Der Kölner Frauengeschichtsverein hat kürzlich eine eigene App zur Geschichte jüdischen Frauenlebens gestaltet. Einmal mit dem Handy heruntergeladen finden sich dort 30 gut lesbare, durch eigene Höraufnahmen ergänzte, bebilderte Portraits jüdischer Frauen. Die Mehrzahl von ihnen wirkte Anfang des 20. Jahrhunderts. Die meisten von ihnen sind eher unbekannt, andere waren mit bekannten Kölner Juden verheiratet, ohne dass ihr eigenes Wirken bisher öffentlich gewürdigt wurde.
Von Roland Kaufhold
Da ist die Bankdirektorin Therese Oppenheim, bei ihrer Geburt hieß sie noch Stein. Mit 17 Jahren heiratete die 1775 Geborene den Händler Salomon Oppenheim, 1801 zog sie nach Köln, bekam 12 Kinder. Sie arbeitete in der Bank ihres Mannes mit, wurde in Entscheidungen eingebunden. Nach dem Tod ihres Mannes erbte sie die Bank und war wegen ihres strengen Führungsstils wohl auch gefürchtet. Oppenheim wurde das größte Bankhaus Kölns. Nach ihrem Tod wurde sie auf dem jüdischen Friedhof Köln-Deutz beerdigt.
Die Sozialarbeiterin Ida Auerbach war von 1924-1938 Vorsitzende des israelitischen Frauenvereins inKöln. Sie war mit dem Arzt Benjamin Auerbach verheiratet, der das Kölner Israelitische Asyl für Kranke und Altersschwache in Ehrenfeld leitete. Sie setzte sozialpolitische Impulse, etwa als Vertreterin der aus England stammenden Gartenstadtbewegung. Sie gehörte als eine der ersten Frauen überhaupt dem Vorstand der Kölner Synagogengemeinde an und emigrierte über London nach News York.
Oder da ist Else Falk (1872-1956), die als führende Persönlichkeit der Kölner Frauenbewegung portraitiert wird. Von 1919 bis 1933 wurde sie ununterbrochen als Vorsitzende des Stadtverbandes Kölner Frauenvereine gewählt und war in der Stadtgesellschaft hoch geschätzt. Sie engagierte sich für Kriegsgeschädigte und gründete einen ‚liberalen‘ Wohlfahrtsverband, der später in den DPWV mündete. 1934, als sie aus dem Künstlerinnennetzwerk Gedok ausgeschlossen war, gründete sie noch die Jüdische Kunstgemeinschaft. 1939 emigrierte sie nach Brüssel und später nach Brasilien.
Die promovierte Kunsthistorikerin Elisabeth Moses (Bild oben) baute mit dem Rabbiner Adolf Kober auf einer vielbesuchten Ausstellung eine Abteilung „Juden und Judentum im Rheinland“ auf. Sie vermochte rechtzeitig in die USA zu fliehen, wo sie Expertin für jüdische Kultur und modernes Design wurde.
