„Wir dachten, wir überleben das nicht“

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Medizinisches Versorgungszentrumder IDF für verwundete Drusen in Syrien, Foto: IDF Sprecher

Das Massaker an den Drusen in Syrien und was es über unsere Welt verrät

„Die Leichen liegen auf der Straße. Seit drei Tagen können wir sie nicht begraben, weil wir Angst haben, erschossen zu werden.“
– Ein drusischer Familienvater aus Suweida (Reuters 2025a)

Von Marline Younan

Wenn dein Glaube dein Todesurteil ist

Vor zwei Wochen wurde die Stadt Suweida im Süden Syriens zum Schauplatz einer Tragödie, die vielen noch lange in den Knochen sitzen wird. Innerhalb von nur wenigen Tagen wurden dort Hunderte Drusen ermordet, Männer, Frauen, Kinder und ältere Menschen. Sie wurden in ihren Häusern erschossen, auf der Straße hingerichtet, manche regelrecht abgeschlachtet. Die Täter? Menschen aus dem eigenen Land. Syrische Milizen, unterstützt von der neuen Regierung unter Ahmad al-Scharaa, besser bekannt als al-Jolani, ein Mann mit Wurzeln im radikalen Islamismus (Guardian 2025; Reuters 2025a; Wikipedia HTS 2025).

Ich habe mit mehreren Überlebenden gesprochen. Ihre Stimmen zittern, wenn sie erzählen, was sie erlebt haben. Viele weinen beim Sprechen. Eine Frau sagte mir: „Sie sind durch die Straßen gezogen und haben Menschen einfach rausgezerrt. Einem Mann haben sie den Bart abrasiert, um ihn zu erniedrigen. Ich habe geschrien, aber niemand kam.“

Die Gewalt kam mit System

Die Drusen sind eine religiöse Minderheit, die in Ruhe leben will, aber selten in Frieden leben darf. Sie glauben an eine eigene spirituelle Lehre, abseits vom Mainstream-Islam und genau das macht sie immer wieder zur Zielscheibe extremistischer Gruppen. Schon 2018 verübte der sogenannte Islamische Staat ein Massaker in Suweida. Nun, 2025, ist es schlimmer als je zuvor (SNHR 2025; Guardian 2025).

Am 14. Juli begannen die Angriffe. Erst waren es Spannungen mit bewaffneten Beduinen, doch schnell eskalierte alles. Syrische Regierungstruppen angeblich zum Schutz entsandt griffen selbst zur Waffe. In manchen Häusern wurden ganze Familien ausgelöscht. Zwölf Menschen in einem einzigen Wohnzimmer – erschossen (Al-Monitor 2025). Die Leichen blieben liegen. Niemand wagte sich raus. Nicht einmal zur Beerdigung.

Ich bin selbst Teil einer Minderheit

Ich bin assyrische Christin. Ich weiß, was es heißt, eine Minderheit im Nahen Osten zu sein. Die Angst, das Schweigen, das Gefühl, dass niemand dich schützt. Als ich die ersten Videos sah, blutige Straßen, zerstörte Häuser, weinende Kinder brach etwas in mir. Ich begann, Zeugenaussagen zu sammeln, Bilder und Videos zu sichern. Nicht aus Sensationslust. Sondern, weil ich will, dass die Welt hinschaut.

Viele Drusen, mit denen ich gesprochen habe, sagen: „Wir wurden verraten. Von der Regierung, von unseren Nachbarn, von der Welt.“ Es ist diese Art des Verrats, die einem den Boden unter den Füßen wegreißt.

Und dann griff Israel ein

Während die Welt schwieg, handelte Israel. Als die Angriffe eskalierten, flog die israelische Armee präzise Luftschläge gegen syrische Militärposten und islamistische Einheiten (Al-Jazeera 2025). Viele Drusen sagen heute: „Ohne Israel wären wir alle tot.“ Diese Worte kommen nicht leicht über die Lippen, besonders nicht von Menschen, die aus einem Land kommen, in dem Israel oft als Feindbild dargestellt wird. Aber in diesem Moment war Israel der einzige Akteur, der nicht zugesehen hat.

Die Drusen in Israel, etwa 150.000, leben als gleichberechtigte Bürger:innen. Sie dienen in der Armee, arbeiten in Verwaltung und Medizin, sie leben in Sicherheit. Das sagen nicht nur Statistiken, das sagen auch die Familienmitglieder derer, die in Suweida getötet wurden. „Unsere Verwandten in Israel leben in Frieden. Wir leben in Angst.“

Die internationale Reaktion? Schweigen

Die UN äußerte sich zurückhaltend. Europa war besorgter über Israels Luftangriffe als über die getöteten Kinder in Suweida (AP 2025). Ich frage mich: Wäre die Reaktion dieselbe gewesen, wenn es um Christen, Juden oder Europäer gegangen wäre? Oder müssen Drusen, Jesiden, Assyrer eben immer wieder allein durch die Hölle gehen?

Menschenrechtsorganisationen wie die GfbV oder die IGFM schlagen Alarm, doch es fehlt an Konsequenzen. Eine Resolution hier, ein Appell da. Aber kein Schutz, keine Sanktionen gegen die Täter, keine Aufnahme der Geflüchteten aus Suweida (FDD 2025; Euronews 2025).

Was wir fordern

Ich fordere als Frau, als Christin, als Schwester im Schmerz:

Dass die Welt endlich hinschaut.
Dass Extremisten wie Jolani nicht weiter hofiert werden.
Dass der Schutz religiöser Minderheiten nicht nur leeres Versprechen bleibt.
Dass wir alle nicht vergessen, was in Suweida passiert ist.
Denn wenn wir das tun, passiert es wieder.

Quellen:
Reuters (2025a): Left with bloodstains and bullet holes, Syria’s Druze grieve loved ones, 27.07.2025.
Reuters (2025b): How Syrian attackers killed: One hand on the gun, another on the camera, 29.07.2025.
Guardian (2025): ‘Shot in the head, as if executed’: four days of violence end with hundreds dead in southern Syria, 18.07.2025.
AP (2025): UN criticizes Israeli strikes in Syria, 20.07.2025.
Al-Monitor (2025): Syria: Nearly 100 killed in fighting between Druze, Sunni tribes, 02.07.2025.
Al-Jazeera (2025): Israel hits Syrian army HQ near Damascus palace as Suwayda violence intensifies, 16.07.2025.
SNHR (2025): Preliminary figures: 321 civilians killed in Suwayda since July 13, 17.07.2025.
Wikipedia (2025): Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), 2025 Massacres of Syrian Alawites. Abgerufen im Juli 2025.
FDD (2025): Inside the harrowing attack on Syria’s Druze – and why the US’ first step should be to name the perpetrators, 27.07.2025.
Euronews (2025): Israel’s Druze minority: Loyal citizens or second-class people?, 03.07.2025.