Wenn man sich in Deutschland auf eines verlassen kann, dann auf alte Ressentiments. Vor allem wenn es rassistische Ressentiments sind. Die funktionieren bis heute tadellos…
Von Ramona Ambs
Eines dieser alten Ressentiments lautet: Zigeuner und Juden klauen Kinder. Die einen, um sie zu verkaufen, die anderen, um sie zu schlachten und zu Mazzen zu verbacken.
Das diese Ressentiments noch immer da sind, konnte man letzten Herbst gut beobachten. Da tauchte plötzlich in den Zeitungen ein kleines hellblondes Mädchen auf. Maria. Aus Farsala. Arisch as arisch can. Und dieses arme Wesen wurde bei einer Roma-Familie gefunden. Der Fall schien klar.
Das Mädchen musste geklaut worden sein.
Ganz eindeutig.
War es dann aber nicht.
So wenig gestohlen wie die blonden Kinder der Roma aus Irland, Serbien und Italien, die in den Wochen danach ebenfalls als geklaute Kinder durch die Medien gezerrt wurden.
Im Fall Maria kann man sagen: Die Polizei hat das Kind gestohlen. Und zwar den Eltern, denen es anvertraut wurde.
In allen anderen Fällen muss man feststellen: Kein Kind war geklaut. Es waren alles eigene leibliche Roma-Kinder.
Eigentlich sollte man doch meinen, so kurz nach diesem letzten Skandal, sei die Öffentlichkeit etwas sensibilisiert. Aber offenbar blieb von diesem Ereignis nur das hängen, was alle ohnehin schon immer wußten: Zigeuner klauen Kinder.
Und wie sehr und wie unreflektiert derlei noch heute übernommen wird, sieht man an einem Facebook-Posting, das in verschiedenen Varianten seit drei Jahren kursiert, aber in der neusten Variante seit nunmehr einer Woche mittlerweile fast zehntausendmal von den Nutzern geteilt wurde. Darin wird eine Kindsentführung behauptet – diesmal nicht im Centro Oberhausen oder Ikea Frankfurt, sondern im H&M Steglitz:
Das es sich hierbei um einen Hoax handelt, ist eigentlich leicht zu erkennen und wäre auch für Max und Monika Mustermann mit minimalem Aufwand zu recherchieren. Max und Monika sind aber kein bißchen mißtrauisch bei dieser Meldung. Und die große Resonanz zeigt deutlich, dass die Leute das Ganze für wahr halten. Und damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt der Geschichte: Wenn man sich in Deutschland auf eines verlassen kann, dann auf alte Ressentiments. Vor allem wenn es rassistische Ressentiments sind…
Eine strafrechtliche Verfolgung dieser eindeutigen Volksverhetzung auf facebook scheint wohl von vorneweg aussichtslos zu sein.
Ganz neu sind solche Konstruktionen nicht. Himmler schrieb 1943 an den Chef der „Sicherheitspolizei“, Ernst Kaltenbrunner: „… Außerdem sind sofort Leute einzusetzen, die in England die Gerichtsnachrichten, die Polizeiausschreibungen, dass ein Kind vermißt wird, verfolgen und kontrollieren, so dass wir dann in unseren Sendern entsprechende Kurznachrichten geben können, dass in dem Ort X ein Kind vermißt wurde und es sich wahrscheinlich um einen jüdischen Ritualmord handele. …“ [Poliakov, Wulf, 1978 zit. nach T. Tarach, Der ewige Sündenbock, S.142]
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