Rechte(s) von A-Z

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Folge 7: G bis Gurlitt, Ludwig

Von Christian Niemeyer

Dieses Lexikon gibt Informationen in kompakter Form sowie weitergehende Literaturhinweise, basierend auf Forschungsliteratur sowie allgemein zugänglichen Nachschlagewerke, zumeist in Printversionen. Internetquellen, etwas das Belltower-Lexikon sowie Wikipedia, wurden konsultiert. Ersteres ist aber zu unspezifisch und im Übrigen schlecht aufgebaut und unvollständig. Letzteres ist zu spezifisch, mitunter unzuverlässig. Das Handbuch Rechtsradikalismus (2002) von Thomas Grumke & Bernd Wagner setzte in beiden Hinsichten neue Maßstäbe. Es hat nur einen Nachteil: es ist zu alt, im Vergleich zum im Folgenden dargebotenen Material (Redaktionsschluss: Juli 2021), das ab jetzt auf hagalil.com in mehreren Folgen erscheinen wird und dem Online-Anhang meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte (2021) entnommen wurde. Am Ende eines jedes Eintrags finden sich in eckigen Klammern in Fettdruck die Seitenzahlen, auf denen die jeweilige Person oder Sache in der Printversion erwähnt wird. Damit gewinnt dieses Lexikon den Charakter eines Sach- und Personenregisters im Blick auf jene Printversion. Literaturhinweise finden sich in jenem kostenlos auf der Homepage des Verlags Beltz Juventa (Weinheim) als Download verfügbaren Online-Material.

 

G., Marko, Klarname Groß, alias Hombre, aus Banzkow. In den 1990er Jahren unter Oberst Ulrich Quante in Altenstadt gedrillt als Fallschirmjäger im Geist des „Kreta-Tages“ (s. Unternehmen Merkur), später beim LKA Mecklenburg-Vorpommern und dort als Präzisionsschütze im Fall von Geiselbefreiungen des SEK ausgebildet. Radikalisierte sich per Lektüre von SS- und Wehrmachtsliteratur. Einem diesbezüglichen Hinweis von 2009 wurde nicht nachgegangen. 2016 gründete er Nordkreuz, ein Prepper-Netzwerk, dem weitere Polizisten und Soldaten, auch zwei AfD-Mitglieder sowie Maximilian Tischer, angehörten. G. verschickte Hitler-Geburtstagsgrüße u. abfällige Witzchen über Asylbewerber oder Politiker als „Abschaum“. Beteiligung an Schießübungen. Erstellung von Todeslisten für den ‚Tag X‘. (vgl. Laabs 2021: 26 ff.) [420 f.]

 

Gärtner, Markus (*1960). Sachbuchautor u. Redakteur des rechtspopulistischen Kopp-Verlags sowie der vom Verfassungsschutz als „erwiesen extremistisch“ eingestuften PI-News, Verf. des Bandes Lügenpresse (2015), s. Prolog Nr. 7. [70]

 

Gansel, Jürgen W. (*1974), aus Opladen. NPD-MdL Sachsen 2004-2014, Mitglied des Bundesvorstandes (seit 2006), Redakteur der Deutschen Stimme 2001, zwischenzeitlich NPD-Blatt Bayern-Depesche (2015), inzwischen wieder Deutsche Stimme. [171]

 

Gauland, Alexander (*1941), aus Chemnitz. Lange Jahre (seit 1971) CDU-Mitglied, Leiter der Hessischen Staatskanzlei (1987-1991), führender AfD-Politiker, berühmt-berüchtigt vor allem wg. seiner Verharmlosung des Dritten Reichs als „Vogelschiss“ (vgl. Sundermeyer 2018; s. Essay Nr. 12). Dem korrespondiert G.s Widerstand gegen eine von der Holocaust-Überlebenden Esther Bejanaro gestarteten Petition, den 8. Mai (1945), also den Tag der Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus (der KZ-Insassen sowie weiterer NS-Verfolgter), zum Feiertag zu erklären mit dem Argument, es sei schließlich auch ein „Tag der absoluten Niederlage“ gewesen, also „ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeiten.“ (zit. n. SZ 258 [2020], Nr. 105: 2) Dieses Argument ist revanchistisch und lässt an Björn Höcke, aber auch an Alfred Dregger denken, wirft die Frage auf: „Ist G. ein geistiger Nachkomme der Kriegsverbrecherlobbyisten?“ (Bohr 2018: 386) Ein Text von Erik Lehnert aus dem Jahr 2017 legt diese Frage gleichfalls nahe. (s. Essay Nr. 13.3.4) [28, 90, 93 f., 107, 124, 128, 136, 140, 145, 371 f., 379 f., 380, 387, 389, 400, 444-446, 449, 557, 562, 684, 692, 740]

