Während die beiden deutschen Kirchen sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Sinti und Roma gegenüber in erster Linie abweisend, gleichgültig oder passiv verhalten, bzw. ihren Beistand und ihre Barmherzigkeit von Bedingungen abhängig gemacht hatten, luden sie während der zwölf Jahre, die das „Dritte Reich“ währte, passiv und aktiv Schuld auf sich. Diese Schuld ist in ihrer Schwere nicht wiedergutzumachen, sie ist unsühnbar und untilgbar, sie entzieht beiden christlichen Kirchen in Deutschland jedwede Glaubwürdigkeit…
Von Robert Schlickewitz
Ohne Notwendigkeit und obwohl sich die Vorboten des Nationalsozialismus doch antidemokratisch, gewalttätig, ja, mörderisch, angekündigt hatten, begrüßten katholische und evangelische Geistliche in Bayern und Deutschland die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme enthusiastisch in ihren Predigten und kirchlichen Mitteilungsblättern: „Mit Dank und Freude nimmt die Kirche wahr, wie der neue Staat der Gotteslästerung wehrt, der Unsittlichkeit zu Leib geht, Zucht und Ordnung mit starker Hand aufrichtet, wie er zur Gottesfurcht ruft…“ (aus einer evangelischen Osterpredigt des Jahres 1933).
Mit eigener, aktiver Kirchenpolitik, so geschehen zum Beispiel mit dem Konkordat, dass der Vatikan mit dem Deutschen Reich im Jahre 1933 schloss, verhalf der Kirchenstaat den im Ausland vielfach misstrauisch beäugten Nationalsozialisten zu einem ersten außenpolitischem Erfolg. In diesem vielzitierten Übereinkommen bestätigte die Kirche u.a. die Auflösung der demokratischen katholischen Zentrumspartei zugunsten des NS-Regimes. Ein römischer Papst, Pius XI., legitimierte somit die Beseitigung der Demokratie in Deutschland.
Aber es sollte noch schlimmer kommen: Um ihre Auslese unter den Deutschen möglichst wirkungsvoll betreiben zu können, benötigten die Nationalsozialisten alte Dokumente wie Tauf- und Heiratsregister. Nur anhand dieser ließ sich zurückverfolgen, wer als „arisch“ bzw. wer als „rassisch minderwertig“ („Zigeuner“ und Juden) eingestuft werden konnte. Bereitwillig erteilten beide deutsche christliche Kirchen ihr Einverständnis für die Benutzung ihrer Verzeichnisse zu rassenkundlichen Forschungen; die bayerischen Evangelischen taten dies bereits im Februar 1934. Dabei wurden die Kirchen zu dieser Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei und der Zigeunerforschungsstelle erst 1940 vom Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten förmlich verpflichtet. Die Kirchen handelten demnach ohne Not gemäß dem Prinzip vorauseilenden Gehorsams.
Der berüchtigte „Zigeuner“-Forscher, Robert Ritter, sollte sich später bei einzelnen evangelischen und katholischen Kirchenoberen für die gedeihliche Zusammenarbeit, die Hunderttausenden das Leben kostete, bedanken.
