Über die unterbelichtete Rolle der flämischen Ministerin bei der Ausladung Lahav Shanis und den Münchner Philharmonikern
Von Karl-Josef Müller
Caroline Gennez ist Flämische Ministerin für Wohlfahrt und Armutsbekämpfung, Kultur und Chancengleichheit und Trägerin des Leopoldsordens, dem ältesten und höchsten Verdienstorden Belgiens. In einem Interview, das Ingo Zamperoni am 11. September mit Igor Levit geführt hat, ist zwar vom Mob auf der Straße die Rede, nicht aber von Caroline Gennez. Offensichtlich hatten Zamperoni und die Redaktion der Tagesschau nicht den Hauch einer Ahnung davon, welche Rolle Frau Gennez bei der Ausladung Lahav Shanis beim Konzert mit den Münchner Philharmonikern in Gent spielt. Wir zitieren aus dem Fernsehinterview:
Zamperoni: „Glauben Sie, da ist einer auch aus Angst vor Protesten oder Störaktionen quasi vorauseilend eingeknickt?
Levit: „Man knickt ein vor dem Druck auf der Straße.“ (…) ich kapituliere vor dem Mob auf der Straße (…)“
Levit hat in diesem Interview zu dem Vorgang alles gesagt, was zu sagen ist; Zamperoni und die Redaktion der Tagesschau hingegen haben an diesem Abend und in diesem Interview eine dilettantische Vorführung abgeliefert, gipfelnd in der Frage von Zamperoni, ob man die aktuellen Ereignisse vergleichen könne mit der Entlassung von Valery Gergiev als Dirigent der Münchner Philharmoniker im März 2022.
Nochmals aus dem Fernsehinterview:
Zamperoni: „Nun löst Lahav Shani ja ausgerechnet den bisherigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, den Russen Valery Gergiev ab, der gefeuert wurde wegen seiner großen Putin Nähe und weil er sich nicht vom russischen Überfall auf die Ukraine distanzieren wollte. Aus Ihrer Sicht, wie unterscheiden sich die beiden Fälle?“
Levi: „Herr Zamperoni, Menschen, die solche Vergleiche anstellen, kann ich folgendes sagen, da möchte ich folgendes sagen: einen Künstler zu vergleichen, nämlich Valery Gergiev, der seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten offen und für alle sichtbar aus Überzeugung, transparent ein Unterstützer, ein Kollaborateur, ein Profiteur ist von den Machenschaften des russischen, imperialistischen Diktators, dessen Land, ein anderes Land, ein freies Land, nämlich die Ukraine einseitig in einem kriegerischen Akt überfallen hat, schon 2014 überfallen hat, diesen Künstler zu vergleichen mit Lahav Shani, einem Dirigenten, der mit seinem deutschen Orchester, nämlich den Münchner Philharmonikern, in diese Situation reingerutscht ist einzig und allein weil er ein Israeli ist, weil er ein israelischer Jude ist, diese Situation miteinander zu vergleichen, ist wirklich in meinen Augen ein intellektueller Offenbarungseid, der, ehrlich gesagt, weder Aufmerksamkeit noch Plattform, noch jede Form von ernst zu nehmenden Form von Diskurs verdient.“
Nun zu Caroline Gennez. Wir zitieren ihre Stellungnahme zur Absage:
„Die flämische und die belgische Regierung haben ihre Verantwortung übernommen und ein starkes Signal gegen den Schrecken im Gazastreifen gegeben. Ich habe den Kultursektor aufgefordert, dasselbe zu tun, in dem er die Funktionsweise seiner Häuser sehr konkret überprüft und nicht länger mit Partnern und Unternehmen zusammenarbeitet, die sich weigern, sich eindeutig vom Völkermordregime in Tel Aviv zu distanzieren. Wie der Kultursektor damit arbeitet, ist seine Entscheidung und seine künstlerische Freiheit“.
Wie wird argumentiert? Zunächst ist da das starke Signal der flämischen und belgischen Regierung. Es folgt die Aufforderung, „nicht länger mit Partnern und Unternehmen zusammenarbeitet, die sich weigern, sich eindeutig vom Völkermordregime in Tel Aviv zu distanzieren.“ Eine Aufforderung ist kein Befehl, auch kein Ministererlass oder gar Gesetz. Doch welche Freiheit lässt Frau Gennez den Kulturschaffenden? Es klingt wie Hohn, wenn sie abschließend die „künstlerische Freiheit“ ins Spiel bringt. Möglich, dass es zu Demonstrationen gegen den Auftritt von Lahav Shani und das hoch angesehene deutsche Orchester gekommen wäre; dann wäre es Aufgabe des belgischen Staates wie der flämischen Regierung gewesen, die Kunst vor dem Mob zu schützen.
Wir wollen es dabei belassen und schließen unsere Überlegungen ab mit einer Erinnerung an eine andere Aussagen von Frau Gennez. Im Januar 2024 hatte Gennez, wie belgien-info berichtete, in einem Interview den „Holocaust und die Entwicklung im Gaza-Streifen in einen Zusammenhang gestellt sowie „unsere deutschen Freunde“ gefragt: „Wollt Ihr wirklich zweimal auf der falschen Seite der Geschichte stehen?“