 

Gedeon, Wolfgang (*1947), aus Cham. G., Arzt, vorm. KPD/ML, AfD-Mitglied seit 2013, AfD-MdL Baden-Württemberg, hält, wie sein bis zu G.s Ausschluss 2020 MdL-Kollege Stefan Räpple, die wohl vom Geheimdienst des Zaren produzierten antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion „eher nicht“ für eine Fälschung und das Gedenken an den Holocaust in der Bundesrepublik für „ideologisiert und theologisiert“ erklärt. Ähnlich wie Björn Höcke – der im Dezember 2015 G.s Broschüre Grundlagen einer neuen Politik empfahl, – hält auch G. das Holocaustdenkmal in Berlin für überdimensioniert und neu zu interpretieren: „Das Schlimmste daran ist: Die meisten Deutschen finden das inzwischen ganz normal.“ (zit. n. Bensmann 2017: 136) Holocaustleugner sind für G. „Dissidenten“ (ebd.). G.s Buch Der grüne Kommunismus mit seinen antisemitischen Passagen führte im Sommer 2016 zu Austrittsforderungen und zum Austritt G.s aus der AfD-Fraktion. Fälle weiterer antisemitischer Äußerungen, etwa durch Gunnar Baumgart, Kay Nerstheimer oder Gottfried Klasen offenbaren, „dass der Antisemitismus in der Partei tief verankert ist und die AfD Antisemit(innen) anzieht wie ein Magnet.“ (Salzborn 2017: 112) [539, 562]

 

Generalplan Ost. NS-Plan zur Kolonialisierung und Germanisierung der im Zweiten Weltkrieg eroberten osteuropäischen Gebiete mit dem Ziel der Sicherung neuen Lebensraums für den Arier. Zu sehen als Teil des Antislawismus, was Vernichtung und/oder Versklavung der slawischen „Untermenschen“ einschloss. (s. Essay Nr. 7.1.4) [272, 592, 597]

 

Gengler, Ludwig Frank (1902-1946?). Nach dem Tod von Theodor Fritsch (1933) Schriftleitung des Handbuchs der Judenfrage, Zuarbeit für Julius Streichers Stürmer, Referent im Reichspropagandaministerium, Hagiographie Rudolf Bertholds (1935) (s. Essay Nr. 13.3.3), mutmaßlich 1946 in Nürnberg gehenkt. (vgl. Wulf 1966: 258; Klee 2007: 159) [362, 409, 415-418]

 

Gericke, Walter (1907-1991), aus Bilderlahe. Kommandierte eine Fallschirmjägereinheit beim Unternehmen Merkur am 20. Mai 1941, Ritterkreuz am 14. Juni 1941, wohl wg. des Kondomari-Massakers, deswegen schwer belastet durch Franz-Peter Weixler am Rande des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Trat 1956 als Oberst wieder in die Bundeswehr ein. (vgl. Pahl/Wagner 2021: 166) [403]

 

Gerlich, Siegfried (*1967), aus Oberschlesien. Pianist und Publizist, international erfolgreich als Musikdramaturg. Wagnerianer, neu-rechter Ideologe (s. Prolog Nr. 7; Essay Nr. 19), eine Einordnung, die er im April 2021 in einer „Gegendarstellung“ als diffamierend zurückwies. (vgl. Niemeyer 2021c). Dies als glaubwürdig gesetzt, haben wir es also bei G. mit einem Aussteiger vom Typ Franziska Schreiber zu tun – dem es allerdings sichtbar schwerfällt, sein bisheriges Schrifttum in toto für verfehlt zu erklären oder auf Kritik an jenen zu verzichten, die seine früheren (also immerhin bis ins Jahr 2018 reichenden) Sünden klar benennen. Merkwürdig auch: Dass G. erst im Mai 2016 in Christ & Welt („Der Riss in uns“) spektakulär Kunde gab von der Empörung seines Jugendfreundes Andreas Öhler ob G.s Rechtsorientierung. (vgl. Öhler/G. 2016) [62, 139 f., 154, 262, 282 f., 403, 541 f., 546-548, 557, 562]

