Rechte(s) von A-Z

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Folge 1: A bis Auschwitz

Von Christian Niemeyer

Dieses Lexikon gibt Informationen in kompakter Form sowie weitergehende Literaturhinweise, basierend auf Forschungsliteratur sowie allgemein zugänglichen Nachschlagewerke, zumeist in Printversionen. Internetquellen, etwas das Belltower-Lexikon sowie Wikipedia, wurden konsultiert. Ersteres ist aber zu unspezifisch und im Übrigen schlecht aufgebaut und unvollständig. Letzteres ist zu spezifisch, mitunter unzuverlässig. Das Handbuch Rechtsradikalismus (2002) von Thomas Grumke & Bernd Wagner setzte in beiden Hinsichten neue Maßstäbe. Es hat nur einen Nachteil: es ist zu alt, im Vergleich zum im Folgenden dargebotenen Material (Redaktionsschluss: Juli 2021), das ab jetzt auf hagalil.com in mehreren Folgen erscheinen wird und dem Online-Anhang meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte (2021) entnommen wurde. Am Ende eines jedes Eintrags finden sich in eckigen Klammern in Fettdruck die Seitenzahlen, auf denen die jeweilige Person oder Sache in der Printversion erwähnt wird. Damit gewinnt dieses Lexikon den Charakter eines Sach- und Personenregisters im Blick auf jene Printversion. Literaturhinweise finden sich in jenem kostenlos auf der Homepage des Verlags Beltz Juventa (Weinheim) als Download verfügbaren Online-Material.

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Abetz, Otto (1903-1958), aus Schwetzingen. A. starb bei einem mysteriösen Autounfall, möglichweise ein Racheakt (vgl. Wistrich 1993), was mich auf die Idee brachte, dies in einer fiktiven Szene Cornelius Gurlitt zu erzählen. (s. Glosse Nr. 1) Im Ersten Weltkrieg war A. Mitglied im Wandervogel e.V. Karlsruhe, später dort Zeichen- und Biologielehrer. 1931 NSDAP, 1934 Frankreichreferent der Hitlerjugend, August 1940 im Rang eines SS-Obersturmbannführers Botschafter in Paris, 1949 von einem französischen Militärgericht wg. Teilhabe an nationalsozialistischen Verbrechen zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt, Entlassung April 1954. (vgl. Klee 2003: 9) A. gilt, in Überschreitung seines Aufgabengebietes und dem Typus eines „opportunistischen Antisemitismus“ (Lambauer 2005) gehorchend, als Initiator des Kunstraubs sowie der Judendeportationen in Frankreich. (vgl. Conze et al. 2010: 191 ff.; 230 ff.) Werner Kindt, der 1951 eine Petition zur Freilassung von A. unterstützte, charakterisierte ihn beschönigend. (vgl. Thomm 2010: 191) In der Kurzbiographie der Kindt-Edition wird die NSDAP-Mitgliedschaft von A. nicht erwähnt, die Botschafter-Tätigkeit verharmlost. (Ki III: 1753) Ähnlich Friedrich Bentmann (1976: 59), ein Jugendfreund und Schwager von A., im Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung. Dass A. selbst es besser wusste, zeigt der Umstand, dass er nach dem Krieg unter falschem Namen im Badischen unterzutauchen suchte und zunächst beabsichtigt war, ihm im Zuge des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses anzuklagen. (vgl. Conze et al. 2010: 331) Im neu-rechten Diskurs begegnet einem A. nicht, was aber nichts heißen muss und auch für das taktische Vermeiden des durch den Fall Gurlitt wieder virulenten Themas der NS-Raubkunst sprechen kann. Gute Dienste leistet dabei ein Buch (Remy 2017), das zumal in neu-rechten Periodika so gelesen wird, als gehe es nicht um einen Kunst-, sondern um einen Justizskandal mit Gurlitt als Opfer, Letzteres auch wg. nur sechs als NS-Raub identifizierter Werke (von 1.500) aus Gurlitts Besitz. [151, 598, 620, 622, 652]

 

