Antisemitismus gibt es auf unterschiedlichen Ebenen auch im Fußball. Darauf macht ein kleiner Sammelband aufmerksam, der vom „Zentralrat der Juden in Deutschland“ herausgegeben wurde: „Strafraum. Die (Un-) Sichtbarkeit von Antisemitismus im Fußball“.
Von Armin Pfahl-Traughber
Für die Fans gilt Fußball als wichtigste Nebensache der Welt – oder vielleicht sogar noch ein wenig mehr. Nicht nur in Deutschland ist er die beliebteste Sportart. Fußball spielt auch weit über den Platz hinaus eine wichtige Rolle. Für diese Aussage bedarf es wohl keiner weiteren Begründung. Doch Fußball ist nicht nur ein faszinierendes Spiel, er hat auch seine unterschiedlichen Schattenseiten. Dazu gehören Fouls auf und fern von dem Platz. Und Antisemitismus kann als ein solches Foul gelten. Immer wieder kam es zu entsprechenden Ereignissen und Skandalen, die dann zu Sensibilitäten bei den Vereinen führten. Auch um ihres öffentlichen Images willen, engagierten sich wichtige Fußballclubs in diesem Sinne. Indessen darf nicht ignoriert werden: Je tiefer die Liga, desto mehr Vorkommnisse gibt es. Dies führte dazu dass sich immer mehr Journalisten und Sozialwissenschaftler mit dem Thema beschäftigten. Und dies motivierte eine Fachtagung, die wiederum in einem Tagungsband mündete. Unter dem Titel „Strafraum. Die (Un-) Sichtbarkeit von Antisemitismus im Fußball“ gab ihn der Zentralrat der Juden in Deutschland heraus.
Enthalten sind darin eher kürzere Artikel, die unterschiedliche Aspekte des Themas und darüber hinaus behandeln. Der Blick in die jeweiligen Fußnoten macht deutlich, dass es durchaus jüngere Forschung dazu gibt, welche aber bislang noch kein größeres Interesse auslöste. Und dann vermitteln die Beiträge die unterschiedlichen Dimensionen, die mit dem Antisemitismus im Fußball verbunden sind. Sie reichen von Beleidigungen von Kindern mit Makkabi-Trikot bis zu Schiedsrichter-Schmähungen mit antisemitischen Stereotypen. Die insgesamt 18 Beiträge in dem kleinen Sammelband machen all dies exemplarisch deutlich und dadurch die „(Un-) Sichtbarkeit“ aus dem Untertitel sichtbar. Ein Beitrag ist etwa passend mit „Im Abseits der Wahrnehmung – Antisemitische Vorfälle im Amateurfußball“ überschrieben. Derartige Ereignisse kann man sicherlich nicht verallgemeinern, aber es handelt sich eben um reale Ereignisse. Und Betroffene empfinden so etwas bekanntlich intensiver als es Nicht-Betroffene tun. Gleichwohl geht Antisemitismus immer die ganze Gesellschaft an, weil er eben auch etwas über sie aussagt.
Die einzelnen Artikel sind tatsächlich eine Sammlung, von den Dimensionen und Inhalten her geht es kreuz und quer durcheinander. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse müssten in ein intensiveres Forschungsprojekt integriert werden, wofür viele Ansätze und Ideen in den Texten vorgetragen werden. „Arenen antisemitischer Affektentladung“ ist etwa ein Beitrag überschrieben, der bezogen auf die Stadionatmosphäre auf fatale Wirkmechanismen abstellt. Latente Einstellungen brechen mitunter in einer emotionalen Spannungssituation durch. Doch was besagt diese Einsicht hinsichtlich antisemitischer Einstellungspotentiale, welche offenbar latent vorhanden sind und dann manifest werden? Ein anderer Beitrag widmet sich der Rolle von Schiedsrichtern, die diskriminierende Äußerungen und Handlungen ahnden sollen. Auch sie sind mitunter von Fans antisemitischen Schmähungen ausgesetzt, wobei sie nur in den seltensten Fällen selbst Juden sind. So etwas steht für den „Antisemitismus ohne Juden“, der gerade im Fußball weit verbreitet ist. Üble judenfeindliche Beleidigungen auch der gegnerischen Mannschaft kommen immer wieder vor.
Der Band informiert über viele damit verbundene Fragen und weit darüber hinaus. Es geht etwa um Anlaufstellen für Diskriminierungsvorfälle, antisemitismuskritische Bildungsarbeit im Fußballkontext oder die Handlungsmöglichkeiten der Sportgerichtsbarkeit. Besonders beachtenswert ist ein Beitrag, der die deutsch-israelischen Fußballbeziehungen thematisiert. Aussagen darin machen deutlich, dass mitunter ein Spiel sehr viel mehr bewirken kann. Jahrelange Bemühungen werden mitunter durch 90 Minuten übertrumpft. Insofern hat man es in dem Band auch mit positiven Signalen zu tun. Es gibt darüber hinaus ungewöhnliche Phänomene, etwa wenn sich antisemitisch geschmähte Vereine besonders titulieren lassen. So bezeichneten sich Fans von „Ajax Amsterdam“ oder den „Tottenham Hotspur“ selbst als „Super Joden“ oder „Yid Army“. Antisemitismus im Fußball anderer Länder ist ebenso kurz ein Thema. Ein vergleichender Blick wäre wichtig, um hier Spezifika zu erkennen. Der Band wirkt in der Gesamtstruktur etwas fragmentarisch, enthält aber viele nützliche Informationen und Reflexionen. Dies macht ihn lesenswert.
Zentralrat der Juden in Deutschland (Hrsg.): Strafraum. Die (Un-) Sichtbarkeit von Antisemitismus im Fußball, Leipzig 2023 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 152 S., Euro 19,90, Bestellen?