 

Gerstenhauer, Max Robert (1873-1940), aus Barchfeld. G., Redner auf vielen Tagungen der Artamanenbewegung (s. Essay Nr. 21), Mitglied des Alldeutschen Verbandes, Führer des 1894 von Friedrich Lange gegründeten Deutschbundes, „pries die Reagrarisierung Deutschlands […] als Weg zu einer angeblich notwendigen ‚rassischen Gesundung‘ der Deutschen.“ (Schlicker 1970: 69) (vgl. Harten/Neirich/Schwerendt 2006: 382) [267, 595]

 

Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (GfP). Pfingsten 1960 von ehemaligen NSDAP- wie SS-Mitgliedern gegründet wie Helmut Sündermann, Kurt Zisel, Erich Kern, Herbert Böhme und Peter Kleist in Neustadt/Weinstraße. Seit 1963 wird der Ulrich-von-Hutten-Preis vergeben, Preisträger u.a.: David Hoggan, Hans Grimm, Heinrich Härtle, Arno Breker, Erich Kern, Adolf von Thadden, Holle Grimm, Wilfred von Oven, Erich Priebke, Annelies von Ribbentrop, Gerhard Frey, Fred Duswald; seit 1975 Kongresse, Referenten u.a.: David Irving, Gerd Schulze-Rhonhof, Reinhard Uhle-Wettler, Thor von Waldstein, Dirk Bavendamm. Gilt mit ca. 500 Mitgliedern als die größte rechtsextreme Kulturvereinigung, NPD-nahe. (vgl. Dudek/Jaschke 1984, Bd. I: 47 ff.; Pfahl-Traughber 1999; s. Essay Nr. 13.5) [452, 457]

 

Gilley, Bruce (*1966). Neu-rechter US-Politologe u. Journalist m. Schwerpunkt „deutscher Kolonialismus“, vor allem dessen Apologie betreffend. Bekannt für seine aggressive Rhetorik vom Typ Antiintellektualismus, die Wissenslücken kaschieren soll, was insgesamt sehr gut passt zur AfD und G. ab 2019 seinen Rang als Chefberater dieser Partei in Sachen Kolonialismus sicherte, im engen Zusammenspiel mit Erik Lehnert. (s. Essay Nr. 10) [312-315]

 

Glatzel, Frank (1892-1958), aus Altenkirchen. G. (vgl. auch Ahrens 2015: 397 f.) übernahm von Otger Gräff die Programmatik und auch die „Blutsbekenntnis-Formel“ (G. 1918a: 160) des Jungdeutschen Bundes. G. war Herausgeber des Fortsetzungsorgans der 1919 gegründeten Jungdeutschen Stimmen, die sich 1922 in Warnungen im Blick auf „Katerstimmung, Ekel, Kraftlosigkeit“ bei der Jugend erging.“ (zit. n. Schierer 1938: 58) 1933, zum 20. Jahrestag der Meißnerformel, lobte G., Deutschland erlebe im Nationalsozialismus „eine neue starke Welle der nationalen Wiedergeburt.“ (zit. n. Breuer/Schmidt 2010: 211) In der Kurzbiographie der Kindt-Edition dominiert Unwichtiges. (Ki I: 564). [627]

 

