wird im Juni 2009 über die Anfechtung der letzten Kommunalwahl vom März o8 entscheiden.

Ähnliches gilt für das südwestfranzösische Perpignan, wo der Generalsekretär des FN – Louis Aliot, der Marine Le Pen nahe steht und sich fast im selben Alter wie die Le Pen-Tochter (40) befindet – seine lokale Hochburg hat. Dort wurde die Wahl des konservativen Amtsinhabers im Rathaus, Jean-Paul Alduy, bereits am Donnerstag den 23. April gerichtlich annulliert und muss also wiederholt werden. Aufgrund der so genannten „Socken-Affäre“ war sie angefochten worden: Bei einem Vorsteher eines Wahllokals, Mitglied der bürgerlichen Regierungspartei UMP wie Alduy selbst, waren ausgefüllte Stimmzettel zugunsten Alduys in den Strümpfen gefunden worden. Insgesamt 117 Stimmzettel wurden auf diese Weise aufgefunden. Der Verdacht auf Wahlbetrug liegt nahe, zumal das Ergebnis damals knapp ausgefallen war.

Zahlreiche „verdächtigen“ Beobachtungen wurden den Klagen der sozialdemokratischen Opposition zur Anfechtung der Wahl zugrunde gelegt. Auch dort ist der FN, hinter Louis Aliot, bereits aktiv in eine aggressive Kampagne für den Fall von Neuwahlen eingetreten. Allerdings war Louis Aliot, dessen Liste zu den Rathauswahlen vom März 2008 damals 12,3 % erhielt (und „nur” noch 10,4 PRozent in dert Stichwahl), dort bislang nicht so gut platziert wie Marine Le Pen in „ihrer“ Hochburg Hénin-Beaumont.

Das Urteil zu einer eventuellen Wiederholung der Kommunalwahl in Hénin-Beaumont fällt im Juni dieses Jahres. Und falls dann beide Rathauswahlen – in Perpignan ebenso wie in der nordfranzösischen (früheren) Arbeiterstadt- wiederholt werden müssen, darf man sich auf eine Propagandaoffensive des FN gefasst machen.