Ein anderer Kriegsfilm: „The Other War“

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Es ist nicht leicht, Liebesgeschichten in Kriegszeiten zu erzählen. Unzählige internationale Autoren und Regisseure versuchten sich daran: Der Zweite Weltkrieg oder Vietnam bilden die bevorzugten historischen Hintergründe, vor denen die Plots sich der Motive aus den Konventionen von Kriegsfilm und Melodram bedienen…

Von Julia Anspach

Im Zentrum stehen gemeinhin männliche Helden, Männerfreundschaften werden auf die Probe gestellt, indem zwei Freunde gemeinsam gegen eine überkommene Truppenmoral rebellieren, ein Mann sich für das Überleben des Freundes opfert, zwei Männer sich in dieselbe Frau verlieben, einer dem Kriege zum Opfer und heldenhaft für das Vaterland fällt, um die ‚Happy End’ – Konstellation des liebenden Paares zu ermöglichen. Natürlich gibt es Kriegs- und Antikriegsfilme, doch folgen sie zumeist unter veränderten Vorzeichen einer sehr ähnlichen Logik.

Mit „The Other War“ erzählt Tamar Glezerman insofern einen „anderen“ Kriegsfilm, als in diesem Film der Krieg selbst abwesend ist. Es gibt hier keine Krieger, keine Helden, Patrioten oder Kämpfer und auch keine Toten. Zumindest nicht sichtbar.

Tatsächlich erzählt der Film seine Geschichte durch Leerstellen. Es sind nicht Männer, die im Vordergrund stehen. Es ist nicht die Ausnahmesituation eines Krieges, die thematisiert wird; es ist der Versuch, sie zu ignorieren. Der Versuch, das Leben zu leben – ein alltägliches Leben, das Normalität vorgibt und versucht zu ignorieren, dass nichts normal ist.

Die junge Tel Aviverin Eli, deren Perspektive der Film wählt, hilft ihrer Schwester Galit bei den Vorbereitungen der Hochzeit, während Galit unter zunehmender Anspannung und Nervosität auf eine Nachricht des Bräutigams wartet. Es ist Sommer 2006; Galits Bräutigam befindet sich an der Front des Zweiten Libanonkrieges. Tagelang schon wartet sie auf eine Nachricht, die nicht eintreffen will, durch ein verzweifeltes Festhalten an einer fiktiven Normalität erhält sie sich den Glauben an die Notwendigkeit der Ereignisse. Sie wählt die Hochzeitsmusik aus, erledigt die Einkäufe, versendet die Einladungen, feiert ihren Junggesellinnenabend.

Eli unterstützt sie, selbst hin- und hergerissen zwischen dem Glauben an Familie und Gesellschaft und der Beziehung zu der Frau, die sie liebt: Naama, die das Leben in Israel nicht erträgt und eine Möglichkeit sucht, das Land zu verlassen. Schweigend hat Eli teil an den Widersprüchen der Gesellschaft und ihres eigenen Umfelds, schweigend versucht auch sie eine Normalität vorzutäuschen und den Konflikt, in dem sie sich befindet, zu ertragen. Tatsächlich erträgt und verdrängt sie, doch löst ihn nicht.

otherwarZwischen dem misslungenen Junggesellinnenabend der Schwester und lauten, exzessiven Partys mit Naama sucht Eli nach Alternativen, nach einem Ausweg und einem anderen Ort, um ihre Freundin zu beeindrucken und zu halten. Doch die Suche nach Idylle wird ad absurdum geführt, wenn sie in einem Skulpturenpark nahe Haifa als Museum vor dem Hintergrund einer Industrieanlage angeordnet ist. Der klägliche Versuch, traute Zweisamkeit zu schaffen scheitert, wenn der Einschlag von Raketen befürchtet werden muss. Eli schweigt, es scheint für sie keinen Weg zu geben, ihre Hoffnung und Verzweiflung auszudrücken. Das mit einem Eispickel gereinigte Eisfach wird die Kälte – sehr metaphorisch – nicht vertreiben.
 