Globke, Hans (1898-1973), aus Düsseldorf. Jurist, im Nov. 1932 erarbeitete er Runderlass d. preuß. Innenministerium zum Namenrecht, das Juden unmöglich machen sollte, einen jüd. klingenden Familiennamen abzulehnen. Ab 1. Nov. 1934 Referent unter Wilhelm Frick (bis 1945). Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen 1936. Definierte „Rassenschande“. Schuf die verwaltungstechnischen Voraussetzungen für den Holocaust, um den er, wie er nach 1945 einräumte, wusste. (vgl. Winkler 2019: 53 f.) Im Juni 1940 Verf. einer Denkschrift, die zur Annexion eines Gebietes mit nachfolgender Deportation von 5 Millionen Menschen geführt hätte. Mitverantwortlich für die Deportation von 20.000 Juden aus Nordgriechenland. G. hatte Kontakte zum deutschen Widerstand. Unter Adenauer wurde er 1949 Ministerialdirigent im Bundeskanzleramt, 1953 Chef des Bundeskanzleramts. 1961 bot er Willy Brandt im Wahlkampf (erfolgreich) an, nicht über dessen Zeit im Exil zu reden, wenn dieser das Thema der NS-Vergangenheit G.s unerwähnt lasse. Eben diese Vergangenheit führte immer wieder zu lebhaften Debatten im Deutschen Bundestag sowie 1963 zu einem Prozess gegen G. in der DDR mit dem Strafmaß lebenslänglich. Die für diesen Prozess benutzten Befragungsprotokolle von 636 „DDR-Juden“ blieben erhalten. 128 von ihnen wurden ausgewertet und geben einen beeindruckenden Einblick in die durch G. erleichterte Verfolgungspraxis im Dritten Reich. (vgl. Schwarz 2009) Zusammenfassend: G. war wohl „kein Nationalsozialist und kein Antisemit“, habe sich aber „durch sachkompetentes Mitwirken am System der Judenverfolgung mitschuldig gemacht.“ (Benz 2009: 287) [441]

 

Gobineau, Arthur Comte de (1816-1882), aus Ville-d’Avry/Fr. Schriftsteller und Diplomat. Freundschaft mit Richard Wagner (vgl. Schüler 1971: 235 ff.), der mit dem Stichwort „erschreckende Überzeugungskraft“ (Wagner 1881a: 275; vgl. Chamberlain 1895: 223) G.s vierbändiges Hauptwerk Essai sur l’inegalité des races humaines (1853-55; dt. Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen, 1898-1901) lobte. Das Szenario hier wird bestimmt durch die Vorstellung einer verhängnisvollen Rassenmischung, und dies vor dem Hintergrund einer angeblichen rassischen Höherwertigkeit der Arier. Fortgeführt wurde diese Dystopie durch Houston Stewart Chamberlain. Nietzsche, dem im Zuge seiner Nazifizierung im Nachgang zu Behauptungen seiner Schwester nachgesagt wurde, die rassephilosophischen Werke G.s gekannt zu haben, dessen Hauptwerk „ähnlichen Gedankengängen seiner Philosophie“ (Kaßler 1941: 65) entspräche, nahm tatsächlich an keiner Stelle seines Werkes auf G. Bezug. Auch herrscht in Nietzsches Bibliothek, was Werke G.s angeht, Fehlanzeige. (vgl. Niemeyer 2019: 261 f.; 346 f.) [268 f., 273, 441, 548 f., 552, 568, 1,2,3,4,5]

 

Goebbels, Joseph (1897-1945), aus Rheydt. 1922 Dr. phil., Volontär, Bankangestellter, arbeitslos, NSDAP 1925, Gauleiter von Berlin 1926, MdR ab 1928, Reichspropagandaleiter 1930, unter Hitler Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda u. Präsident der Reichskulturkammer, verantwortlich für die Wochenschau im Krieg sowie die Filmproduktion, damit auch für den Film über Carl Peters von Ernst von Salomon. (s. Essay Nr. 11.1). Verantwortlich für die Bücherverbrennungen von 1933 sowie die Novemberpogrome 1938, dadurch einer der Wegbahner des Holocaust. Protagonist der Lügenpresse, insbesondere zwecks Rechtfertigung des Polenfeldzugs als Notwehr. (s. Prolog Nr. 7) Sportpalastrede 1943 („totaler Krieg“) mit toxischer, kriegsverlängernder Wirkung. G. entzog sich seiner Verantwortung durch Suizid. In den 1950er Skandal in der Jugendbewegungsszene wg. Arno Klönnes Verwechslung des G.-Mitarbeiters Hans Fritzsche – der G.s Leiche identifiziert hatte – mit einem Jugendbewegten. (s. Glosse Nr. 20) (vgl. Eberle/Uhl 2005: 555 f.; Longerich 2010) [61 f., 69f., 112, 114, 262, 394 f., 398, 409, 411, 414, 418, 433, 509, 595, 658, 678, 742]

 

