Antisemitismus in Milieus und Subkulturen

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Antisemitismus gibt es auch in sich emanzipatorisch und progressiv gebenden Bewegungen und Subkulturen. Darauf macht ein mit „Judenhass Underground“ überschriebener neuer Sammelband aufmerksam. Auch außerhalb des kulturellen Mainstreams finden sich immer wieder antisemitische Stereotype.

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus, so meint man in sich emanzipatorisch und progressiv gebenden Bewegungen und Subkulturen gern, kommt in diesem Kontext nicht vor. Das hängt meist mit der einseitigen Auffassung zusammen, wonach Judenhass nur oder primär von der politischen Rechten komme. Das ist zwar bezogen auf die Grundaussage nicht ganz falsch, aber doch eine schiefe Interpretation. Denn bekanntlich gibt es Antisemitismus in diversen kulturellen, politischen, religiösen oder sozialen Kontexten. Dies veranschaulichen auch die Beiträge in einem Sammelband, der „Judenhass Underground. Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen“ überschrieben wurde.

Herausgegeben haben ihn die beiden Journalisten Stefan Lauer und Nicholas Potter. Auch die Autoren des Bandes, selbst wenn sie einen wissenschaftlichen Hintergrund haben, nähern sich journalistisch ihrem jeweiligen Thema. Dies geschieht glücklicherweise nicht in einem lockeren Reportagestil, sondern mit klarer Struktur. Das größte Ärgernis bei all dem ist: Es gibt keine Belege in Fußnoten, was für Aussagen ebenso wie für Zitate gilt. Ansonsten liegt ein beachtenswerter Band vor.

Die insgesamt 20 Beiträge finden sich in drei Teile aufgegliedert, welche schlicht mit „Theorie“, „Praxis“ und „Dialog“ überschrieben sind. In der davor stehenden Einleitung wird darauf verwiesen, dass man keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Eher habe man es mit Momentaufnahmen zu tun, welche eben bestimmten Szenen gelten. Antisemitismus vereine sie, wie eine kritische Betonung dazu lautet. Gleich der erste Aufsatz geht auf ein zentrales Problem ein, ist er doch mit „Israelhass und Antisemitismus“ überschrieben. Die meisten Beispiele, die dann in den folgenden Aufsätzen thematisiert werden, beziehen sich auf eine israelbezogene Judenfeindschaft. Berechtigt wird darauf verwiesen, dass Antisemitismus und Israelfeindlichkeit auch in empirischen Untersuchungen häufig genug in einem erkennbaren Zusammenhang stehen. Gleichwohl ist eine grundsätzliche Gleichsetzung durchaus problematisch. Das macht indessen eine nicht-antisemitische Israelfeindlichkeit nicht unbedenklich, gehen damit doch aus anderen Gründen bestehende Wahrnehmungsverzerrungen einher. Hier bedarf es sicherlich der Differenzierung.

Darüber hinaus machen die folgenden Aufsätze mit kleinen Fallstudien zu unterschiedlichen Milieus immer wieder deutlich, wie stark pauschale Ablehnungen von Israel dominieren und mitunter auch traditionelle antisemitische Stereotype kursieren. Gerade wenn man sich als Leser mit den behandelten Subkulturen nicht näher auskennt, wird so ein informativer und problemorientierter Überblick zu den dortigen Zerrbildern geliefert. Darin besteht auch die Bedeutung des vorliegenden Sammelbandes. Ein nahezu mustergültiges Beispiel dafür ist der BDS-Beitrag, worin sich die wichtigsten Aspekte und Einschätzungen auf engem Raum finden. Dann geht es in dem ersten Abschnitt außerdem noch um die Debatte um „Intersektionalität“ und die Juden gegenüber auszumachende „Klasse“-Wahrnehmung. Beide Artikel erklären indirekt, warum Antisemitismus für die Identitätslinke nicht so wichtig ist. Der zweite große Abschnitt blickt auf verschiedene Milieus und Subkulturen. Es geht dabei um die Clubkultur, den Feminismus, den Hardcore, den Hiphop, die Klimabewegung, den Kulturbetrieb, die Queere Community oder den Punk.

Die Autoren sind meist gute Kenner dieser Szenen, welche ein besonderes Auge für die dortigen Entwicklungen haben. Einschlägige Ereignisse werden ansonsten nur selten in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Dafür stehen etwa die Auseinandersetzungen um antisemitische Bestandteile von Gemälden auf der Kasseler documenta oder die Deutschraptexte von Kollegah und Farid Bang. Dass es dabei nicht um Ausnahmen geht, machen die Aufsätze mit anderen Beispielen deutlich. Da wird dann das alte Feindbild von „Rothschild“ als Synonym für antisemitische Verschwörungsideologien bemüht, aber eben von migrantischen Deutschrap-Musikern, nicht nur von neonazistischen Rechtsrockern. Auf all diese Dimensionen der Judenfeindschaft macht der Sammelband aufmerksam, er belegt damit auf eine Forschungs- und Wissenslücke. Dies verdeutlichen ebenso die Interviews im dritten Teil, wo über all dies mit Publizisten und Szeneangehörigen gesprochen wird. Bedauerlicherweise muss man bei all diesen Ausführungen feststellen, dass hier neue Dimensionen der Forschung über Judenfeindlichkeit eröffnet werden.

Nicholas Potter/Stefan Lauer (Hrsg.), Judenhass Underground. Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen, Leipzig 2023 (Hentrich & Hentrich), 251 S., Euro 22,00, Bestellen?

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