Nachdem 1935 die „Nürnberger Gesetze“, die die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, sowie rassische Diskriminierung von Nichtariern einleiteten, Sinti und Roma noch nicht namentlich genannt hatten, folgte bald darauf der sogenannte „Runderlass“ mit seinem Verbot der „Rassenmischehen“, in dem „Zigeuner“ nun explizit erwähnt wurden. Das bayerische katholische Klerusblatt vom 22. Januar 1936 lobte diese Maßnahmen „zur Erhaltung und Erneuerung des deutschen Blutes“ und stellte damit die eigene Befähigung zur Verbreitung von NS-Propaganda unter Beweis. Im März 1937 veröffentlichte der Vatikan die von Papst Pius XI. und dessen Stellvertreter Eugenio Pacelli verfasste Enzyklika „Mit brennender Sorge“ zur Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich. Das Kirchenpapier kritisierte religionsfeindliche Maßnahmen des NS-Regimes, stellte letzteres jedoch nicht in Frage. Das Thema Rasse bzw. Verfolgung aus rassischen Gründen wurde nur beiläufig thematisiert – Sinti und Roma, sowie Juden als Meistverfolgte hingegen, blieben unerwähnt. Auch die Rassenlehre, die doch jedweder christlichen Lehre Hohn sprach, wurde keiner Kritik unterzogen. Höchst befremdlich mutet zudem die Aufforderung der Kirchenspitze an die deutsche Jugend an, sich dem neuen (= NS-)Deutschland anzuschließen. Dies kam einem Bekenntnis der Kirche zum Hitler-Regime sehr nahe. Zuletzt bleibt anzumerken, verwendeten die Autoren des Dokuments den Begriff „Volksgemeinschaft“, der doch definitionsgemäß Sinti und Roma bzw. Juden ausschloss.
Ebenfalls 1937, als die Verfolgungen beider Minderheiten voll im Gange waren, beantwortete der bayerische Kardinal Michael von Faulhaber Forderungen nach Fürsprache oder Einschreiten gegen die Verfolgung von „nichtarischen“ Menschen mit dem Satz „Es ist eine Zeit zu schweigen.“ Ganz gemäß dieser Anordnung von ganz oben fügte sich die große Mehrheit der katholischen Geistlichen in Bayern. Keiner von ihnen besaß die Zivilcourage gegen die Verfolgung von „Zigeunern“ zu predigen oder gar sich mit Sinti und Roma solidarisch zu erklären. Hierbei spielte übrigens persönliche Angst eine eher untergeordnete Rolle – viel zu sehr teilten hohe wie niedere Geistliche die Abneigung gegenüber „Zigeunern“ bzw. den Rassismus mit der Mehrheit der Bayern bzw. Deutschen.
Dies wurde nur zu offensichtlich bei einem Thema, das vor allem der katholischen Kirche doch stets ein so bedeutsames Anliegen war, und noch ist – der Geburtenregelung. Als der NS-Staat 1937 die Sterilisierung „reinrassiger Zigeuner“ beschloss und die Durchführung des Beschlusses umgehend einleitete, schwieg die katholische Kirche beharrlich. Das Los der „Zigeuner“ war ihr vollkommen gleichgültig.
Als 1938 auf Initiative des aus Bayern stammenden Bischofs von Berlin, Konrad Graf von Preysing, ein „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ eingerichtet wurde, das denjenigen Katholiken Beistand leisten sollte, die von den „Nürnberger Gesetzen“ betroffen worden waren, zählten Sinti und Roma, wie zu erwarten war, nicht zu deren Klienten.
Bei der von München aus dirigierten und gegen die Juden gerichteten Reichspogromnacht („Reichskristallnacht“) vom 9. November 1938 gehörten Sinti und Roma noch nicht zu den Betroffenen. Jedoch war der nur einen Monat später veröffentlichte Himmlersche sogenannte „Runderlass“ – über die Bekämpfung der Zigeunerplage – voll und ganz auf sie abgestimmt und traf sie mit aller Härte. Beide Anlässe, Reichspogromnacht und „Runderlass“, fanden offensichtlich die Billigung der beiden deutschen Kirchen, denn deren Spitzen übergingen sie und hüllten sich in Schweigen.
Auch die systematischen Gruppenverfolgungen von „Zigeunern“, die im Frühjahr 1939 einsetzten und hunderte Einlieferungen in die KZs Dachau und Ravensbrück zur Folge hatten, machten auf die Kirchen in Deutschland keinen registrierbaren Eindruck.
