Wahlkampf mit unlauteren Mitteln

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Die hochgewachsene blonde Braut steht neben ihrem untersetzen Bräutigam orientalischer Herkunft. Zwischen ihnen steht ein klobiges Faxgerät. Alle warten auf den Beginn der Zeremonie. „Moment“, ruft die Braut und gibt die Kurzwahl „Sternchen, Übertritt“ ein…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 13. Januar 2013

Schon spuckt das Gerät ein Dokument aus. „Bist du etwa keine Jüdin“, fragt der verdatterte Bräutigam bei marokkanischer Musik im Hintergrund. „Da“, ruft die Braut auf russisch, „jetzt ja.“ Dieses Wahlkampffilmchen der orientalisch frommen Schaspartei sollte den abschätzigen Umgang mit den hehren Werten der jüdischen Religion kritisieren. ((http://bcove.me/audcqglm))

Doch Oberrichter Eljakim Rubinstein konnte über diese Parodie gar nicht lachen. Als Vorsitzender des Wahlkampfkomitees ließ er den Film wegen „rassistischer Hetze“ absetzen. Auch andere Parteien litten nach Ansicht von Rubinstein unter Geschmacksverirrungen und mussten ihre aufwendig hergestellten Filmchen wieder zurückziehen. So ließ eine arabische Partei per Trickfilm nationalistische Politiker wie Avigdor Lieberman und Benjamin Netanjahu die israelische Nationalhymne auf arabisch singen. Das ging zu weit und wurde wegen „Verhöhnung nationaler Werte“ abgesetzt. Die linksgerichtete und anti-religiös eingestellte Meretzpartei musste sich entschuldigen, in einem ihrer Filmchen Bilder der achtjährigen Naama Margoliot aus Beth Schemesch verwendet zu haben. Im vergangenen Jahr hatte ein orthodoxer Jude das Mädchen wegen „unzüchtiger Kleidung“ bespuckt. Ganz Israel kochte nach diesem Vorfall. Die Mutter des Mädchens bat die Meretz Partei, das Kind nicht zusätzlich zu quälen und für den Wahlkampf zu missbrauchen. Doch die Verbote nützen nicht viel, da alles im Internet abrufbar bleibt.

„Einen so eigentümlichen Wahlkampf habe ich noch nie erlebt,“ sagt ein Taxifahrer. „Man sieht nichts davon auf den Straßen.“ Tatsächlich sind fast nirgendwo Wahlplakate zu sehen. Mal ein kleines Plakat am Heck eines Linienbusses oder ein einzelner „Bibi“ (Benjamin Netanjahu) an einer Straßenecke. Selbst die von Kindern an Ampeln ausgeteilten Handzettel sind nicht dreifarbig auf Hochglanzpapier gedruckt, sondern mit heimischen Druckern schwarz-weiß vervielfältigt.

Die entscheidenden Werbekampagnen sind ins Internet abgewandert und besonders in soziale Netzwerke wie Facebook. Manche Politiker baggern sich durch das ganze Land und beschwätzen Wähler persönlich im häuslichen Kreis. Ohne Voranmeldung lief die „linke“ Vorsitzende der Arbeitspartei durch den Machaneh Jehuda Gemüsemarkt in Jerusalem, eine klassische Hochburg der „Rechten“. Da hängen noch Wahlkampfplakate aus den „guten alten Zeiten“ mit dem Abbild von Menachem Begin aus den siebziger Jahren. Ebenfalls „spontan“ besuchte Premierminister Netanjahu einen Schwulen- und Lesben-Nachtklub. In den Vierteln der Ultra-Orthodoxen schaukeln schwarzgekleidete Männer mit großen Hüten auf dem Kopf im Gebet, um dann der Predigt eines Rabbi mit Rauschebart zu lauschen. Der wettert gegen Absichten der „Weltlichen“, Talmudschüler durch Wehrdienst vom frommen Studium abzulenken.

Traditionell wird der Wahlkampf in elektronischen Medien ausgetragen, zumal Anzeigen in Zeitungen nur eine viertel Seite groß sein dürfen und inhaltlichen Beschränkungen unterliegen.

