Litauische Scheinheiligkeit

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Letzte Woche hatte ich mich in eine Debatte mit mir selbst verstrickt: sollte ich, trotz dieses Gefühls von Übelkeit – oder sollte ich nicht auftreten in einer Diskussion mit Litauischen Historikern, Schriftstellern und Dichtern bei der International Book Fair in Jerusalem?
Bei diesem Gedanken wurde mir so schlecht, daß ich letztlich entschied, wegzubleiben, und ich überzeugte sogar meinen Freund und früheren Mitpartisan, den einstigen Präsidenten von Yad Vashem Yitzhak Arad, sich bei diesen Diskussionen entschuldigen zu lassen…

Von Dov Levin, Haaretz v. 24.02.2009
Übersetzung: Ch. Schiemann

In den letzten Jahren hat die litauische Regierung bemerkenswerte Anstrengungen unternommen, um das Bild des Landes in der öffentlichen Meinung in Israel zu verbessern. Die Diskussionen in Jerusalem waren Teil dieses Versuches, der gänzlich arglistig und trügerisch ist. Die Politik Litauens hat zwei Gesichter. Das eine lächelt und zeigt demonstrativ Freundschaft zu Israel. Das andere tut alles, um die Gräuel des Holocaust zu verleugnen und die Partisanen und die Überlebenden des Holocaust in Litauen und Israel zu schikanieren.

Mit extremer Dreistigkeit hat der Litauische Staatsanwalt versucht, Arad im Jahr 2007 zu einer Vernehmung vorzuladen, aufgrund der Anklage, er habe „Kriegsverbrechen“ während des 2. Weltkrieges begangen. Ich weiß nicht, was der Vater des Staatsanwaltes während des Krieges getan hat, aber ich weiß, daß Arad und ich, wie viele andere gute Leute, Partisanen waren, und daß wir die Nazis und deren litauische Kollaborateure bekämpft haben.

Ähnliche „Untersuchungen“ laufen in Litauen immer noch gegen eine ganze Reihe von anderen Partisanen. All das geschieht im Kontext der „Rehabilitation“ und der Bewilligung von Gnade en gros gegenüber Litauern, die mit den Nazis zusammengearbeitet haben; eine Politik, die begann, kurz nachdem Litauen in den frühen 1990ern seine Unabhängigkeit erklärte.

Am Ende des 2. Weltkrieges, als Litauen von der Sowjetunion annektiert wurde, wurden eben jene Kollaborateure wegen Kriegsverbrechen ins Gefängnis gesteckt. Die Politik des nach-sowjetischen Litauens war es, die Nazi-Verbrechen und die „Verbrechen“ der Roten Armee, die die Nazis und ihre litauischen Kollaborateure bekämpft hat, gleichwertig zu behandeln.

Als der litauische Präsident Algirdas Brazauskas im Jahr 1993 nach Jerusalem kam, hatte ich, als Überlebender des Holocaust, einen bitteren Streit mit ihm wegen der pauschalen Begnadigungen, die er Zehntausenden von Litauern gewährte, die Juden ermordet hatten und von denen sogar einige das Eigentum derer an sich genommen hatten, die vorher ermordet worden waren.

Als Antwort hielt Brazauskas eine blumige Rede, in der er sagte, er beuge sein Haupt vor den 200.000 Juden Litauens, die im Holocaust umkamen, und um ihre Vergebung „für die Taten derjenigen Litauer, die grausam getötet, geschossen, deportiert und geraubt“ hatten, bat.

Im Nachhinein scheint es jedoch, daß das leere Worte waren. Die Politik der Begnadigungen wurde nur beschleunigt. Ihr eigentlicher Vorsatz ist es, die Litauer von ihrer Verantwortung für die Ermordung des Litauischen Judentums zu läutern und auf diese Weise den Holocaust und seine Bedeutung herunterzuspielen.

Zu meinem Bedauern haben die Regierungen Israels, wegen ihres Verlangens, gute Beziehungen in Diplomatie, Handel und Sicherheit mit Litauen zu erhalten, zu dieser Politik geschwiegen. Anstatt zu protestieren und sie zu verurteilen, und vielleicht sogar die diplomatischen Beziehungen etwas zu dämpfen, hofieren sie das Land.

Diese Anbierderung erreichte ihren Gipfel vor über zehn Jahren, als das Außenministerium zustimmte, daß israelische Historiker an Historiker-Kommitees teilnehmen würden, die über die Rolle Litauens während des Krieges diskutieren sollten.

Das Einberufungsschreiben für das Kommitee ging von einem Punkt der „Gleichartigkeit“ der von den Nazis und ihren litauischen Kollaborateuren begangenen Verbrechen und den „Verbrechen, begangen von der Sowjetunion“ nach der Besetzung Litauens aus.

Heute versucht die litauische Regierung, durch seine Botschaft in Israel, die Blamage mit Kollaborateuren einer neuen Sorte zu trüben und zu verbergen: durch unterwürfige Intellektuelle, die für Diskussionen nach Israel kommen, die nicht im Geringsten mit intellektueller Integrität und kulturellem Diskurs zu tun haben.

Der Autor ist ein früherer Partisan, Mitglied des Ausschusses von Yad Vashem und Professor emeritus an der Hebrew University.

Mehr von Dov Levin:
Sodom und Gomorrha: Braucht der Staat Litauen wirklich einen neuen Namen?
Ehre war das führende Prinzip: Die Beteiligung der litauischen Juden im Zweiten Weltkrieg

1 Kommentar

  1. sehr geehrter herr gall, seit langer zeit verfolge ich die diskussionen zum thema „juden in litauen“ in der litauischen presse und ich kann dem herrn prof. don levin in allen punkten zustimmen. auch ich bekomme ein übelheitsgefühl, besonderes nach dem ich die kommentare der bevölkerung gelesen habe. die litauische online zeitung „lietuvos rytas“ macht sich nicht einmal die mühe die antisemitische und zum judenmord aufrufende kommentare zu entfernen. es ist haarstreubend! ich schicke ihnen einen link zum einen artikel über die bemühungen eines amerikanischen staatsbürgers die litauische staatsangehörigkeit zu bekommen. versuchen sie bitte den harmlosen artikel zu übersetzen und die kommentare dazu! falls es für sie nicht möglich ist einen litauisch dolmetscher zu finden, stehe ich ihnen gerne zu verfügung.
    mit freundlichen grüßen
    janna

    http://www.lrytas.lt/-12679872791265758313-lietuvos-pilietybę-nesėkmingai-bandęs-susigrąžinti-litvakas-žydams-lietuva-miręs-reikalas.htm

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