Vom einfachen Schnorrer zum Hochschulprofessor

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Viele Journalisten berichteten in der internationalen Presse über die Kongresse

Von Jim G. Tobias
Zuerst erschienen in der tachles-Sondernummer 125 Jahre Zionistenkongress

«Wohin man im Inneren der Stadt und auf den Bahnhöfen kommt, klingen fremde Sprachen entgegen, aber nicht die in der Schweiz so oft vernommenen, kaum mehr beachteten Töne des Englischen und Französischen, sondern slawische Laute und – was noch mehr überrascht – der Klang der hebräischen Sprache», beschrieb die in Berlin verlegte «Jüdische Presse» das städtische Leben Basels in den Spätsommertagen des Jahres 1897. «Und die Typen der Personen, die wir in diesen ungewohnten Idiomen reden hören, sind so unverkennbar jüdisch, dass kein Zweifel bleibt: Es sind die Besucher des Zionisten-Kongresses, welche von weither zusammengeströmt sind.»

Die von Theodor Herzl gegründete Wiener Zeitung «Die Welt» verkündete jubelnd: «Über zweihundert Männer haben sich in Basel zusammengefunden, welche alle von dem Bewusstsein beseelt sind, dass hinter ihnen ein ganzes Volk steht, welches seine Not und alle seine Hoffnungen vertrauensvoll in die Hände seiner zionistischen Vertreter gelegt hat.»

„Die Welt“ wurde zum Zentralorgan der zionistischen Bewegung. Repro: nurinst-archive

Auch die örtlichen «Basler Nachrichten», die der zionistischen Idee eher kritisch gegenüberstanden, berichteten neutral bis wohlwollend über die jüdische Konferenz. «Wenn auch Angehörige eines Volkes, so repräsentieren sie doch eine bunt zusammengesetzte Gesellschaft», so das Blatt. «Vom einfachen Schnorrer bis zum Hochschulprofessor von Weltruf sind alle Zwischenstufen vertreten. Das alles vereinigt sich zu einem Bild von eigenartigem Kolorit.»

Kritik aus Deutschland

In Deutschland standen die jüdischen Gemeinden und ihre Rabbiner dem Zionistenkongress jedoch äusserst kritisch gegenüber. «Die Bestrebungen sogenannter Zionisten, in Palästina einen jüdisch-nationalen Staat zu gründen, widersprechen den messianischen Verheißungen des Judentums», verkündete der Rabbiner-Verband in der Zeitschrift «Im deutschen Reich», dem Organ des Centralvereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens. «Alle, denen das Wohl des Judentums am Herzen liegt, bitten wir, dass sie sich von den zionistischen Bestrebungen und ganz besonders von dem trotz aller Abmahnungen noch immer geplanten Kongress fernhalten.» Eine Teilnahme würde zudem den Tatbestand der Untreue gegenüber dem Vaterland erfüllen, warnte der stellvertretende Vorsitzende des Centralvereins. «Deutsch sind wir und deutsch wollen wir bleiben.» Auch die «Allgemeine Zeitung des Judenthums» war alarmiert: «Das deutsche Gesamt-Israel muss sich gegen den unberechtigten Vorwurf verwahren, sie seien keine Deutschen, sondern gravitieren nach Kanaan.»

Mit diesem deutlichen Hinweis auf mögliche unangenehme Folgen gelang es zwar, den Versammlungsort München zu verhindern – dort sollte die Zusammenkunft nämlich zunächst stattfinden. Der Grund: Die Stadt wäre aus Osteuropa bequem mit der Eisenbahn zu erreichen, sie habe eine grosse jüdische Gemeinde und damit ein angemessenes Angebot von koscheren Speisemöglichkeiten. Auch die örtliche Israelitische Kultusgemeinde lehnte den Kongress vehement ab. In den «Münchner Allgemeinen Nachrichten» wurde Herzls Vorhaben als «Faschingstraum eines durch Judenrausch verkaterten Feuilletonisten» verspottet. Und so entschied sich Herzl für das verschlafene, aber liberalere Basel.

