Die Gleichgültigkeit und die Angst

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Ágnes Karácsony hat mit dem bekannten ungarischen Journalisten Iván Andrassew ein Interview über die Gleichgültigkeit und die Angst geführt, das in der Budapester Wochenzeitung 168óra am 12.4. 2010 erschienen ist…

In einer älteren Eintragung ihres Internettagebuchs vermerkten Sie, dass Sie befürchten, dass ihre Publikationen sinnlos seien und überhaupt keine Wirkung zeigen, weil sich nichts ändert. Kann der Ihnen verliehene antirassistische Radnóti-Preis ihren „professionellen Kämpfen“ nicht doch einen Sinn verleihen?

In letzter Zeit erhalte ich immer mehr Preise. Was eher signalisiert, dass ich älter werde und mit dem Alter kommen meistens auch die Preise. Aber ich halte fest: meine Publikation haben keine besondere gesellschaftliche Wirkung

Sind die Wände der Gleichgültigkeit dicker geworden?

Ja, das beweist auch die jetzige Lage. Seit Beginn der neunziger Jahre habe ich Hass und Spott auf mich genommen, um auf das Vorwärtsdrängen der Faschisten aufmerksam zu machen. Denn wenn wir uns zurückhalten, dann helfen wir mit, die schändlichen Versuche der Gestörten auf die Plattform der Politik zu heben. Heute ist es soweit.

Was eine “gewisse” Wirkung ihrer Artikel betrifft: Gábor Vona, der Vorsitzende von Jobbik hat bei einer Zusammenkunft mit ihrem Namen seine Anhänger aufgehetzt.

Ich könnte dies als meinen “historischen Erfolg” bezeichnen, dass der Führer einer faschistischen Partei mit meinen Namen sein Volk zu Wutausbrüchen bringt.

Aber es wäre eine absurde “Genugtuung” wenn ich das so fühlen würde. Es vergeht kein Tag ohne Bedrohungen und Verfluchungen, die ich schriftlich oder telefonisch erhalte.

Sind wir bereits dort angelangt, dass man Tapferkeit braucht, um Journalist zu sein?Aber nein! Zum Journalismus braucht man keine Tapferkeit, sondern Verantwortungsgefühl. Es ist es gar nichts besonderes, dass die Rechten mich beschuldigen vom “Antirassismus zu leben” und mich als “professionellen Angsthaber” qualifizieren. Nur, dass ich mir aus den so genannten links-liberalen Kreisen mehrfach habe sagen lassen müssen: ich soll mich zurückhalten.

Inwiefern?

Ich soll keine Panik erzeugen, weil ich ihrer Meinung nach übertreibe, hier gibt es keine derartige Gefahr. Doch wer nicht nur zuhause als “Schreibtisch-Intellektueller” sitzt sondern auch hier und dort im Land herumgefahren ist und hauptsächlich auch im Internet den sich ändernden Tonfall aufmerksam verfolgt hat, der konnte schon vor langer Zeit erfahren, wie der Extremismus blüht und überall durchbricht.

Sie haben auf diese Signale der Gefahr nicht nur in Zeitungen und Zeitschriften aufmerksam gemacht, sondern auch auf ihrem Internettagebuch, das Sie seit 2002 führen – es ist eine der am meisten gelesenen Chroniken des Allgemeinbefinden geworden. Am Anfang haben sie auf Ihrem Blog nur „gemurrt und, gepoltert, während der letzten zwei-drei Jahre geißelte und schmerzte ihre Meinung.

So ist es. Aber muss man nicht eine andere Tonart anstimmen, wenn man schon Menschen wegen ihrer Abstammung ermordet? Da kann man nicht mehr „intellektuell vorsichtig“ sein, und sagen

Oh weh hier kann es zum Unheil kommen.

Das Unheil ist schon da.

Ungarn ist soweit gekommen: Eine Partei konnte für die niedrigsten Triebe und Affekte organisiert  werden und man konnte auf dem Hass, der Ausgrenzung und den Rassismus ein Geschäft gründen – Zeitung, Fernsehen, Radio, Buchgeschäfte usw.

