Antisemitismus per Parteitagsbeschluss

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Bild: Screenshot Die Linke

Antisemitismus per Parteitagsbeschluss

Auf dem am vergangenen Wochenende in Ingolstadt abgehaltenen Parteitag des bayerischen Landesverbandes der Partei „Die Linke“ wurde der jahrtausendealte antisemitische Vorwurf des Kindermordes reproduziert.

Von Thomas Tews

In der am Wochenende vom 27. bis 28. September 2025 in Ingolstadt stattgefundenen 2. Sitzung des 15. Landesparteitages des Landesverbandes Bayern der Partei „Die Linke“ wurde am Sonntag der Initiativantrag I1 „Stoppt den Genozid in Gaza“[1] von einer Mehrheit der Delegierten angenommen. Darin wird postuliert, „dass die israelische Kriegsführung in Gaza die Kriterien für einen Genozid“ erfülle. In der folgenden Begründung heißt es zu Beginn: „Seit Ende 2023 haben die israelischen Angriffe mehrere Zehntausende Menschenleben gekostet, darunter ein besonders hoher Anteil an Kindern.“

Verschwiegen wird der Auslöser der israelischen Angriffe, nämlich der 7. Oktober 2023, der für die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger „die größte Katastrophe in der Geschichte Israels“ darstellt:

„Es war ein Genozid an den Bewohnern und Besuchern einer ganzen Region, des nordwestlichen Negev. Zehn Prozent wurden von der Hamas, dem Islamischen Dschihad und von gewöhnlichen Bürgern von Gaza ermordet, verletzt, vergewaltigt und/oder entführt.“[2]

Auch wenn die Hamas palästinensische Zivilisten, darunter Kinder, bewusst als menschliche Schutzschilde missbraucht, sollte außer Frage stehen, dass jedes palästinensische Kind, welches in dem von der Hamas am 7. Oktober 2023 begonnenen und von Israel mit Härte beantworteten Krieg stirbt, eines zu viel ist. Wenn aber wie in dem in Rede stehenden Initiativantrag suggeriert wird, dass es der jüdische Staat gezielt auf die Tötung von Kindern abgesehen habe, wird ein rund zwei Jahrtausende alter antisemitischer Topos reproduziert.

So behauptete bereits der Verfasser des Matthäusevangeliums, der jüdische König Herodes habe die Ermordung aller männlichen Kleinkinder in Bethlehem befohlen, um das von den ‚Weisen aus dem Morgenland‘ als „neugeborenen König der Juden“ (Mt 2,2, LU) bezeichnete Jesuskind zu beseitigen:

„Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knaben in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.“ (Mt 2,16, LU)

Einer der schärfsten antijüdischen Hetzer der Spätantike war Johannes von Antiochia (ca. 347 bis 407), der später den Beinamen Chrystosomos erhielt und als Erzbischof von Konstantinopel einer der einflussreichsten Prediger seinerzeit war. In seinen scharfen Angriffen gegen die Juden warf er ihnen ihren vermeintlichen Mord an Jesus vor, welcher zweifellos der höchste Frevel sei, aber in einer Reihe mit anderen von ihnen begangenen Untaten wie Kindesmord stehe:

„Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr gegen den Herrn die Hand erhoben habt, weil ihr sein kostbares Blut vergossen habt, deshalb gibt es für euch keine Besserung mehr, keine Verzeihung und auch keine Entschuldigung. Denn, wenn dies nicht die Ursache eurer gegenwärtigen Ehrlosigkeit ist, weshalb hat euch Gott damals ertragen, als ihr Kindesmord begangen habt, wohingegen er sich jetzt, da ihr nichts Derartiges verübt, von euch abwendet? Also ist klar, dass ihr mit dem Mord an Christus ein viel schlimmeres und größeres Verbrechen begangen habt als Kindesmord und jegliche Gesetzesübertretung.“[3]

Der Vorwurf, die Juden würden Kinder töten, gewann im Mittelalter mit den sogenannten Ritualmordbeschuldigungen eine neue Qualität. Eine solche Beschuldigung wurde erstmals 1144 in England erhoben, wo ein Benediktinermönch behauptete, Juden hätten einen kleinen Jungen ermordet. Dieser Vorwurf wurde aufgegriffen und es entstand das Gerücht, Juden würden christliche Kinder entführen und töten, weil sie deren Blut für das Pessachfest oder andere jüdische Rituale benötigten. Derartige Ritualmordanschuldigungen, die vor allem im 13. Jahrhundert europaweit stark zunahmen, führten zu Schauprozessen und judenfeindlichen Ausschreitungen und Übergriffen.

Seitdem wurden und werden Juden immer wieder mit dem antisemitischen Vorwurf, sie seien Kindermörder, konfrontiert, was zeigt, wie sich antisemitische Topoi über Jahrhunderte halten und verbreiten können. Insofern ist der vom Landesparteitag der bayerischen Linken gegenüber dem jüdischen Staat erhobene Vorwurf alter Wein in neuen Schläuchen …

Anmerkungen:
[1] https://www.die-linke-bayern.de/partei/parteitag/lpt-2025-ingolstadt/detail/i1-stoppt-den-genozid-in-gaza/ (letzter Zugriff am 29.09.2025).
[2] Fania Oz-Salzberger, Deutschland und Israel nach dem 7. Oktober. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp, Berlin 2024, S. 28.
[3] Zitiert nach Sebastian Voigt, Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende? 2. Auflage. Hirzel, Stuttgart 2024, S. 19.