Grosses Medienecho

Doch die Kritik an seinem Vorhaben hielt weiterhin an. Der Kongress führte zu einem gewaltigen Blätterrauschen in Europa und der Welt. «Wer in den letzten Wochen die jüdischen Zeitungen zur Hand nahm», textete etwa die «Jüdische Presse», «mochten sie in Europa oder in Amerika, in deutscher, hebräischer oder englischer Sprache erscheinen, fand in jeder Nummer Artikel über den Zionismus» – mit durchwegs ablehnender Haltung. «Der Nationalismus Herzls, von den österreichisch-ungarischen Verhältnissen ausgehend, könne nur Schaden anrichten, wenn er auf andere Länder übertragen werden soll», schrieb etwa der englische «Jewish Chronicle» im Vorfeld des Kongresses. «Der wahre Zionismus, der in der Liebe zu Palästina besteht, werde durch solche Extravaganzen nur empfindlich geschädigt.» Und die deutsche «Jüdische Presse» warf die Frage auf: «Wären wir Juden im Stande, schon heute einen Staat zu gründen und auch nur kurze Zeit lebensfähig zu erhalten?»

Basel stand nicht oft im Mittelpunkt von so viel internationaler Aufmerksamkeit. Sich dessen bewusst, umgarnte Theodor Herzl in seiner Eröffnungsrede auch die damals führende Weltmacht Grossbritannien: «Ein Land, in dem Gottes Volk nicht verwünscht und verfolgt werde und volle Freiheit genieße». Nicht ohne Erfolg, wie dem «Glasgow Herald» zu entnehmen ist: «Das Kompliment, das der Präsident des Zionistenkongresses diesem Land machte, ist desto willkommener, weil es nicht nur ehrlich, sondern auch wohl verdient ist», lobte das Blatt. Auch die «Birmingham Post» und der «Leeds Mercury» würdigten Herzls Worte, in Zeiten, in denen Grossbritannien vom Kontinent schikaniert werde. Die englische Presse ging auch auf Herzls Warnungen ein, «dass die jüdische Einwanderung aus Russland nach Großbritannien für das Land und für die Juden gleichermaßen verheerend sei und dass eine Massenwanderung der Juden aus Osteuropa nach Palästina im Interesse aller liege», wie der Herzl-Biograf Derek Penslar das britische Medienecho zusammenfasst.

Falsche Voraussage

«Selten hat eine Frage die ganze jüdische Öffentlichkeit so beschäftigt wie die Einberufung des Herzlschen Kongresses», schrieb der Israelit, Centralorgan des orthodoxen Judentums, und verwies auf eine Resolution des Board of Jewish Ministers of New York, in der der jüdische US-Verband «energisch den Plan von Dr. Herzl, Palästina durch Kauf zu erwerben, verwirft und den Versuch, in Palästina einen jüdischen Staat aufzurichten mit Abscheu zurückweist.»

Mit Befriedigung stellte die «Allgemeine Zeitung des Judenthums» rückblickend fest: «Das große Ereignis, das schon seit Wochen so viel Staub aufgewirbelt, der Zionistenkongress, ist nun auch vorüber und die Welt geht ihren Gang ruhig weiter. Wir haben schon andere und tiefergehende Bewegungen innerhalb des Judentums erlebt, ohne dass diese auch nur das Geringste in seinem Bestand zu ändern vermochten. Daran werden auch die zionistischen Schwärmer und Demagogen nicht das Geringste ändern!»

Eine krasse Fehleinschätzung, wie wir heute wissen, denn 50 Jahre danach, im November 1947, erfolgte der Uno-Teilungsbeschluss des englischen Mandatsgebietes Palästina und wenig später, am 14. Mai 1948, die Proklamation des Staates Israel. «Es ist ein geschichtlicher Augenblick, den wir hier in Basel erlebt haben», prophezeite «Die Welt» in ihrer Ausgabe vom 3. September 1897. Es war kein Märchen, kein Traum, der da im sommerlichen Basel diskutiert wurde, «im wunderbaren Glanz der Sonne», die der «Alpenlandschaft eine weihevolle Stimmung» verlieh.

Bild oben: Theodor Herzl beim 1. oder 2. Zionistenkongress in Basel, Foto: National Photo Collection /GPO Photo D131-028.