Antisemitismus von links

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Sogar die Linkspartei zeichnet ein antisemitisches Zerrbild von Israel…

Von Martin Altmeyer, taz v. 22.01.2009

Dass sich in die Kritik an Israel antisemitische Stimmen mischen, sobald die Spannung im Nahostkonflikt steigt, ist als Befund nicht neu. Der Gazakrieg jedoch hat das gewöhnliche Ressentiment gegen die Juden in ungewohnte Höhen getrieben: Der anschwellende Antisemitismus kommt zunehmend aus der extremen Linken, wo er gerne als Antizionismus auftritt. So riefen zu Protestveranstaltungen gegen den Krieg neben palästinensischen und islamistischen Organisationen auch Gruppierungen aus dem linksradikalen Spektrum auf, die bekanntlich dazu neigen, Israel auf ihrer speziellen „Achse des Bösen“ als Statthalter der imperialistischen USA, als Speerspitze des internationalen Finanzkapitals oder als rassistischen Apartheidstaat ins Visier zu nehmen.

Wer sich immer noch mit dem „palästinensischen Widerstand“ gegen die israelische Besatzungsmacht identifizierte, musste freilich die jüngere Geschichte ignorieren: Dass die radikalislamische Hamas Raketen hinterherschoss, als Israel den Gazastreifen räumte. Dass sie dort eine Scharia-Gesellschaft aufzubauen begann und die säkulare Fatah mit Gewalt vertrieb. Dass sie sich als Teil einer islamistischen Internationale begreift, die einen doppelten Feldzug führt: gegen Israel (dessen Existenzrecht sie nicht nur in ihrer Charta – einem einzigartigen Dokument des Judenhasses – bestreitet) und zugleich gegen den ungläubigen, moralisch verderbten, mammonistischen Westen.

Kein Wunder also, dass die so genannten Friedensdemonstrationen sich bald als Aufmärsche gegen den Aggressor Israel entpuppten. Man ergriff Partei für die Hamas, rief antisemitische Parolen und attackierte israelische Fahnen. Auf den Webseiten von Indymedia und alternativen Blogs war die Rede vom „umgekehrten Holocaust“, vom „israelischen Vernichtungskrieg“, vom „Massenmord an Palästinensern“ und von „israelischen Terrorgruppen“, die an der „Endlösung der Palästinenserfrage“ arbeiteten. Kein Vergleich wurde gescheut, um die Juden, indem man sie symbolisch ins Kostüm der Nazis zwang, zum eigentlichen Tätervolk zu machen.

Passend dazu warb der außenpolitische Sprecher der Linkspartei um Verständnis für die Kassam-Raketen der Hamas: „Wer eine Politik der Strangulierung und Entwürdigung verfolgt, darf sich nicht wundern, wenn aus der Verzweiflung und Ohnmacht der Opfer Terrorakte entstehen, die die israelische Bevölkerung in der Nachbarschaft des Gazastreifens treffen.“ Da störte nicht weiter, dass nun auch die NPD den Terror als Waffe der Schwachen rechtfertigte und auf ihrer Homepage vom „Holocaust an Palästinensern“ sprach, die sich von Gaza aus „mit Nadelstichen gegen ihre Kollektivhaft im von Israel kontrollierten Hungerkerker“ wehrten.

Die antisemitische Radikalisierung erreichte ihren Höhepunkt, als Naomi Klein, Ikone der Antiglobalisierungsbewegung, im Guardian dazu aufrief, israelische Produkte, Firmen und Institutionen weltweit zu boykottieren, um endlich den von palästinensischen Gruppen erfundenen Israel-Boykott in der globalisierungskritischen Linken salonfähig zu machen. Umgehend übernahmen Professoren an britischen Universitäten den Aufruf und forderten einhellig Israels Niederlage („Israel must lose!“) – unter ihnen der unvermeidliche Slavoj Zizek und jener Ted Honderich, dem Micha Brumlik, weil er palästinensischen Terror gegen Israel moralphilosophisch zu begründen versucht hatte, einst „philosophischen Judenhass“ attestierte.

