Vor genau 25 Jahren ermordete ein Lynchmob zwei israelische Reservisten, die sich nach Ramallah verirrt hatten. Das Foto eines ihrer Mörder, der seine blutverschmierten Hände einer jubelnden Meute zeigte, ging damals um die Welt und wurde zu einem umstrittenen Symbol.
Von Ralf Balke
Im Herbst 2024 hatte es schließlich ihn getroffen. Aziz Salha wurde bei einem israelischen Luftangriff auf den Gazastreifen getötet. Zu zweifelhafter internationaler Berühmtheit war der Palästinenser aber bereits vor genau 25 Jahren gekommen, und zwar als Mörder zweier israelischer Reservisten, Yossi Avrahami und Vadim Nurzhitz, die am 12. Oktober 2000 mit ihrem Privatauto aus Versehen nach Ramallah, Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde, abgebogen waren, dort von palästinensischen Polizisten verhaften und in eine Polizeistation gebracht wurden. Bald schon erschienen etwa Tausend, zumeist junge Männer, stürmten das Gebäude und ermordeten die beiden Israelis auf bestialische Art mit Messern und Metallstangen. Augenzeugenberichten zufolge wurden die Männer dabei schwerst misshandelt, ihre Körper regelrecht von dem Mob zerfetzt, die Leiche einer der beiden Reservisten angezündet und durch die Straßen gezogen. Die sterblichen Überreste des anderen wurden aus dem Fenster geworfen und von einer Meute weiter traktiert. Verletzt wurden ebenfalls mehrere palästinensische Polizisten, die versucht hatten, die Israelis zu schützen.
Der damals 20 Jahre alte Aziz Salha stand daraufhin mit blutverschmierten Händen winkend am Fenster der Polizeistation und bejubelte das Ganze. Dabei wurde er von einem italienischen Fernsehteam gefilmt. Die Bilder gingen um die Welt und sorgten für Entsetzen. Aber nicht nur das. Der Lynchmord von Ramallah verursachte ebenfalls in Israel für einen Schock, und das wenige Wochen nach dem Scheitern der von US-Präsident Bill Clinton einberufenen Verhandlungen zwischen Ministerpräsident Ehud Barak und PLO-Chef Yassir Arafat und dem Ausbruch dessen, was als Zweite Intifada in die Geschichtsbücher eingehen sollte, am 29. September 2000.
Die Autonomiebehörde selbst unternahm im Oktober 2000 wenig, um die Wogen zu glätten. Man erklärte das Ganze zu einem „bedauernswerten“ Vorfall, als Resultat der israelischen Politik und der „Verbrechen der Siedler“. Die Reaktionen Israels auf den Lynchmord, womit der Beschuss zweier palästinensischer Polizeistationen, einer militärischen Einrichtung sowie einem Gebäude nahe Yassir Arafats Regierungssitz gemeint war, bezeichnete man dagegen als „Kriegserklärung“. Darüber hinaus wurde behauptete, dass es sich bei den beiden ermordeten Reservisten um Angehörige einer Undercover-Einheit gehandelt hätte, die sich auf einer Mission befand.
Das Bild der blutverschmierten Hände von Ramallah, das vor genau einem Vierteljahrhundert entstand, wurde gleich mehrfach zu einem Symbol. Es verweist auf ein Schlüsselereignis in der Phase des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern, die das Ende des Friedensprozesses von Oslo einläutete und damit die Aussichten auf die Verwirklichung einer Zwei-Staaten-Lösung zunichtemachte. Zugleich markiert es den Übergang zur Zweiten Intifada, die vor allem durch den suizidalen Terror der Palästinenser auf israelische Zivilisten geprägt war. In diesem Kontext stehen die blutverschmierten Hände stellvertretend auch für eine Bejahung von Gewalt und Morden an Israelis.