Unlängst gab es den Welttag des Antirassismus, an dem  Sie auch den Preis erhielten. Ich stimme mit meinem Kollegen Gábor Czene überein, der am gleichen Tag in „Népszabadság“ die Frage stellte, wohin sind die anderen Antirassisten verschwunden, die Antifaschisten, die am Anfang der 90er Jahre noch den Kossuthplatz gefüllt hatten? Denn die letzte größere antifaschistische Demonstration war in der Hollán Ernö Straße [2008], als dort ein Reisebüro von Rechtsextremisten mit einem Molotowcocktail angegriffen wurde. Obwohl  seither der Nazidiskurs stärker wurde, gibt es weniger Gegendemonstanten. Wegen der Angst?

Kann sein, offensichtlich. Aber die Angst, sogar die Gleichgültigkeit reizt die schuftigen Hitzköpfe noch mehr. Während dem ich – sagen wir es so – konfrontiert wurde mit dem seltsamen Benehmen von Antirassisten.

Und zwar?

Die Goj Motorosok haben eine Drohdemonstration wegen meines Artikels “Du wagst es nicht herunterzukommen” vor der Redaktion von „Népszava“ angekündigt.

Meine Umgebung, meine Freunde haben – zu meinem Schutz – eine Gegendemonstration organisiert. Da begann ich mehr Angst zu haben vor linken, liberalen Intellektuellen als von der Motorradgang.

Und weshalb?Ferenc Gyurcsány (damals Ministerpräsident) erklärte, er komme auch. Was – an besseren Orten – eine natürliche zivile Manifestation eines Politikers ist. Ich bemerke nur, als ein Jahr zuvor tschechische Staats- und Parteiführer und kirchliche Würdenträger gemeinsam in Prag gegen Nazi demonstrierten, haben hier viele geseufzt, wann wird bei uns etwas Ähnliches geschehen, wann wird ein Repräsentant der Regierung an einer antifaschistischen Aktion teilnehmen. Aus der “Ansage” von Gyurcsány wurde auf der linken Seite ein Zirkus. Es rief mich – sagen wir es so – ein “großer Schriftsteller” and sagte: “Lieber Iván, sag Gyurcsány, wenn er kommt, dann gehe ich nicht.” Ich wurde zornig. Wie ist das sollten wir unter den Antirassisten selektieren? Und dann werden “irgendwelche” bestimmen, wer der bessere, der wirklichere Antifaschist ist, und dann werden sie moralische Bedingungen knüpfen für eine gemeinsame Demonstration. Weil sie sonst sich gegenseitig “auffressen”. Ich fühlte mich wie der Held im Das Leben des Brian, man trägt ihn schon zur Kreuzigung, aber verschiedene Gruppen feilschen und diskutieren. Da habe ich sehr viel gelernt und nachgedacht, so kann es mit den Demonstrationen nicht weitergehen.

Vor ein paar Monaten haben Sie doch eine organisiert. Auf ihren Blog haben sie eine friedliche Demo mit Kerzen am Heldenplatz angekündigt, als Protest dagegen dass die Witwe von Zsolt Csalog von Jobbik bedroht wurde: wenn sie noch einmal “wagt” Zigeunerkinder in die Sommerfrische zu bringen, dann wird man die Ungarische Garde auf sie ansetzen.

Tatsächlich dachte ich, das geschriebene Wort genügt nicht mehr. Im Übrigen habe ich auch damals geschrieben, es wird eine stille Demonstration mit Kerzen sein, ohne Ansprachen, ohne Musik und wenn Politiker kommen, dann als Personen und nicht als Vertreter ihrer Parteien. Der damalige Protest wurde schon zu einer Art Bewegung “Licht jetzt!” ist ihr Name. Bislang haben sich 1.400 auf Facebook angeschlossen. Ich schätze sie, die wollen nicht dass Ungarn dunkelste Geschichte wieder beginnt und sie haben dazu auch ihr Gesicht gegeben. Und einmal werden wir mehr sein, als die Gleichgültigen.