In Deutschland dagegen, wo das Existenzrecht Israels aus guten Gründen zur Staatsräson gehört, blieb das mediale Echo auf Naomi Klein verhalten. Thomas Assheuer verwies in einer Randspalte der ZEIT immerhin auf das historische Vorbild der Boykottparole („Kauft nicht bei Juden!“) und auf jenen antisemitischen Affekt, der die Kapitalismuskritik seit Marx und den Frühsozialisten durchzieht – übrigens bis in den deutschen Linksterrorismus hinein (als 1972 die RAF den palästinensischen Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München als „exemplarische Aktion“ feierte, teilte Ulrike Meinhof vor Gericht mit, dass der Antisemitismus der Nazis „seinem Wesen nach antikapitalistisch“ war und die Juden umgebracht wurden „als das, als was man sie ausgab – als Geldjuden“).

Den ideologischen Boden für einen Israel-Boykott hatte Naomi Klein bereits mit ihrem letzten Buch gelegt (The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism, 2007). Dort verbindet sie zwei abenteuerliche Behauptungen zu einem wahren Schauermärchen vom globalen Kapitalismus. Erstens: Dieser sei heute ein Katastrophenkapitalismus, der sich die Welt mittels Schocktherapien – seien es Kriege oder Umweltzerstörung, seien es neoliberale Sozial- und Wirtschaftsprogramme – gefügig mache. Zweitens: Nach 9/11 beziehe das internationale Kapital unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“ seine Profite vorwiegend aus der Vermarktung von Sicherheitstechnologie. Hauptprofiteur dieser Entwicklung sei der Staat Israel, der seinen einschlägigen Entwicklungsvorsprung in Sachen Sicherheit dank des Gazastreifens behalte, ein Freiluftgefängnis, das zugleich als „Labor für eine Festungswelt“ diene, um an den Palästinensern als „Versuchskaninchen“ die Mittel zur Einkerkerung, Überwachung und Ängstigung von Menschen zu testen („Laboratory for a fortressed world“, nachzulesen in The Nation).

Israel benutze, so Naomi Klein in ihrem verstiegenen Essay, „den Status eines befestigten Landes, das von wütenden Feinden umgeben ist, als eine Art rund um die Uhr geöffneten Ausstellungsraum – als lebendiges Beispiel für den Genuss relativer Sicherheit mitten im Dauerkrieg“. Das dämonisierte Israelbild, das sie hier entwirft, enthält die ganze Palette antisemitischer Klischees, nur dass diese nicht den Juden, sondern dem Staat Israel angeheftet werden: die Geschäftstüchtigkeit und Habgier der Juden; ihre Gerissenheit und Hinterhältigkeit; der heimliche Einfluss, den sie in aller Welt ausüben, bis zur Wahnvorstellung von jüdischer Allmacht; das „Gerücht über die Juden“ (Adorno), dem Anspielungen genügen, um zu wissen, wer hinter der großen Weltverschwörung steckt; und schließlich der Vorwurf, die Juden seien selbst für den Antisemitismus verantwortlich.

Wer dieses Zerrbild von Israel ins eigene globalisierungskritische Weltbild einbaut, schreibt die Märtyrerrolle des palästinensischen Volkes fort und braucht zum Schüren des Hasses keinen Antisemitismus mehr. Wer aber stattdessen auf ein eigenständiges Palästina im Rahmen einer Zweistaatenlösung setzt, muss nicht nur Israel anerkennen, sondern auch eine dritte Kraft, die zwischen den Fronten vermittelt.

Entscheidend wird am Ende jedoch sein, ob die Israelis bereit sind, ihren Nachbarn ein staatsfähiges Territorium zu überlassen – und die Palästinenser, Verantwortung für ihren zukünftigen Staat zu übernehmen.

Martin Altmeyer ist Psychologe und vertritt den Ansatz einer „relationalen“ Psychoanalyse. Zuletzt veröffentlichte er (mit Helmut Thomä) das Buch „Die vernetzte Seele. Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse“ (Klett-Cotta 2006).

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