Drei Mal täglich werden im Radio und Fernsehen Reklamesendungen mit unterschiedlichem Niveau ausgestrahlt. Erst wird der symbolische Buchstabe der Partei genannt, zum Beispiel „EMT“ für die Arbeitspartei, was auf Hebräisch „Wahrheit“ bedeutet. Zipi Livni erzielt „ZI“ ihres Vornamens. Yair Lapids Partei „Es gibt eine Zukunft“ lockt die Wähler mit „PH“, ausgesprochen „Po“ und „Hier“ bedeutend. Eine rechtsradikale Partei wählte „NZ“ („Falke“). Den delikaten Buchstaben für ein weiches „S“, „Sein“ ausgesprochen, ist eine schmutzige Bezeichnung für das männliche Glied. Den ließ sich die „Neue Land“-Partei reservieren. Ihre langhaarigen Kandidaten werben für kostensloses Runterladen von Musik aus dem Internet.
In Israel malt man kein Kreuzchen auf eine Liste. Im Wahllokal stehen Zettelkästen. Man pickt sich den Zettel mit der gewünschten Buchstabenkombination heraus und steckt ihn in einen Briefumschlag. Deswegen spielen diese symbolischen Buchstaben eine so große Rolle und sollten einen Wiedererkennungseffekt haben.

Im Gegensatz zu früher, dürfen die Politiker auch während des Wahlkampfes in den Medien aufzutreten. „Aber bitte keine Wahlkampfparolen“, flehen die Moderatoren pflichtgemäß, während die interviewten Wahlkämpfer geschickt oder plump ihre Botschaften an den Mann bringen. Da darf dann der Premierminister in einem „Exklusivinterview“ die großartigen Erfolge seiner Regierungszeit aufzählen, die blühende Wirtschaft, kostenlose Zahnbehandlung für Kinder, sinkende Arbeitslosigkeit und eine „verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik“. Ein Oppositionspolitiker kontert, wie Netanjahu in „unverantwortlicher Weise“ den Staat Israel in die internationale Isolation treibe, die Welt mit Siedlungen unnötig provoziere und mit sinnlosen Rüstungskäufen den Mittelstand in die Armut stürze.

Hochkonjunktur haben auch Politologen und Umfrageexperten. Sie spekulieren, zumal die Umfrageergebnisse erheblich schwanken, wegen einem hohen Anteil „Unentschiedener“ und etwa 25%, die diesmal „nicht wählen wollen“.

Ein abgelauschtes „Streitgespräch“ zwischen Sarah, ihrem Mann und einem älteren Ehepaar steht für die Stimmung im Land. Sarah: „Den Netanjahu halte ich für gefährlich. Aber wen sollte man wählen, um den abzuschaffen. Die beiden Zicken, Zipi Livni und Scheli Jechimowitch, sind doch unsäglich.“ Isak ist fromm und fleht das jüngere Paar an, doch Schas zu wählen, die orientalisch-fromme Partei, damit wenigstens die jüdischen Werte respektiert würden. „Aber wenn jetzt der heilige Rabbi Ovadja wegen Hirnschlag ausfällt, kann ich Schas eigentlich nicht mehr wählen“, sagt Isak grübelnd. Das Los zieht seine Frau: „Ich habe den Beschluss gefasst, nicht zu wählen. Ich wüsste nicht, wem ich die Stimme geben sollte.“

Experten bestätigen diese typische Ratlosigkeit. Es geht weder um Ideologie noch um handfeste Themen. Frieden mit einer arabischen Welt im Chaos oder mit Palästinensern, die wetteifern, den jüdischen Staat abzuschaffen, steht nicht zur Debatte. Alle sind sich einig, dass Israel angesichts der arabischen Umwälzungen die Armee stärken muss. Deshalb bleibt kein Geld übrig, verarmten Alten zu helfen oder Wohnungen zu subventionieren. „Bei diesem Wahlkampf geht es allein um die Gesichter und Namen der Politiker, nicht um Inhalte“, meinte treffend ein Politologe im Rundfunk.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com