Göring, Hermann (1893-1946), aus Rosenheim. Kadett, Leutnant, 1918 Jagdflieger, 1920 Zivilpilot, Bekanntschaft mit Hitler, 1922 NSDAP, Hitler-Putsch 1923, verwundet, Flucht nach Österreich, Medikamentenabhängigkeit, Flucht nach Schweden, Aufenthalt in Psychiatrie, Aufhebung Haftbefehl 1926, Wiedereintritt NSDAP 1928, MdR ab 1928, Reichstagspräsident ab 1932, Reichsminister für Luftfahrt ab 1933, Reichsmarschall 1940, 1.9.1939 Ernennung zum Hitler-Stellvertreter, verantwortlich für die Arisierung und die Kriegswirtschaft, ließ ohne jede Skrupel 1940 zwei katholische Priester – Johannes Schulz und Josef Zilliken –, die bei seinem Eintritt in ein Lokal nicht aufgestanden waren, zur Gaudi Hitlers, dem er davon erzählte, ins KZ bringen, wo sie elend ums Leben kamen. In Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt, daraufhin aus Feigheit Suizid. (vgl. Eberle/Uhl 2005: 557 f., 643; Knopp 2006) [408 f., 418, 420, 660]

 

Göth, Amon (1908-1946), aus Wien. Um 1927 trat G., der früh mit sadistischen Scherzen auffiel, einem rechtsextremen, paramilitärischen Verein bei, 1931 NSDAP, SS, 1940 Ausbau des Arbeitslagers Budzyn, deswegen Zerschlagung kleinerer Ghettos, G., Duz-Freund des Judenretters Oskar Schindler (1908-1974) und eine wichtige Figur in Steven Spielbergs Film Schindlers Liste (1993), lässt sich mit Pelzen und Juwelen dafür bezahlen, dass er Juden und Jüdinnen nicht gleich in den Tod schickt. 1943 verantwortlich für die Liquidierung des Krakauer Ghettos. Kommandant des Zwangsarbeiterlagers Plaszow. Erschießt dort morgens vom Balkon der Lagervilla willkürlich Lagerinsassen, insgesamt 500. Im September 1944 wg. „pers. Bereicherung“ festgenommen, vor ein SS-Ehrengericht bestellt, in Untersuchungshaft bis April 1945, dann freigelassen in ein Flak-Ersatz-Regiment. Im Mai 1945 festgenommen, an Polen ausgeliefert und im September 1946 in Krakau als „Monster von Plaszow“ wg. der Ermordung von mehr als 8.000 Menschen allein in Plaszow, der Tötung von 2.000 Menschen in Krakau sowie Hunderten weiterer Morde zum Tod durch Erhängen verurteilt. Seine letzten Worte sind „Heil Hitler!“ (vgl. Sachslehner 2014) (s. Essay Nr. 19)

 

Gollwitzer, Helmut (1908-1993), aus Pappenheim. „Evang. Theologieprofessor, Schriftsteller, und Sozialist. In der NS-Zeit Mitglied der Bekennenden Kirche, mehrere Verhaftungen und Redeverbot. Ab 1950 Prof. f. Theologie Uni Bonn und FU Berlin […]. Freund und Wegbegleiter von Rudi Dutschke […]. Rede beim Meißner-Tag 1963 zum 50. Jubiläum des Freideutschen Jugendtages 1913“ (Holler 2013: 148), die einem Schuldbekenntnis der Jugendbewegung gleichkam und deswegen von Veteranen ungern gehört wurde. (vgl. Niemeyer 2013: 179 f.) [441, 491 f., 495, 503-505]

 

Gräff, Otger (1893-1918). G., eigentl. Vornahme Edgar, Führer des Greifenbundes, sah den Krieg auch als Kampf im Interesse der Erhaltung des ‚Deutschtums‘ und das ‚Wandervogeltum‘ als Teil desselben, getragen von dem u.a. von Meister Eckehard, Paul de Lagarde und der „heutigen deutschgläubigen Bewegung“ entwickelten Bewusstsein um die „Gotteskindschaft des Ariers“ und der Einsicht, dass sich stattdessen – so G.s Beitrag zum Antisemitismus – ein „erdkloßentstammtes, händlerisch empfindendes Geschlecht“ (G. 1918: 83) breit gemacht habe. Gründungsmitglieder der HJ betrachteten sich als Schüler G.s. (vgl. Laqueur 1962: 97; Niemeyer 2013: 42) In der Kindt-Edition wird G. verharmlost und mit Attributen geadelt wie: „[…] ein sehr draufgängerischer junger Mann […]“ oder: „[…] mit seinem männlichen und faszinierenden Auftreten [fielen G.] überall Anhänger zu.“ (Ki II: 952) [227, 354, 603]