Klara Caro, 1886 in Berlin geboren, wurde als Jugendliche durch mehrere Rabbiner geprägt und schloss sich mit 17 einem zionistischen Frauenclub an. In Köln setzte sie sich für das Frauenwahlrecht ein und arbeitete als Gefängnisseelsorgerin. 1926 gründete sie die Kölner Ortsgruppe des Jüdischen Frauenbundes und organisierte Führungen durch die Synagoge. Als sie nach 1933 die vollständige Isolation der Juden erlebte war sie grenzenlos enttäuscht: „Wir sind völlig auf uns selbst gestellt“, bemerkte sie. 1940 musste sie in ein Kölner „Judenhaus“ ziehen, 1942 begleitete sie freiwillig mit ihrem Mann Gemeindemitglieder nach Theresienstadt, wo sie Bildungsveranstaltungen von mehreren hundert inhaftierten Jüdinnen leitete. Im August 1943 verstarb ihr Mann an Mangelernährung. Klara Caro überlebte Theresienstadt, emigrierte über die Schweiz in die USA, wo sie bis zu ihrem Tode 1979 für eine jüdische Gemeinde arbeitete. Köln besuchte sie nur, um an Ehrungen ihres Ehemannes teilzunehmen. Aus diesem Anlass bemerkte sie 1946 in ihrer Gedenkschrift „Den Märtyrern von Theresienstadt zum Gedächtnis“: „Beklagenswert“ sei nur das Schicksal „derer von uns, die gezwungen werden, nach allem Schrecklichen zu dem Mördervolk zurückzukehren und in einem Lande zu leben, wo es für uns keine Nachbarn mehr geben kann.“
Oder da ist Jenny Gusyk (1897-1944): Im russischen Zarenreich geboren, machte sie 1917 in Köln ein Studium an der Handelshochschule, war 1919 Kölns erste Studentin an der neu gegründeten Universität.. Von Freundinnen wurde sie als eine „offener, selbstbewusster und hochintelligenter Mensch“ beschrieben. Sie orientierte sich kommunistisch, heiratete einen KPD-Journalisten, wurde 1933 inhaftiert und war als Jüdin und Kommunistin doppelt gefährdet. Nach ihrer Freilassung engagierte sie sich nicht mehr politisch, wurde aber 1939 erneut inhaftiert, 1943 nach Auschwitz verschleppt, wo sie 1944 ermordet wurde. Seit 2009 wird von der Gleichstellungsbeauftragten der Universität zu Köln der Jenny-Gusyk-Preis verliehen.
Renée Düring, 1921 in Köln geboren, besuchte die jüdische Grundschule in der Lützowstraße und musste 1935 aus ‚rassischen‘ Gründen das Gymnasium verlassen. Ihre Eltern schickten sie in das scheinbar rettende Amsterdam, ab 1940 war ihr Leben auch dort bedroht. 1943 wurde sie in Amsterdam von der Gestapo aufgespürt, nach Westerbork deportiert und nach Auschwitz verschleppt. Ihre Eltern und ihr Mann wurden dort ermordet, an ihr wurden von Naziärzten grausamste medizinische „Versuche“ unternommen, u.a. die Sterilisierung. Renée überlebte mit äußerstem Glück, auch einer der Eierstöcke war noch intakt und sie bekam eine hoch ersehnte Tochter. 1959 ging sie in die USA und blieb doch innerlich bis zu ihrem Tode 2018 an den kölschen Humor und den rheinländischen Dialekt gebunden. Ihre Mutter, so erinnerte sich ihre Tochter, habe ihr immer das Gefühl vermittelt, „etwas Besonderes“ und sehr wertvoll zu sein.
Das Wirken Else Thalheimer-Lewertoffs, 1898 in Köln geboren, ist bemerkenswert: Sie wuchs in einer hochmusikalischen Familie auf, besuchte das Kölner Konservatorium mit dem Schwerpunkt Klavier und Instrumentation und war seit 1924 oder 1925 für die Programmgestaltung der vier Jahre zuvor in Köln gegründeten „Kölner Gesellschaft für Neue Musik“ – diese befand sich in der Jülicher Straße, also unweit der großen Synagoge Roonstraße – verantwortlich. Sie publizierte mehrsprachig musikwissenschaftliche Studien sowie das Standardwerk „Von neuer Musik“. 1935 machte sie Alija in das damalige Palästina und war gemeinsam mit ihrem Ehemann an der Gründung des Palestine Symphony Orchestra – dem heutigen Israel Philharmonic Orchestra – beteiligt. Sie verstarb 1987 in Israel.
Zu fast jeder Station gibt es ein Hörbeispiel, sei es als rezitierte Auswahl eigener Texte oder als fiktionaler Ego-Text. Auf der App kann neben der intuitiv zu nutzenden Karte auch eine chronologische Zeitleiste verwendet werden, um die Biografien auszuwählen. Das Projekt selbst dürfte bundesweit einmalig sein.
Die leicht herunterladbare App ist professionell gestaltet und der Link zum Download findet sich auf der Website des KölnerFrauengeschichtsvereins.