Die Siedlungsbewegung ist fundamental anti-zionistisch

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Es wird immer klarer, wie sehr die religiösen Siedler in den besetzten Gebieten Gegner des Zionismus sind. Etwa der Hälfte der israelischen Wähler ist schon seit Jahren klar, dass diese Besatzungsanhänger die zentrale Idee des Zionismus, nämlich das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung, lange hinter sich gelassen und es durch etwas ganz anderes ersetzt haben: die mystische Verbindung zwischen den Juden und dem Land.

Von Gadi Taub

Der Zionismus hat sich aus der Ablehnung zweier Formen der jüdischen Existenz entwickelt. Abgelehnt wurde auf der einen Seite jene Orthodoxie, die sich in geschlossenen Gemeinschaften in Europa isolierte, auf der anderen Seite die Idee, Juden könnten sich assimilieren und dennoch, ganz im Privaten, eine intakte jüdische Religiosität bewahren. Mit anderen Worten: Die Zionisten wehrten sich dagegen, das Judentum nur als Religion zu sehen.

Mit dem allgemeinen Aufkommen eines nationalen Bewusstseins in Europa wurde den frühen Zionisten klar, dass auch die Juden, wollten sie dazugehören und ihre Existenz normalisieren in einer Welt, in der die Leute ihre Identität immer mehr auf die Zugehörigkeit zu einer Nation gründen – auch sich selbst als Nation sehen müssten.

Die orthodoxen Rabbiner des späten 19. Jahrhunderts betrachteten den Zionismus völlig zu Recht als eine Bedrohung ihres Weltbilds und die Bewegung als eine Art Gotteslästerung. Bis heute stehen die ultraorthodoxen Juden Israels dem jüdischen Staat, in dem sie leben, offen feindselig gegenüber.

Zu dieser Regel gab es eine bis heute wichtige Ausnahme: den hegelianischen Mystiker Rabbi Kook. Kook hatte sich ein religiöses System ausgedacht, in dem der säkulare Zionismus und der orthodoxe Antizionismus zwei Teile eines künftigen Ganzen seien, die sich gegenseitig bedingten. Kooks Lehren versetzte eine zunächst winzige Fraktion der Orthodoxen in die Lage, an der nationalen Erweckungsbewegung teilzunehmen. Aber die Ränder rückten nach dem Sechstagekrieg von 1967 in die Mitte. Das gesamte israelische Volk war nach dem strahlenden Sieg über die arabischen Armeen hellauf begeistert, aber kaum jemand mehr als der Sohn von Rabbi Kook.

Der Sohn, selbst ein Rabbiner, sah den Krieg als Beweis für die Lehren seines Vaters, denn er habe Religion und Politik unter seinen Anhängern einander näher gebracht. Die Erlösung schien ihm unmittelbar bevorzustehen, und seine Anhänger setzten ihren ganzen Eifer daran, das Heilige Land zu retten, indem sie die neu eroberten Gebiete besiedelten, um eine Rückgabe an die Araber zu verhindern.

Die Besiedlung war niemals ein legaler oder auch nur legalisierter Prozess. Gewiss, manchmal wurde sie von den konservativen israelischen Regierungen unterstützt und ermutigt. Aber häufig begann es damit, dass Zeloten Fakten auf dem Boden schaffen wollten.

Eines Morgens stand eine Karawane auf einem neuen Hügel, am nächsten Morgen noch eine, und ein paar Tage später forderten sie den Schutz der Armee, dann Wasser und Strom, dann politische Anerkennung. Viele Israelis sympathisierten damit, aber nicht einmal konservative Regierungen waren bereit, die Territorien zu annektieren. Denn die Annektierung würde die klare jüdische Mehrheit in Israel aufs Spiel setzen. Die meisten Israelis haben sich die Dimension des Problems nicht bewusst gemacht, bis klar wurde, dass es langfristig einen bi-nationalen Staat schaffen würde. Und dies, das wissen sie sehr genau, wäre das Ende des Zionismus.

Das hat schließlich auch Ariel Scharon erkannt und den Traum von Groß-Israel aufgegeben. Aber die Tatsache, dass viele Siedler ihm immer noch anhängen, hat ans Tageslicht gebracht, dass sie nicht nur den demokratischen Prozess umgangen, sondern schon immer die ursprünglichen Intentionen des Zionismus konterkariert haben. Deshalb ist die Trennung von Israelis und Palästinensern durch Mauerbau und Teilrückzug der Kern von Ariel Scharons Politik.

Auch wenn er große Stücke palästinensischen Landes annektieren will, ist der Strategiewechsel beachtlich: weg von der Ideologie eines Groß-Israel, wie sie von den Likud-Regierungen und der Siedlerbewegung bisher stets vertreten wurde. Es dämmert die Erkenntnis, dass auf lange Sicht die einzige Chance für das Überlehen des Zionismus, der israelischen Gründungsphilosophie, in der nationalen Befreiung Palästinas bestehe. Das gilt auch umgekehrt: Die einzige Hoffnung auf palästinensische Unabhängigkeit liegt im Zionismus.

Denn der Zionismus wollte jüdisches Leben normalisieren, indem er die Juden zu einem Volk unter vielen machte – souverän in ihrem eigenen demokratischen Nationalstaat Die religiösen Nationalisten dagegen sahen das Instrument dieser Normalisierung, den demokratischen Staat, als einen temporären Schritt in eine andere Richtung, als eine Phase auf dem Weg zur religiösen Erlösung. Deshalb machen sie sich auch keine Sorgen darüber, dass die Besetzung eines ganzen Volkes den demokratischen jüdischen Staat seine Existenz kosten wird.

Dieser säkulare Staat ist für sie nur Mittel zum Zweck, kein Ziel an sich, und wenn die Mittel ausgewechselt werden müssen, dann bitte sehr. Und so scheint es, als sei die ursprüngliche Animosität zwischen dem Zionismus und der jüdischen Religion noch lange nicht überwunden.

Gadi Taub ist Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Übersetzung: Mariam Lau.
Der Artikel erschienen am 21. Juni 2004 in „Die Welt“ und am 24. Juni 2004 in den „Israel Nachrichten“.