Verstummte Stimmen aus der Opernwelt

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Mit der opulenten Inszenierung von Stefan Herheim krönte „Parsifal“ auch die diesjährigen Bayreuther Opernfestspiele unter der Leitung von Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier im Vorfeld von Wagners 200. Geburtstag im kommenden 2013…

Von Anna Zanco-Prestel

Neu an der mehrmalig ausgezeichneten und international bejubelten Darbietung des norwegischen Regisseurs von 2008 sind eindrucksvolle Licht- und Farbeffekte, die den innovativen Charakter des Bühnenbildes in seiner Prägnanz und Klarheit noch stärker in den Mittelpunkt rücken lassen. Eine Adaptierung der Beleuchtung geschah auch zum Zweck  einer Live-Übertragung der Oper in ausgewählten deutschen Kinos und deren gleichzeitigen Ausstrahlung auf dem  Sender ARTE, die auf eine bessere Verbreitung von Wagners Musik „unter dem Volk“ zielte. Eine Initiative, die auch ein absolutes Novum für Bayreuth als Treffpunkt einer Elite von aus der ganzen Welt angereisten Opernliebhabern, sondern auch der mondänen deutschen Gesellschaft darstellt, inklusive Polit-Prominenz.

Eine geglückte Neu-Besetzung ist vor allem der 37.jährige Schweizer Musikdirektor an der Pariser Oper Philippe Jordan bei seinem vielgepriesenen, seelenvollen Début ohne viel Pathos und verklärende Sentimentalität an der Direktion  eines „heroischen“ Orchesters, das sich am Ende des vierstündigen Auftritts im Verborgenen der „mystischen Bucht“  schließlich ganz „erlöst“ in Jeans und T-Shirt auf der Bühne zeigte.

Zu erleben íst die Mise-en-Scène des rätselhaften, von Nietzsche als „Operettenhaft“ verspotteten Wagnerschen „Bühnenweihfestspiels“ als – wie Dramaturg Alexander Meier-Dörzebach suggeriert – „vierköpfige Chimäre“, irgendwo „zwischen phantastischem Theater, religiösem Kult, mystischer Feier und lehrreicher Unterhaltung oszillierend“. Das Bühnengeschehen verdingt sich in eine Reise durch die deutsche Geschichte, die nichts an Tragik vermissen lässt. Eingetaucht ist sie zu Beginn in der Atmosphäre der Wilhelminischen Zeit, in der zu Recht der Anfang alles Übels zu suchen ist. Ein Touch von Belle Èpoque vor barockisierender Kulisse lockert manche schwierige Passagen und verwandelt die Oper – dank des Einfallsreichtums von  Bühnenbildnerin Heike Scheele und Kostümbildnerin Gesine Völlm – in ein Spektakel für alle Sinne. Der Übergang von den Grauen des I.Weltkriegs zu den Horrorszenarien des Dritten Reichs und des II. Weltkonflikts wirkt sich in den Feld- und Lazarettsszenen auf der Bühne wie auf dem Bildschirm  in all seiner niederschmetternden Bedrücktheit aus. Am Ende – nachdem es durch eine auf dem geschlossenen Vorhang erscheinende Schrift gewarnt wird, dass es in Bayreuth nicht um Politik, sondern – nach Wagners Wunsch – nur „um die Kunst geht“ -, wird das Publikum abrupt in die Gegenwart zurückgeführt. Auf einmal steht man vor einem als Bundestag umfunktionierten Gralstempel. Eine Ansprache im Plenarsaal wird indessen zur Grabrede eines jeden parlamentarischen Treibens. Die gläserne Kuppel verwandelt sich auf einmal in einen schimmernden, um sich kreisenden Globus, der hellleuchtend wie ein Prisma seine positive Energie in alle Welt ausstrahlt. Aus dem Adler, der neben dem Schwan symbolträchtig den Opernablauf begleitet hat, ist eine niedliche weiße Taube geworden, wegweisend im Sinne eines von allen herbeigesehnten Friedens.

