Toxische Sprache und geistige Gewalt

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Monika Schwarz-Friesels Analyse, wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen, liegt nun in einer erweiterten Neuauflage vor. Die Warnungen der Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin, die sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Antisemitismus beschäftigt, wurden nicht gehört. Und schlimmer, seitdem das Buch erstmals 2022 erschien, ereignete sich der größte Überfall auf Juden nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Der 7. Oktober war ein Dammbruch: „Die lange und mühsam aufgebauten Mauern zur Ächtung von Judenhass, ohnehin voller Risse, brauchen zusammen und Fluten aufgestauter israelfeindlicher Emotionen wälzten jede Regung von Menschlichkeit nieder.“ 

Monika Schwarz-Friesel zeigt, dass die Rolle der Sprache im Mittelpunkt von Antisemitismusbekämpfung stehen sollte, denn Sprache bilde Realitäten eben nicht nur ab, sondern erzeuge sie auch maßgeblich. Dazu erläutert die Kommunikationswissenschaftlerin auch für Laien sehr gut verständlich wie „Sprache als Weltenerschafferin und Menschenzerstörerin“ funktioniert.

Antisemitismus, so zeigt sie, ist der vor 2000 Jahren geborene alte Judenhass, in immer neuen Adaptionen. Antisemitismus hat dabei eine unikale Komponente, denn Judenfeindschaft ist auch Welterklärung. Sie erklärt Juden zum Bösen per se und stellt die Welt als einen besseren Ort in Aussicht, wenn es keine Juden darin gibt. Damit ist Antisemitismus nicht einfach Vorurteil, Antisemitismus kann nicht mit Stereotypen oder Rassismen gleichgesetzt werden. 

Gerade im Hinblick auf den explosionsartigen Anstieg von Antisemitismus ist es besonders wichtig zu verstehen, dass unser Gehirn nicht unterscheidet, in welchem Kontext etwas gesagt wird. Es ist egal, ob der Sprecher tatsächlich Antisemit ist, ob er Neonazi oder linker Universitätsprofessor ist, wichtig ist vielmehr, ob die Äußerung antisemitische Inhalte transportiert. Dazu erklärt Schwarz-Friesel die Abläufe im Gehirn, die automatisch, wie ein Reflex funktionieren. Für die Wirkung ist es daher vollkommen egal, welche Intention hinter einer Aussage steht. „Judenfeindliche Rhetorik aktiviert automatisch neuronale Muster in Cortex und limbischem System.“ Je öfter diese Muster aktiviert würden, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie geglaubt werden. 

Monika Schwarz-Friesel betont, dass der Nahostkonflikt „lediglich Auslöser und Verstärker, aber nicht der Grund für den anti-jüdischen Israelhass“ ist, der derzeit zu beobachten ist. Nach dem 7. Oktober 2023 ist dabei die „Ja-aber-Rhetorik“ besonders dominant, die Juden selbst die Schuld am Antisemitismus zuschreibt. Heutzutage nennt sich das „Kontextualisierung. Bei dem Campus- und Feuilleton-Antisemitismus der letzten beiden Jahre werde außerdem besonders deutlich, wie kommunikative Strategien der Abwehr mit dem Antisemitismus der gebildeten Mitte verbunden sind, von Leugnung über Selbst-Viktimisierung bis zur Delegitimisierung von Wissenschaft und Antisemitismusforschern, etwas das die Autorin selbst erlebt.

Schließlich hebt Monika Schwarz-Friesel noch hervor, dass das Schweigen weiter Teile der Gesellschaft nach dem 7. Oktober „geradezu schreiend“ war. Ihrem Nachwort zur zweiten Auflage stellt Schwarz-Friesel dann auch die Frage „Was genau könnte ich denn als Individuum allein konkret tun, um dem Antisemitismus in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen?“ voran. Die Antwort sei immer die Gleiche: „Einfach nur den Mund aufmachen!“ Schon kleine Gesten könnten helfen, eine Email schreiben, an einer Kundgebung teilnehmen. Nicht gleichgültig sein. Am Ende sei „nämlich Antisemitismus stets eines: Die Wiederholung der Wiederholung.“ Dem müssen wir entgegentreten und die toxische Sprache des Antisemitismus „muss ohne Ausnahme, ohne Ansehen der Person, ihrer sozialen Stellung oder Position, ohne Wenn und Aber zurückgewiesen werden, ganz gleich, von wem, wann, warum und wo sie benutzt wurde.“

Ein Buch, das jeder lesen sollte. Damit niemand sagen kann, er hätte nicht gewusst, wie Antisemitismus transportiert wird. Damit niemand sagen kann, er hätte nicht gewusst, was er tun kann. (al)

Monika Schwarz-Friesel, Toxische Sprache und geistige Gewalt. Wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen, 2. akt. u. erw. Auflage, Narr Francke Attempto 2025, Euro 19.99, Bestellen?