Gebrochen wurde das kirchliche Schweigen erst nach Kriegsbeginn (1. September 1939) bzw. nach der Eroberung Polens, die die Oberhäupter der evangelischen und katholischen Kirche Bayerns, Meiser und Faulhaber, mit Dankespredigten („Gottessieg“) und freudigem Kirchengeläute feierten. Danach freilich wurde wieder einvernehmlich geschwiegen.
So boten die Folgen von Himmlers „Auschwitz-Erlass“ vom Dezember 1942, der für Zehntausende Sinti und Roma aus elf europäischen Ländern die Deportation nach Auschwitz mit sich brachte, keinen Anlass auch nur für einen einzigen evangelischen oder katholischen höheren Kleriker im Deutschen Reich zu einer als human zu bezeichnenden Reaktion.
Dabei war das NS-Regime durchaus nicht allmächtig. Widerstand hätte und hatte etwas bewirken können, wie zwei Beispiele belegen.
So hatten die Nationalsozialisten im Oktober 1934 den evangelischen Landesbischof in Bayern, Hans Meiser, für abgesetzt erklärt. Sie mussten ihn jedoch aufgrund der heftigen Proteste aus weiten Kreisen der evangelischen Christen kurz darauf wieder einsetzen.
Und dann, im Frühjahr des Kriegsjahres 1941, wenige Monate vor dem deutschen Angriff auf die Sowjet Union, während an anderen Schauplätzen heftige Kämpfe im Gang waren: Der Gauleiter von Bayern, Adolf Wagner, ein überzeugter Nationalsozialist und Kirchengegner, ordnete an, dass sämtliche Kruzifixe in Münchner Schulen durch „zeitgemäße Bilder“ (Porträts des „Führers“?) zu ersetzen seien. Dem daraufhin einsetzenden Proteststurm sah sich das Regime nicht gewachsen, Hitler persönlich musste den Kruzifixerlass rückgängig machen und die Kreuze kamen wieder an ihren angestammten Platz.
Es sei an dieser Stelle die rein rhetorische Frage gestellt – was denn wohl geschehen wäre, wenn die mehrheitlich katholische Bevölkerung Bayerns ebenso leidenschaftlich wie sie sich gegen die Entfernung eines Symbols aus Holz, sich gegen die Entfernung von Menschen aus Fleisch und Blut (Sinti und Roma, Juden) eingesetzt hätte (?).
Den gesamten Krieg über versorgte ein Netzwerk aus Geistlichen, sowie Kirchengetreuen den Vatikan mit zum Teil präzisesten Angaben über Deportationen und Menschenvernichtungsaktionen der Deutschen in den von ihnen im Osten Europas errichteten Konzentrationslagern. So teilte zum Beispiel der päpstliche Nuntius in der Slowakei Burzio der Kirchenspitze in Rom am 9. März 1942 die Deportation von 80 000 Menschen nach Polen mit – außerdem fügte er noch hinzu „bedeutet für einen Großteil die Verurteilung zum sicheren Tod“. Dennoch hielt der Vatikan bis Kriegsende an seinem offiziellen Standpunkt fest: Es wäre nicht möglich, Informationen über die „Endlösung“ zu bestätigen, und bei Berichten über Massaker der Deutschen handele es sich um „Übertreibungen“.
Selbst als einzelne (nichtdeutsche) Bischöfe, wie im Mai 1942 der Erzbischof von Zagreb, Aloys Stepinac, das Oberhaupt der kroatischen katholischen Kirche, in einer Predigt vor mehreren tausend Gläubigen den deutschen Völkermord anprangerte („Alle Rassen und Völker wurden nach dem Ebenbild Gottes erschaffen … die Kirche kritisierte daher in der Vergangenheit und kritisiert in der Gegenwart alle ungerechten und gewalttätigen Handlungen, die im Namen der Klasse, der Rasse oder der Nationalität begangen wurden. Es ist verboten, Zigeuner und Juden auszurotten, weil sie angeblich einer minderwertigen Rasse angehören“), blieb der Papst, inzwischen Pius XII. (Eugenio Pacelli), unbeeindruckt und schwieg. Ebenso wie Stepinac folgten auch der polnische Kardinal Hlond, der französische Bischof Delay und der österreichische Bischof Gföllner ihrem Gewissen und appellierten an gemeinmenschliche Gefühle, an Zivilisation, an Ethik. Sie stießen ebenso wie ihr kroatischer Vorredner auf trotziges, oder ängstliches, oder eiskaltes päpstliches Schweigen. Der nur zu offensichtliche Bund, den der Kirchenstaat mit den Deutschen eingegangen sein musste, war nicht zu erschüttern, oder gar zu durchbrechen.