Eine traurige Reise in die dunkle deutsche Vergangenheit vollzieht sich indessen jenseits der Mauern des überfüllten Wagnerschen Theaters. Auf dem „Grünen Hügel“ inmitten des mit Blumen bunt verzierten Gartens erinnert eine Freiluftinstallation an die vielen Musiker jüdischer Herkunft, die bei den Bayreuther Festspielen mitwirken durften, bis sie dem gnadenlosen Antisemitismus der Wagnerschen Dynastie zum Opfer fielen. Herren und Damen in eleganter Abendgarderobe gehen daran vorbei und verweilen während der Pausen vor den vielen einzelnen Tafeln, die deren Lebenswege akribisch rekonstruieren. Lebenswege, die fast ausnahmslos in ferne Länder oder in ein Niemandsland enden, das den Namen Auschwitz, Buchenwald oder LLódz trägt. Vergegenwärtigt werden auf Stellwänden Etappen der Karrieren  von 9 Mitgliedern der Künstlerischen Leitung,  23 Solisten, 17 Orchester- und 5 Chormitgliedern.  

Über viele von ihnen erfährt man, dass sie meistens in Ermangelung eines „deutschen Ersatzes“ engagiert wurden. Denn Juden wurden keine wahre Talente zugeschrieben, sondern nur die Fähigkeit, andere „nachzuahmen“. Unter den vermeintlichen  „Nachahmern“  befinden sich außergewöhnliche Talente wie ein Fritz Busch. Wagners Witwe und Liszts Tochter Cosima – liest man auf den Begleittafeln – hielt Deutschland für einen „judaisierten Staat“. Dem wollte sie Bayreuth als „ein deutsches Theater mit allen Nationen“ entgegensetzen. Daraus sollten die in ihren Augen „Bevorzugten“ – d.h. die ‚Juden’ – ausgeschlossen bleiben.

Emblematisch für ihre Haltung war das ambivalente Verhältnis der Wagner zu dem ersten Dirigenten der Bayreuther Festspiele Hermann Levi (1839-1900), dem der sächsische Komponist seinen Ruhm schlichtweg zu verdanken hatte. Wagner war von dem dem Judentum sehr zugeneigten König Ludwig II. von Bayern gezwungen worden, den genialen Hofkapellmeister und Generalmusikdirektor am Königlichen Hof- und Nationaltheater in München als Dirigenten seiner „heiligsten“ Oper „Parsifal“ zu verpflichten und dies trotz Levis Weigerung, sich zu dem Zweck taufen zu lassen. Nach Wagners Tod bediente sich Cosima Levi zur Rettung der Bayreuther Festspiele, um von ihm abzurücken, sobald dies 1888 gelungen war. Sie nannte ihn „wandelnde Lüge unserer Zustände“. „Levis Größe“ argumentierte sie, sei zwar sein „individueller Verdienst“, das ‚Schlechte’ gehöre aber seinem Stamm an.“ Bereits 1991 bat sie um deren Entlassung. Verbittert schrieb bei seinem Rücktritt 1894  der auch als Förderer  vieler bildender Künstler berühmte Dirigent Worte, die auf  der ihm gewidmeten Tafel zu lesen sind: „Ich bin Jude…So beurteilt man Alles…von diesem Gefühlspunkte aus und findet deshalb auch in Allem, was ich thue und sage, etwas Anstößiges oder zum mindesten Fremdartiges…“.

Die Schicksale der in der NS-Zeit in Deutschland diffamierten und aus Theatern vertriebenen Komponisten, Dirigenten und Sänger jüdischer Herkunft sowie weiterer Andersdenkenden, die für ‚Juden’ gehalten wurden,  werden in 44 Biographien mit Tonbeispielen in der parallel dazu laufenden Ausstellung im Bayreuther Rathaus fokussiert.

Autoren des 2006 unter dem Titel „Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“ für die Axel-Springer-Galerie in Hamburg konzipierten und von der Axel-Springer-Stiftung finanzierten Ausstellungsprojekts sind der Historiker Hannes Heer, der Musikpublizist Jürgen Kesting und der Bayreuther Designer Peter Schmidt. Gezeigt wurde sie bereits u.a. in der Oper Unter-den-Linden zu Berlin und in der Semper Oper in Dresden sowie in Stuttgart und Darmstadt.