 

Greil, Lothar (1925-2007), aus/bei Gmunden/A. HJ-Funktionär, SS-Untersturmführer, nach 1945 Funktionär der HIAG, rechtsextremer Publizist, der Joachim Peiper verherrlichte und die Massaker in Lidice, Marzabotto, Oradour-Sur-Glane sowie Malmedy verharmloste. [430]

 

Greiser, Arthur (1897-1946), aus Schroda/Provinz Posen. Marineoffizier im Ersten Weltkrieg, Freikorps, Stahlhelm Danzig, NSDAP und SA 1928, SS 1930, Gauleiter und Reichsstatthalter im Warthegau 1939, Grausam gegenüber Polen und Juden, verantwortlich für die Deportation Tausender in die Vernichtungslager der SS, stellte sich schließlich den Amerikanern, die ihn an Polen auslieferten, wurde am 14. Juli 1946 vor seiner Residenz in Posen gehängt. (vgl. Wistrich 1983: 123 f.) [597, 621]

 

Grimm, Hans (1875-1959), aus Wiesbaden. Schriftsteller m. Sympathien für den Nationalsozialismus und Kolonialismuserfahrung (Der Ölsucher von Duala [1918]) (s. Essay Nr. 10), großer Erfolg mit Volk ohne Raum (1926), Lippoldsberger Dichtertage mit Herman Nohl als Gesprächspartner (s. Essay Nr. 14), 1944 auf der Gottbegnadeten-Liste, nach 1945, wie Will Vesper, unbelehrbar mit von der NPD empfohlener Rechtfertigungsschrift von 1954. Wahlaufruf für die Deutsche Reichspartei 1953, Autor bei Nation Europa (vgl. Klee 2007: 179), 1960 GfP. G. gilt als „geistiger Wortführer des deutschen Neofaschismus“ (Loewy 1966: 314) Über Margret Nickel, jahrelang Bürochefin der 2009 verstorbenen G.-Tochter Holle, die das publizistische Erbe von G. verwaltet und Vorstandsmitglied der GfP war, besteht Kontinuität bis hinein in die Neue Rechte. (vgl. Maegerle 2019) [144, 171, 256, 264, 318, 325, 333, 430, 452, 460, 468, 473, 476, 592, 646, ]

 

Gruber, Max von (1853-1927), aus Wien. Arzt, Biologe und Rassenhygieniker, in dieser Eigenschaft von 1910 bis 1922 Vorsitzender der Dt. Gesellschaft für Rassenhygiene, Mitherausgeber (u.a. mit Houston Stewart Chamberlain) der von Julius Friedrich Lehmann gegründeten völkischen Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, 1919 Mitbegründer der Deutschnationalen Volkspartei in Bayern. 1918 forderte G. zusammen mit Emil Kraepelin und Alfred Ploetz eine „Verminderung der rassenuntauglichen Elemente, die einen großen Teil der Volkskraft und des Volksvermögens verbrauchen.“ (zit. n. Kappeler 2000: 382) (s. Essay Nr. 11.4) [358]

 

Grüber, Heinrich (1891-1975), aus Stolberg. NS-verfolgter Probst und Sozialpädagoge mit KZ-Erfahrung, der Tausenden Juden das Leben rettete. Von Hannah Arendt in ihrem Prozessbericht Eichmann in Jerusalem (1964) hart (und unfair) kritisiert, ebenso von Werner Kindt wg. seines Artikels Vom Hohen Meißner bis zu Eichmann (1962), in welchem G. ein Schuldbekenntnis der Jugendbewegung forderte. (s. Essay Nr. 22.5) [629]

 

Grundweg, Martin. Lebensdaten unsicher, hervorgetreten als neu-rechter Ideologe, mutmaßlich Pseudonym. [319, 348, 400]

 