Dem Bischof von Berlin, Graf von Preysing, der Pius XII. 1943 gebeten hatte gegen den Massenmord an den Juden einzuschreiten (Sinti und Roma hatte Preysing gar nicht erst erwähnt), wurde die päpstliche Antwort zuteil, eine öffentliche Verurteilung der Judenvernichtung fände keine Beachtung, zudem sei die von den deutschen Bischöfen abgegebene Erklärung, wonach „andere Rassen“ menschlich zu behandeln seien, bereits ausreichend und würden bewirken, dass ihnen (dem höheren deutschen Klerus) nach dem Kriege die Weltöffentlichkeit mit Achtung begegnen werde.
Im Mai 1943 richteten Sinti und Roma, die aus dem Deutschen Reich nach Auschwitz deportiert werden sollten, ein ebenso verzweifeltes wie vergebliches Bittschreiben an Kardinal Adolf Bertram, den Vorsitzenden der (katholischen) Bischofskonferenz, zugleich Oberhaupt der deutschen Katholiken: „Man geht systematisch dazu über, unseren Stamm auszurotten … Aus all den angeführten Gründen erachten wir es als ein Gebot der Menschlichkeit, diese Vorgänge zur Kenntnis zu bringen und um Fürsprache und Prüfung zu bitten.“ Bzw. „Alle Zigeuner Deutschlands“ flehten ihn (Bertram) an, im Namen des Episkopats etwas zu unternehmen, „denn wenn unsere katholische Kirche uns nicht in Schutz nimmt, so sind wir einer Maßnahme ausgesetzt, die moralisch wie auch rechtlich jeder Menschlichkeit Hohn spricht. Wir betonen hierbei, daß es hier nicht um einzelne Familien geht, sondern um 14 000 katholische Angehörige der römisch-katholischen Kirche, und an die folgedessen unsere katholische Kirche nicht achtlos vorübergehen kann.“
Obwohl diese Dokumente 1995/1996 veröffentlicht wurden, war die deutsche katholische Kirche bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts nicht in der Lage die immense Schuld Bertrams und ihrerselbst in vollem Umfang einzugestehen.
Der bayerische Kardinal Faulhaber, einer der menschlich wie moralisch zweifelhaftesten christlichen Würdenträger Deutschlands seiner Generation, rief noch im Oktober 1943 zur Fortsetzung des für Deutschland längst verlorenen Krieges, und damit zur Verlängerung des Leidens von Millionen von Menschen in ganz Europa auf. Der unselige Bayer, nach dem heute noch zahlreiche Straßen in mehreren Städten benannt sind, fürchtete den Kommunismus über alles und formulierte u.a. „Niemand kann in seinem Innern einen unglücklichen Ausgang des Krieges auch nur wünschen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass in diesem Fall die staatliche und kirchliche Ordnung, überhaupt jede Ordnung vom russischen Chaos umgeworfen würden.“
Nicht alle katholischen Geistlichen in Bayern und Deutschland waren so feige wie ihre Kardinäle und Bischöfe. Eine kleinere Anzahl deutscher Priester und Kaplane setzte sich für mehr Menschlichkeit ein und wurde dafür u.a. mit Konzentrationslageraufenthalten bestraft. Die Haftbedingungen für diese bescheidene Gruppe niederer deutscher Geistlicher waren jedoch nicht mit denen von Sinti und Roma oder Juden vergleichbar, wie der ehemalige Dachauer Häftling, der Niederländer Nico Rost, in seinem Lagertagebuch für den 21. März 1945 festhielt: „Nachdem ich nun Tag für Tag mit den Totenlisten von Block zu Block gehe … steht es bei mir fest, dass