Naama verlässt Israel, während Eli sich bei der Hochzeit ihrer Schwester in den Blumentopf übergibt.

Der Film zieht seine Hauptaussage aus dem, was abwesend ist und gewinnt dadurch seine Stärke: die Belastung des Krieges wird illustriert durch die Lücken, die er reißt, durch die entstehende Leere: die (als handelnde Figuren) abwesenden Männer, der leere Stuhl des Bräutigams beim Mittagstisch, das nicht klingelnde Telefon, das Schweigen der Charaktere, eine Sprachlosigkeit, die in Floskeln flüchtet, eine Schlaflosigkeit, die der Fernseher nicht vertreibt, Nachrichten im Fernsehen im Hintergrund, keine Bilder. Der Schrecken ist nicht sichtbar, nicht greifbar, sondern teilt sich über die Angst des Alltags mit, die die Leere birgt. Close ups der Gesichter, ruhige Bilder und ein langsamer Schnitt verweisen auf den Ausnahmestatus einer Zeit, die als Zeit des Wartens nicht zu vergehen scheint.

Kaum Hintergrundmusik vermittelt, kommentiert oder verfälscht die Atmosphäre, sie teilt sich durch Dialoge, Festmusik oder Nachrichten dem Zuschauer unmittelbar mit: laute Songs in den Discos übertönen Verdrängtes, für die Hochzeit ausgewählte Songs enthüllen in ihren Texten die wahren Wünsche. Das politische Geschehen schließlich wird unsichtbar im Fernsehen diskutiert, ein paralleler Dialog findet wie in einer anderen Welt statt.
 
Gleichwohl liegen in den Stärken des Films auch seine Schwächen: In kurzer Zeit wird versucht, zu viele Andeutungen zu provozieren. So muten sie erzwungen an, die Metaphorik geriert plump. Ein Party-Dialog, dessen Ziel es scheint, das Geräusch der Militärflugzeuge im Hintergrund hervorzuheben, während sein einziger Inhalt ist, wiederholt nach dem gegenseitigen Befinden zu fragen, wirkt gestellt. Ein während des Junggesellinnenabends präsentierter Vibrator überschreitet in der Direktheit seiner Bildlichkeit die Grenzen des guten Geschmacks: die Peinlichkeit der Figuren empfindet noch der Zuschauer. Nicht zuletzt erscheint schließlich die Hauptdarstellerin den zahlreichen Close ups nicht gewachsen, ihr Ausdruck in einigen Einstellungen nicht überzeugend.
 
Tamar Glezerman drehte THE OTHER WAR als Abschlussprojekt an der Tel Aviv University. Die Idee entstand, als sie mit ihrer Schwester während des Krieges einen Kinderfilm über sie und ihren Bräutigam für die Hochzeit sah, der gleichsam als Gedenkfilm schien, da sie seit Tagen keine Nachricht des Bräutigams im Libanon erhalten hatten. Diese individuelle Betroffenheit der Filmemacherin vermittelt der Film durch seine subjektive und Nähe erzeugende Kameraführung. Der Film entfaltet die Spannung des Individuums in einem Staat, der in seiner Existenz auf die Loyalität des Kollektivs angewiesen ist, schwankend zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Erfordernissen, er verdeutlicht die Schwierigkeit der Entscheidung zwischen dem Glücksversprechen brüchiger Familien- und Gesellschaftsstrukturen und dem vermeintlichen Glück einer unkonventionellen Liebe.

Er formuliert keine offensiven Stellungnahmen, keine laute Kritik, er fordert keine Positionierung, die urteilt oder verurteilt. Er zeigt eine Verunsicherung, eine Spannung zwischen zwei Positionen, die ihre Aussage aus dem Schweigen zieht, aus der Abwesenheit und der Leerstelle. Was bleibt, ist vielmehr Ratlosigkeit als irgendeine Antwort. 

„The Other War“, Israel, 2008
Regie: Tamar Glezerman
Abschlussprojekt an der Tel Aviv University Film & TV Department, 45 Minuten