Gruppe Freital. Rechtsterroristische kriminelle Neonazi-Vereinigung, die zwischen Juni und Oktober 2015 auffällig wurde, zum ersten Mal bei einer Straftat im Juni 2015 in Freital bei der Jagd auf ein Auto von Pro-Asyl-Demonstranten, als ein Rechter an einer Tankstelle mit einem Baseballschläger die Scheibe von deren Auto einschlug und ein Sohn des SPD-Politikers Martin Dulig verletzt wurde. (SP 46/2016: 46) Am 1. November 2015 folgte der Anschlag mit Sprengladungen auf eine Asylunterkunft, den die Bundesanwaltschaft, anders als die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, als versuchten Mord wertete. (SP Nr. 17/2016: 40) Als Anführer der Gruppe fungierte Philipp W. Spruch: „Wenn ich an der Macht bin, werden alle illegal eingereisten Ausländer lebendig verbrannt.“ (zit. n. Ebner 2018: 95) [93]

 

Gruppe S. Rechtsterroristische kriminelle Neonazi-Vereinigung um Werner Somogyi („Teutonico“), Facebook: Werner Schmidt) aus Mickhausen b. Augsburg, bestehend aus zwölf Männern, die sich per Chat kennenlernten. Gegründet bei einem persönlichen Kennenlernen im September 2019, nach Hinweisen eines der Zwölf schließlich im März 2020 aufgeflogen, unmittelbar vor Beginn der Tatphase, darunter Attentate auf Grünen-Politiker mit dem Ziel der Anreizung revolutionärer Umtriebe. April 2021 Prozess in Stammheim. (https://exif-recherche.org/?p=7045/21.04.2021)

 

Günsche, Otto (1917-2003), aus Jena. Keine Berufsausbildung, SS 1933, NSDAP 1935, Fronteinsatz Waffen-SS, ab 1943 pers. Adjutant Hitlers, zuletzt SS-Hauptsturmführer, ab Januar 1945 Führer-Bunker, G. verbrannte Hitler u. weitere Leichen, im Mai 1945 bei Flucht aus dem Führerbunker in sowj. Gefangenschaft, NKWD-Verhöre zus. m. Heinz Linge mit dem Ergebnis der Akte Nr. 462a. 1956 aus sowj. Kriegsgefangenschaft entlassen. Unbelehrbar. (Eberle / Uhl 2005: 466 ff.; Klee 2007: 205)

 

Günther, Hans F. K. (1891-1967), aus Freiburg i. Br. Artamanenbewegung, Deutschbund, NSDAP 1932, 1930 Prof. Jena, 1935 Berlin (Rassenkunde, Völkerbiologie u. ländl. Soziologie), 1940 Freiburg, apl. Prof. Dt. Uni Prag. Als „Rassen-Günther“ neben Houston Stewart Chamberlain einer der Urheber der NS-Rassenideologie. Nach 1945 unbelehrbar. (vgl. Harten/Neirich/Schwerendt 2006: 389) [169, 595, 606]

 

Gurlitt, Cornelius (1932-2014), aus Hamburg. Kunstsammler, Erbe der Sammlung seines Vaters Hildebrand Gurlitt, Anfang 2012 Skandal wg. der von ihm verstreut untergebrachten Sammlung mit einigen Werken, die als NS-Raubkunst identifiziert werden konnten. Neffe des Nachgenannten. (s. Glosse Nr. 1) [652-654, 749]

 

Gurlitt, Ludwig (1855-1931), aus Wien. Lehrer am Steglitzer Gymnasium, Wandervogelpate, Onkel des Vorgenannten. [194, 225, 305, 326, 360, 652]

 

[Zum Autor: Christian Niemeyer, Prof. (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Zum Text: Dieses Lexikon wurde, wie die noch ausstehenden Folgen, wurde dem Online-Material (S. 21-106) meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz 1). Mit Online-Materialien. Weinheim Basel 2021 entnommen. Der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Beltz Juventa.]

Bild: V.l. Alexander Gauland, (c) Metropolico.org – https://www.flickr.com / CC BY-SA 2.0; Wolfgang Gedeon (rechts im Bild), (c) StuttgartUser / CC BY-SA 4.0; Hans Grimm, (c) Bundesarchiv, Bild 183-S61180 / CC-BY-SA 3.0