Im Gedächtnis von Israelis, aber auch Juden weltweit, hat sich das Bild des jubelnden Aziz Salha daher tief in die Erinnerung eingebrannt. Wenn also nach dem 7. Oktober 2023 blutverschmierte Hände von Demonstranten gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen immer wieder aufgegriffen werden, dann verheißt das aus ihrer Sicht nichts Gutes. Und mancherorten tauchten sie bereits unmittelbar nach den Massakern der Hamas auf, beispielsweise bei den Protesten von Studierenden der Universität der Künste (UdK) in Berlin im November 2023, als dort knapp hundert Personen in der Eingangshalle unter einem Transparent mit der Aufschrift „It’s not complicated“ ihre mit roter Farbe bemalten Handinnenflächen in die Kameras zeigten – mit der Behauptung, dass solle das Blut symbolisieren, das an den Händen deutscher Politiker klebe, weil sie Israel unterstützten. „It’s not complicated“, dieser Satz ließe sich auch gegen die Studierenden in Stellung bringen: Entweder sind sie unwissend, haben keine Ahnung von der Symbolkraft dieses Bildes im Kontext des Konflikts im Nahen Osten, weshalb man sie wohlwollend als ignorant bezeichnen könnte, oder aber, es geschieht mit voller Absicht, was bedeuten würde, dass man an der UdK den Mord an Juden feiert.
Natürlich waren die Studierenden der UdK nicht die ersten, die meinten, mit roten Händen gegen etwas protestieren zu müssen. Als Symbol gegen Gewalt oder Repression ist diese Form der Kritik schon lange zu sehen, unter anderem auf den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg in den 1960er Jahren oder aber bei der Thematisierung der Gewalt, die von Diktatoren wie Augusto Pinochet oder Wladimir Putin ausgegangen war. „Neben Antikriegsdemonstrationen taucht das Symbol der roten Hände heute auch in Kontexten von Protesten von Frauenrechtsbewegungen, Klima-AktivistInnen und TierrechtlerInnen auf“, ist bei democ e.V., einer NGO, die demokratiefeindliche Bewegungen beobachtet, zu lesen. „Bekannte globale Kampagnen, die rote Hände als Symbol nutzen, sind der >Red Hand Day – Internationaler Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten< und >Missing and Murdered Indigenous Women<.“
Wenn jedoch selbst Holocaust-Gedenkstätten, wie im Mai 2024 in Paris geschehen, mit roten Händen beschmiert und vandalisiert werden, dann ist die Aufforderung zur Gewalt gegen Juden unmissverständlich. Es handelt sich in diesem Kontext stets um ein Symbol, das Jüdinnen und Juden in Schrecken versetzen soll. Und es gibt einen weiteren historischen Bezug: Als zu Schavuot 1941 in Bagdad der „Farhud“ tobte, ein Pogrom gegen die irakischen Juden, bei dem mindestens 180 von ihnen ermordet wurden, hatte ihre Verfolger Häuser, in denen Juden lebten, ebenfalls zuvor mit Händen in roter Farbe markiert. „Gibt es einen besseren Weg, jüdische Studenten und Dozenten in Angst und Schrecken zu versetzen, als mitten auf Ihrem Campus eine Ausstellung zu zeigen, die die Lynchjustiz an Juden darstellt?“, sagte Rory Lancman, Berater des Brandeis Center for Human Rights Under Law, nachdem im April 2024 auf dem Brooklyn Campus des Pratt Institute zahlreiche Graffiti dieser Art entdeckt wurden.
Aziz Salha wurde übrigens 2001 verhaftet. Im anschließenden Prozess gestand er, einer derjenigen gewesen zu sein, die am 12. Oktober 2000 gemeinsam mit anderen Palästinensern in die Polizeistation eingedrungen zu sein. Ebenso gab er seine Beteiligung an den grausamen Morden zu, weshalb Aziz Salha 2004 von einem israelischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Im Oktober 2011 aber wurde er, gemeinsam mit dem Hamas-Anführer Yahya Sinwar sowie über Tausend weiterhin Palästinensern gegen den von der Terrororganisation entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit ausgetauscht und kam so in den Gazastreifen, wo er laut israelischer Armee weiterhin an der Planung gewalttätiger Übergriffe auf Israelis beteiligt gewesen sein soll.
Am Freitag wurde bekannt, dass unter den palästinensischen Häftlingen, die im Austausch gegen die israelischen Geiseln freikommen sollen auch ein ehemaliger palästinensischer Polizist ist, der am Lynchmord beteiligt war. Er hatte auf Vadim Nurzhitz mit einem Eisenrohr eingeschlagen und verbüßt zwei lebenslange Haftstrafen in Israel. Trumps Friedensdeal bringt ihm nun die vorzeitige Entlassung.