Die Freiluftinstallation auf dem „Grünen Hügel“ unter dem Titel  „Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die ‚Juden’ 1876-1945“ ist eine „Fallstudie“ über die Rolle des bekannten Festivals in der Verbreitung antisemitischen Gedankenguts bereits ab dem Zeitpunkt seiner Gründung im Jahre 1876.

Diese unter dem Kuratorium u.a. von Klaus von Donhanyi, Hans-Dietrich Genscher, Antje Vollmer, Gerhard Baum, Charlotte Knobloch, Ulrike Hessler und Gerhard Richter realisierte Doku-Schau ist ein später, überfälliger Versuch, die Leidtragenden eines unglaublichen „Kulturkampfes“ aus der Versenkung zu holen und ihre Leistung endlich gebührend zu würdigen.

Eine direkte Verbindung zwischen Wagner und Hitler – so die erklärte These der Ausstellung – existiere zwar nicht, Wagner selbst sei aber einer der wichtigsten „Stichwortgeber“ gewesen. Durch „Diffamierung und Ausgrenzung jüdischer Künstler wie durch Mitwirkung an allen wichtigen antisemitischen und antidemokratischen Organisationen ab 1914 haben Wagners Erben den Boden für die im Dritten Reich durchgeführte Vertreibung jüdischer und politisch untragbarer Künstler vorbereitet.“

Die Ausstellung ist bis Ende 2013 in Bayreuth zu sehen. Dazu ist ein Katalog erschienen. Weitere Informationen: www.verstummtestimmen.de

3 Kommentare

  1. Der Meinung von Josef Mudde van Duren kann ich beistimmen. Wie es scheint war und ist die deutsche Obrigkeit, auch ein jüdischer Star-Dirigent, der nicht als Israeli genannt werden möchte, der Meinung, es gehöre zum guten Ton auf diesem verseuchten Hügel gesehen zu werden.

    Ignaz Bubis sel. A. hat schwer mit sich gekämpft und leider am Ende nachgegeben, und ist der Einladung aus Staatsraison nachgekommen. Schade

  2. Ich sehe das so: Man sollte auf dem Grünen Hügel keine Opern Richard Wagners mehr aufführen. Man (Politiker etc.) sollte zum Tempel des Antisemitismus erst gar nicht hingehen. Auf dem Grünen Hügel habe die Wagner Schwestern jetzt schon mal versagt, möchte ich ergänzen. Die Ausstellung Verstummte Stimmen wird nicht von den Festspielen getragen, sondern von einem externen Historikerteam unter Leitung von Hannes Heer. Das muss nicht negativ sein, aber als der ehemalige Botschafter in Deutschland, Avi Primor, die Ausstellung besuchte, wurde der Diplomat nicht von den Wagner Schwestern empfangen. Sie hatten keine Zeit!
    Josef Mudde van Duren

  3. Mir ist ehrlich gesagt diese ganze Wagner Verehrung und Etablierung als Status Symbol der deutschen Elite äusserst suspekt. Auch wenn man sich offen und klar distanziert, was ich auch vielen dort abnehme, könnte man aber auch unterstellen, dass ohne medial inszenierte Distanzierung eben die Etablierung als Grosses nicht möglich wäre. Da es im Hintergrund dieser Verflechtungen schon nicht mehr ganz so hell erleuchtet ist, fragt man sich – ist es nur eine Inszenierung oder ist es echt…? Erschwerend kommt hinzu, dass z.B. zum Tag der deutschen Einheit (2007) einer von Hitlers Lieblingskomponsten Hans Pfitzner (Von deutscher Seele) (Nannte sich selbst deutsches Genie — http://fcit.usf.edu/holocaust/arts/musreich.htm ) aufgeführt wurde. Da hätte es andere Künstler gegeben die in D gejagt, verfolgt, diskriminiert und kulturell vernichtet wurden/werden? – aber das hat ja immer irgendwie einen traurigen oder besser unbequemen Beigeschmack, daher lieber die Heroen die früher welche waren und heute immer noch sind(?), zelebrieren oder?

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