Klage von bundesweiter Bedeutung

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FU Berlin, Foto: Fridolin freudenfett (Peter Kuley) - CC BY-SA 3.0

Gemeinsame Presseerklärung anlässlich des Prozessbeginns gegen die Freie Universität Berlin am Verwaltungsgericht Berlin von dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Berlin, dem Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) e. V., der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK e. V. und der International Association of Jewish Lawyers (IJL).

Berlin, 15. Juli 2025: Heute, am 15. Juli 2025, um 10:00 Uhr verhandelt das Berliner Verwaltungsgericht die Klage eines jüdischen Studierenden gegen die Freie Universität Berlin. Der Kläger wirft der Universität vor, ihn sowie andere Studierende nicht ausreichend vor antisemitischer Diskriminierung geschützt zu haben und damit ihren Verpflichtungen nach Paragraf 5 Abs. 2 des Berliner Hochschulgesetzes nicht nachgekommen zu sein.

Die Klage ist von bundesweiter Bedeutung. Denn die Hochschulgesetze der Länder verpflichten die Hochschulen dazu, ihrer Verantwortung zum Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus umfassend gerecht zu werden. Das bedeutet auch, dass die Hochschulen entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen, damit Studierende ihr Grundrecht auf Bildung wahrnehmen können – ohne Angst vor antisemitischen oder rassistischen Beleidigungen, Bedrohungen, Anfeindungen oder körperlicher Gewalt.

Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.), betont die grundsätzliche Tragweite des Verfahrens für Hochschulen bundesweit:
„Die Klage ist von grundsätzlicher Bedeutung für alle Studierenden, die von Antisemitismus, Rassismus und rechtsextremen Angriffen betroffen sind. Immer wieder wenden sich betroffene Hochschulangehörige an die Opferberatungsstellen – wie etwa nach einem rassistisch motivierten Messerangriff auf einen Studierenden an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve am 10. Juli 2024. Die wenigsten Hochschulen haben Handlungskonzepte, um Studierende vor solchen Bedrohungen zu schützen – wie es beispielsweise für die Hochschule Cottbus seit 2023 vorliegt.1 Wir hoffen daher, dass von der Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin auch ein Zeichen der Ermutigung an Studierende ausgeht: dass es möglich ist, auf der Basis der jeweiligen Landeshochschulgesetze und deren Antidiskriminierungsklauseln die Hochschulen zu mehr Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und rechtsextremen Bedrohungen zu verpflichten.“

Julia Kopp, Projektleiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Berlin, unterstreicht die Bedeutung klarer Haltung im Umgang mit antisemitischen Vorfällen von Hochschulen für jüdische Studierende sowie die Notwendigkeit von Meldeoptionen:
„RIAS Berlin sind seit dem 7. Oktober 2023 deutlich mehr antisemitische Vorfälle an Berliner Hochschulen bekannt geworden als in den Jahren zuvor. 2024 wurden insgesamt 51 Vorfälle dokumentiert. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Hochschulen, die sich klar gegen Antisemitismus positionieren, auch transparent machen, was sie darunter fassen und wie sie beabsichtigen, ihre Haltung mit Handlungen zu untersetzen. Häufig sind es die – ohnehin bereits stärker unter Druck stehenden – jüdischen Studierenden oder Studierendengruppen, die auf antisemitische Vorkommnisse an Hochschulen aufmerksam machen, das stellt eine zusätzliche Belastung dar. Zivilgesellschaftliche Melde- und Beratungsangebote sollten an Hochschulen stärker bekannt gemacht werden, damit ein umfassenderes Lagebild erstellt und Betroffene wirksamer unterstützt werden können.“

Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) e. V., hebt die bundesweite Dimension antisemitischer Vorfälle an Hochschulen vor:
„Antisemitismus an und um Hochschulen ist ein Problem in allen deutschen Universitätsstädten. RIAS-Meldestellen haben im Jahr 2024 dreimal so viele antisemitische Vorfälle im Kontext von Hochschulen dokumentiert wie im Vorjahr. Während israelbezogener Antisemitismus das Geschehen dominiert, wurde in etwa jedem fünften Fall auch Post-Schoa-Antisemitismus dokumentiert. In über 60 bekannt gewordenen Fällen waren jüdische oder israelische Studierende direkt betroffen. Das beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen_Juden und greift in ihr Grundrecht auf Bildung ein. Die Klage gegen die FU Berlin ist für Hochschulleitungen und Studierende von grundlegender Bedeutung. Hochschulleitungen sind immer in der Pflicht, die Sicherheit ihrer Studierenden zu gewährleisten und Diskriminierung effizient entgegenzuwirken.“

Naomi Tamir, Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD), betont die Bedeutung von Antisemitismus für jüdische Studierende im Alltag:
„Wissenschaftsfreiheit bedeutet, dass alle Studierende die Möglichkeit haben, frei von Angst die Universitäten zu besuchen und die Veranstaltungen und Seminare nach Interesse und nicht nach Bedrohungslage wählen können. Täglich berichten uns jüdische Studierende jedoch von Aufrufen, Schmierereien oder Bedrängungen, die Gewalt oder Mord an Jüdinnen_Juden relativieren oder glorifizieren. Universitäten müssen diese Gewalt ernst nehmen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.“

Marina Chernivsky, Geschäftsführerin der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK e. V., weist auf die strukturellen Dimensionen antisemitischer Diskriminierung an Hochschulen hin:
„Antisemitische Vorfälle im Umfeld von Hochschulen sollten vor dem Hintergrund ihrer struktureller Verankerung betrachtet werden. Befeuert durch die weitgehend ungehinderte Verbreitung von Terrorapologie, Geschichtsrevisionismus und antisemitischen Verschwörungsmythen im Kontext des Nahostkonflikts haben sich an vielen Hochschulen diskriminierende Strukturen herausgebildet. Diese erschweren oder verhindern jüdischen Studierenden eine gleichberechtigte Teilhabe an akademischer Bildung. Hochschulen sind gefordert, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen und systematische Diskriminierung jüdischer Studierender entschieden abzubauen.“

Avraham Yishai, Leiter des Legal Center for Combating Antisemitism der International Association of Jewish Lawyers (IJL), ordnet das Verfahren in einen internationalen Kontext ein:
„Die International Association of Jewish Lawyers and Jurists (IJL) setzt sich sehr für die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für den Schutz der Rechte jüdischer Gemeinden weltweit ein. Die Unterstützung dieser Klage ist für die IJL von großer Bedeutung, da sie die erste ihrer Art in Deutschland ist. Sie ist Teil der umfassenderen Bemühungen der IJL in ganz Europa, sicherzustellen, dass die Universitäten ihrer Verantwortung gerecht werden, jüdische und israelische Studenten vor Belästigung und Einschüchterung zu schützen. In diesem Zusammenhang setzen wir uns dafür ein, dass ihr Grundrecht auf ein Studium in einen sicheren und respektvollen Umfeld gewahrt bleibt. Zu diesem Zweck führt die IJL ähnliche Bemühungen an Universitäten in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, darunter Polen, Italien und Lettland, durch.“

1 Siehe dazu: Heike Radvan, Susanne Dyhr: Handlungskonzept gegen (extrem) rechte Einflussnahme an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, https://www-docs.b-tu.de/fg-methoden-theorien-sozialearbeit/public/handlungskonzept/Handlungskonzept-gegen_extrem_rechte-Einflussnahme-an-der-BTU_RZ-14.pdf