Hunger eine der Hauptursachen des großen Sterbens ist. Im Block 2, wo die meisten Deutschen liegen: fast keine Toten… Im Block 14: keine Toten. Dort liegt das Küchenpersonal… Im Block 26 – dem Geistlichenblock: fast keine Toten; sie haben lange Zeit hindurch sehr viele Pakete bekommen, und die meisten von ihnen bekommen sie noch. Sonst überall: Tote, Tote. Sie liegen nicht nur in der Straße vor der Totenkammer, sondern nun auch vor den Quarantänebaracken, nackt im Schnee – oft sogar darunter begraben. Sie liegen auch in den Waschräumen und im WC…“
Als Hitler, noch vor der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, am 30. April 1945 im Bunker der Berliner Reichskanzlei seinem Leben ein Ende setzte, meldete nur wenig später der „Großdeutsche Rundfunk“, der „Führer“ sei „bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend für Deutschland gefallen.“
Das Oberhaupt der deutschen Katholiken, Kardinal Adolf Bertram, ordnete daraufhin an, in allen Kirchen „ein feierliches Requiem zu halten im Gedenken an den Führer.“
Ebenso wie die beiden deutschen (und bayerischen) Staatskirchen während des „Dritten Reiches“ menschlich total versagt hatten, versagten sie auch danach: Der Regensburger Bischof Michael Buchberger, der in den letzten Tagen des Nationalsozialismus den Tod eines jungen Predigers, den er hätte retten können, verschuldet hatte, entschuldete in einem Schreiben an die amerikanische Militärregierung verhaftete NS-Funktionäre: Viele hätten „nur äußerlich und nur infolge schweren Druckes zur Partei“ gehört und viele seien der NSDAP beigetreten in gutem Glauben „daß die Nazi ihre Regierung auf den Boden des Christentums stellen werden.“
Etwa gleichzeitig verfassten Kardinal Faulhaber und Landesbischof Meiser gemeinsam Eingaben an die amerikanische Militärverwaltung, in der sie forderten, ehemalige NS-Parteigenossen und SS-Angehörige nicht pauschal zu verurteilen, und inhaftierte Kriegsprofiteure, wie Bankiers oder Industrielle, freizulassen.
In den darauf folgenden Jahren gaben sich vor allem die katholischen Bayern allergrößte Mühe ihre Urheberschaft am „Dritten Reich“ zu unterdrücken. So behauptete zum Beispiel die einst gern gelesene bayerische Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“ im Jahre 1947: „Kirche und Nationalsozialismus schlossen sich in allem Wesentlichen gegenseitig aus wie Licht und Finsternis, wie Wahrheit und Lüge, wie Leben und Tod.“ Das gleiche Blatt hatte noch 1933 verkündet: „Die Person Hitlers selber ist zum Symbol des Glaubens der deutschen Nation an ihren Bestand und ihre Zukunft geworden.“ Bzw. „das Zeichen der Natur (=Hakenkreuz) findet seine Erfüllung und Vollendung erst im Zeichen der Gnade (= im Kreuz).“
Ganze Kohorten willfähriger bayerischer Geschichtsschreiber versuchten in den vergangenen sieben Jahrzehnten nach sämtlichen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften, und nicht selten kurz vor Lebensende noch mit Verdienstkreuzen geehrt, die heimische Geschichte gesund zu schreiben. So wurden bayerische Katholiken nicht müde ihren Kardinal Faulhaber unter völliger Verdrehung der Tatsachen zum Vorbild eines tapferen und weitsichtigen Widerständlers hochzustilisieren.
