Von Ramona Ambs
Manchmal sind es ja die kleinen Geschichten, die es gar nicht in die große Öffentlichkeit schaffen, die aber sehr genau erzählen, was passiert:
An einer High School in Brevard County wurde ein queerer Zwölftklässler unterrichtet, der seit Jahren in der Schule unter seinem neuen Namen auftrat – alle seine Mitschülers nannten ihn so. Eine Lehrerin hatte diesen Schüler schon seit zwei Jahren in ihrer Klasse und tat einfach das, was für sie selbstverständlich war: ihn mit seinem selbst gewählten Namen ansprechen. Inzwischen ist in Florida auf Druck von christlicher Seite, jedoch ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Lehrkräfte die Erlaubnis der Eltern einholen müssen, um ein Kind mit einem anderen Namen als dem auf der Geburtsurkunde anzusprechen. Als die Mutter des Zwölftklässlers erfuhr, dass ihr Kind in der Schule von der Lehrerin mit seinem neuen selbst gewählten Namen angesprochen wird, beschwerte sie sich beim Schulbezirk. Die Lehrerin verlor ihren Job. – Eigentlich sollten Christen doch neuen Namen gegenüber offen sein. Es heißt doch in der Offenbarung: Jeder bekommt einen neuen Namen – nur er selbst und Gott kennen ihn. – Aber man ist inzwischen offenbar zu sehr eigenmächtigen Interpretationen der Bibel fähig.
Kürzlich zappte ich in ein TV-Interview mit einem evagelikalen Pastor, der sagte: Jesus sei dafür Waffen zu tragen, denn er habe die Händler ja auch mit der Peitsche aus dem Tempel vertrieben… Nun bin ich prinzipiell ein Freund von freien und gern auch weitläufigen Textinterpretationen, aber wie man es schafft aus einem Gewaltverzicht predigenden, alle Schwachen liebenden Jesus einen Befürworter der Waffenlobby zu machen, nötigt mir dann doch auch eine gewisse Verblüffung ab.
Wie schlimm diese Entwicklungen sind müsste jedem klar sein und eigentlich würde ich erwarten, dass Christen hierzulande diesen menschenfeindlichen Entwicklungen laut widersprechen. Wir haben hier Demokratie. Meinungsfreiheit. Aber stattdessen trauern viele um den evangelikalen Hassprediger Kirk und unterstellen jedem, der da nicht mitweinen will, kein ordentlicher Christ zu sein, während man um das demokratische Ehepaar, was einige Wochen zuvor von einem evangelikalen Christen ermordet wurde, offenbar nicht weinen muss…
Nun könnt es mir ja im Grunde egal sein, was und wie sich die Christenheit entwickelt, wenn, ja wenn sie nicht so omnipotent wären. Sowohl Trump als auch Putin werden von ihrer je eigenen christlichen community gestützt. Und damit sind sie eben nicht nur für ihre eigenen Leute ein Problem,- sondern für alle Menschen dieser Welt.
Hinzu kommt die Sache mit Israel und den Juden, mit denen Gott doch unbestreitbar ein Bündnis hat. An Israel aber scheiden sich die christlichen Geister. Während die meisten Evangelikalen auf den ersten Blick hart pro-israelisch sind, meldet sich der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) regelmäßig mit höchst einseitigen antiisraelischen Erklärung zu Wort. Beide Haltungen jeweils beseelt und mit großer Liebe – wie man das von Christens so gewohnt ist.
Moshe Normaljude bleibt dabei aber für gewöhnlich auf der Strecke. Denn Juden sind für diese Christen nur Objekte für die je eigene Agenda.
Ich stand vor einigen Monaten am Stand der DIG Rhein Neckar, als eine evangelikale Christin sich über die ebenfalls angebrachte Palästinafahne beschwerte. Ich erklärte ihr, dass man ja Gespräche will, auch mit den anderen und dass man nach Frieden für alle suche. Sie war aber ganz und gar nicht einverstanden. Sie erklärte mir, dass Jesus ja erst wieder kommen könne, wenn alle Juden in Israel leben und um das durchzusetzen, bräuchte man ganz Israel, auch Judäa und Samaria damit für alle Juden dort Platz sei und dann müssten die anderen dort eben weichen… Sie versicherte mir immer wieder, sie liebe alle Juden! Zugegeben, das ist ein krasser Einzelfall. Aber es ist ein Einzelfall, der mir schon mehrfach begegnet ist in diesen israelfreundlichen Kreisen.
Umgekehrt wurde ich vor einigen Wochen von einem katholischen Bekannten offiziell entfreundet, weil -wie er mir sagte- man an Israel sehen könne, wie dringend die Juden Jesus bräuchten, damit sie endlich Frieden und Vergebung lernen würden und er möchte nun keinen weiteren Kontakt zu mir, solange ich zu Israel stünde und ich solle das nicht feindselig interpretieren, das sei nämlich eigentlich ein Akt von liebevoller Trennung und zu meiner Erziehung zum Besseren…
Ich bin inzwischen jedenfalls soweit, dass mich christliche Nächstenliebe nur noch gruselt. Und ich hasse es, Objekt dieser liebevollen Bemühungen zu sein… Mir gehen meine Leute ja auch oft auf den Senkel, aber sie sagen wenigstens direkt, wenn sie einen doof finden und verpacken es nicht als „Liebe“. Und damit kann man umgehen. Tacheles ist deutlich mehr Liebe als manch christliche Liebespropaganda…