Sie schrieben vor nicht allzu langer Zeit, der totale Irrsinn bereitet sich vor,  für die totale Macht. Und wer immer noch denkt, dass das Volk den neonazistischen Diskurs nicht akzeptiert und der Rechtsstaat stark genug sei,  ist unfähig die Lage zu analysieren.

Das ist so zu verstehen: während wir aus der Geschichte wissen, dass die Macht gewisser Menschen und Gruppen zu sehr wächst und zur Diktatur und Ruin führt, tun wir so, als ob das Bremssystem des Rechtsstaates ausgezeichnet funktionieren würde, und “von sich aus” fähig wäre, die Demokratie zu verteidigen. Doch wir vergessen immer wieder den menschlichen Faktor und die politischen Tricks, um das Rechtssystem auszuspielen. Viktor Orbán und Gábor Vona sagen, dass sie nach ihrem Geschmack die Ordnung der Demokratie ändern wollen. Hier soll kein Missverständnis aufkommen, der “Geschmack” von Vona ist bedrohlicher als der von Orbán. Doch wenn die anderen Faktoren der Macht, wie zum Beispiel einige Teilnehmer der Justiz oder der Administration entweder aus Sympathie oder aus Angst versagen – wir erinnern uns, dass auf extremistischen Websites die Privatdaten verschiedener Richter bekannt gegeben wurden – dann gibt es gar nichts was dieses Land retten könnte vor dem kämpferischen aggressiven Treiben der Rechtsextremisten.

Langsam fragen wir schon in allen unseren Gesprächen, was könnte dies noch verhindern?

Schwierige Sache. Die Sozialisten sind während ihrer acht Jahre dauernden Regierung in den Schlaf geflüchtet, damit sie nichts machen brauchen gegen die Neofaschisten. Sie waren feige, sie “ideologisierten” anstatt mit Stärke gegen die antidemokratische Gewalt aufzutreten. Als vor Jahren der Vizepräsident der Jobbik erklärte “Das Zigeunertum ist die biologische Waffe der Juden gegenüber den Ungarn” hätte man Jobbik sofort verbieten müssen. Jetzt ist es spät. Sie haben gesiegt. Die Verantwortung von Viktor Orbán ist jedoch groß, er destabilisierte das Land und hat mit der “desto schlimmer, umso besser für uns” Politik den Vorwärtsmarsch der Faschisten begünstigt. Fidesz steht jetzt einer extremistischen Kraft gegenüber, die man nicht wie eine Salami schneiden kann, was immer für ein Weltexperte für “politischen Aufschnitt” Orbán auch ist. Viktor Orbán wird einen schrecklichen Preis dafür bezahlen, dass er den Menschen die Hysterie auf den Strassen beibrachte, um das Land lahm zu legen. Die Massen von Jobbik werden gegen Fidesz gehen und die extremistischen Aggressoren werden keinen Wecker und keine Pfeifen in der Hand halten. Doch es gibt eine andere große Lehre der Geschichte: Der Böse verliert früher oder später die Kraft und am Ende siegt das Gute. Aber es ist nicht gleichgültig, wie viele und welche Opfer das bis dahin fordert.

Der 1952 geborene Schriftsteller und Journalist Iván Andrassew hat am Franziskaner Gymnasium in Esztergom angefangen zu schreiben,  er studierte Soziologie und Philosophie, hat eine Schule für Journalistik absolviert, arbeitete auch als Fleischhauer und lernte damals als Autodidakt. Nach der Wende begann der Vater von fünf Kindern bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten. Er leitet die Rubrik Publizistik bei Népszava, der einzigen linken Tageszeitung Ungarns und ist Hauptmitarbeiter der satirischen Zeitschrift „Hocipö“ und führt auch eine Sendung bei Klubrádio. Andrassew ist Autor mehrerer Bücher, eines davon ist auch in deutscher Sprache erschienen: Das Königreich am Rande (übersetzt von Karlheinz Schweitzer, Gabriele  Schäfer Verlag 2008) Seine Website: http://www.andrassew.blogspot.com

Übersetzung aus dem Ungarischen Karl Pfeifer

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