Die deutschen katholischen Bischöfe leugneten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust, sie protestierten gegen die als „Unrecht“ empfundenen „Nürnberger Prozesse“ und setzten sich für Massenmörder ein. Hohe Kirchenfunktionäre halfen NS-Vollstreckern wie Eichmann oder Mengele sich der Justiz zu entziehen, sie statteten sie mit falschen Pässen aus, und ermöglichten ihnen so die Ausreise nach, und das Untertauchen in, Südamerika. Der Vatikan legte Fürsprache für überführte Kriegsverbrecher ein, oder er ließ Naziverbrecher auf seinen weitläufigen Besitzungen verstecken, um sie vor Auslieferung oder Verhaftung zu bewahren. Einer der kirchlichen Beteiligten jener Jahre, ein enger Vertrauter des Papstes Pius XII., Alois Hudal, hat sein zweifelhaftes Wirken sogar in einem Buch („Römische Tagebücher. Lebensbericht eines alten Bischofs“) dokumentiert. Der spätere Papst Paul VI., gehörte, als er noch Monsignore Montini genannt wurde und als die rechte Hand von Pius XII. fungierte, ebenfalls zum vatikanischen Täter-Helferkreis.
Die Kirche versagte sittlich und moralisch ein weiteres Mal.
1949 erließ Papst Pius XII. ein Dekret, das die Exkommunikation all jener Katholiken vorsah, die den Kommunismus aktiv unterstützten. – Pius exkommunizierte hingegen nicht den katholisch getauften Adolf Hitler, er exkommunizierte auch keinen einzigen deutschen Vollstrecker des Genozids an Sinti und Roma oder Juden, und er exkommunizierte auch keinen einzigen Deutschen, der an der Ermordung der Zivilbevölkerung besetzter Länder oder der Kriegsgefangenen beteiligt gewesen war.
Was nur mag ihn davon abgehalten haben?
Welchen Wert haben Kirchen, die die Ärmsten der Armen Jahrhunderte über entweder nicht wahrnahmen oder gar sich mit den Mächtigen gegen sie verschworen? Welchen Wert haben Kirchen, die die Schwächsten der Gesellschaft im Augenblick allerhöchster Bedrohung im Stiche lassen? Welchen Wert haben Kirchen, die Jahrzehnte über ihre Schuld leugnen und erst, nachdem die Beweislast gegen sie erdrückend wird, sich zu Teilgeständnissen herablassen?
Welchen Wert?
Als Vorlage für diesen Beitrag diente meine Chronik der Sinti und Roma in Bayern: www.sintiromabayern.de
Bild oben: Sinti und Roma Kinder, Berlin 1926, (C) Bundesarchiv, Bild 183-1992-0918-505 / CC-BY-SA 3.0
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„Obwohl diese Dokumente 1995/1996 veröffentlicht wurden, war die deutsche katholische Kirche bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts nicht in der Lage die immense Schuld Bertrams und ihrerselbst in vollem Umfang einzugestehen.“
Auf den ersten Blick mag dieser Satz irritieren, denn Papst Johannes Paul II. hat sich vor siebzehn Jahren in der Tat entschuldigt und Schuld eingestanden. Dabei hat er sich nicht nur an Juden, sondern auch an Sinti und Roma gewandt.
Aber, und darauf kommt es an:
Die Kirche hat ihre Schuld nicht in vollem Umfang eingestanden, genau wie es der Autor oben formuliert hat.
Die Kirche hat die einzelnen Täter in den eigenen Reihen nicht einzeln namentlich aufgezählt.
Die Kirche hat die diversen Verbrechen, Vergehen und Heucheleien nicht benannt und nicht bestimmten Tätern zugeordnet.
Die Kirche ließ es bei einem Wortebrei bewenden, unter dem man sich alles und nichts vorstellen kann.
Ein Schuldeingeständnis muss vollständig sein, sonst kann es nicht ernst gemeint sein.
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