Adler und Falken. Völkischer Jugendbund, an den Deutschbund angelehnt, 1920 von Wilhelm Kotzde gegründet, mit Option für einen zu gründenden Älterenbund F. (alle A. ab 18 Jahren). Im Sommer 1922 zählte der Bund 300 ‚Horste‘ mit 4.000 Mitglieder. (Ki III: 840). Nach dem Mord an Walther Rathenau am 24.6.1922 (s. Essay Nr. 13.3.3) wurde die Hamburger Ortsgruppe der A. und F. wg. des nicht ganz unbegründeten (Breuer/Schmid 2010: 24) – Verdachts der Teilhabe an einer rechtsradikalen Verschwörerorganisation aufgelöst. Auch der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DSTB) – mit immerhin 180.000 Mitgliedern (Puschner 2003: 460) – wurde nun in den meisten deutschen Ländern verboten (Bergmann 2008: 95). In der Folge führte er die A. und F. 1924 an die von Willibald Hentschel angeregte Artamanenbewegung heran. (s. Essay Nr. 21) 1925 folgte die Annäherung an die von Gerhard Roßbach geleitete Schilljugend. 1928 trat Kotzde als Bundesführer zurück – sein Nachfolger wurde Alfred Pudelko –, um 1929 die Schirmherrschaft über die Abspaltung namens Deutsche Falkenschaft zu übernehmen. Hier wie dort ging es um „die Erziehung zur Wehrhaftigkeit und zu bestimmter politischer Haltung, die der des Nationalsozialismus der Idee nach nahe kommt.“ (Siemering 1931: 88) Beide Bünde überführten ihre Mitglieder (sofern unter 18 Jahren) in die Hitlerjugend und lösten sich dann auf. In der Kindt-Edition agiert als Berichterstatter zu diesem Themenkomplex ausgerechnet Kotzdes Nachfolger Pudelko, mit der Folge, dass Kotzde als „märkische[r] Dichter“ (Ki III: 840) verharmlost wird und der Arierparagraph der A. und F. verschwiegen bzw. verdunkelt wird. Im für die neu-rechte Überlieferung und Theoriebildung entscheidenden Handbuch Armin Mohlers und Karlheinz Weißmanns wird dieses Thema ohne jeden kritischen Kommentar knapp dargestellt. (s. Essay Nr. 21) [270, 574, 603 f.]

 

AfD (= Alternative für Deutschland). Rechtspopulistische, 2013 gegründete Partei, geführt von den Bundessprechern Jörg Meuthen (seit 2015) sowie Tino Chrupalla (seit 2019) mit (Stand Juli 2017) 28.000 Mitgliedern. Ideologisch starke Orientierung an der Neuen Rechten um das von Erik Lehnert geleitete Institut für Staatspolitik sowie Götz Kubitscheks Verlag Antaios. Rechtsextremen Tendenzen, organisiert vom sich nach der Erfurter Resolution 2015 organisierenden Flügel um Björn Höcke, der bis zu 40 % der Delegierten hinter sich brachte und einer „erinnerungspolitischen Wende um 180°“ (Höcke) huldigt, also einem Geschichtsrevisionismus, der namentlich die NS-Zeit, bagatellisiert als „Vogelschiss“ (Alexander Gauland), neu werten möchte, um dadurch Ressourcen zu gewinnen zwecks Überwindung eines angeblichen „Nationalmasochismus“ (Martin Lichtmesz). In der Linie dieser Option sind zahlreiche AfD-Politiker mit NS-Themen bagatellisierenden oder NS-Zeichen adaptierende Äußerungen auffällig geworden. 2014 hatte die AfD erste große Erfolge bei der Europawahl, nachfolgend Siegesserie bei Landtagswahlen, 2017 Einzug mit 12,6 % Einzug in den Bundestag. Aktuell debattiert wird eine Spaltung der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei, ausgehend von Meuthen, der nach den Bundestagswahlen 2021 eine Neugründung beabsichtigen könnte mit verfassungskonformer, koalitionstauglicher bürgerlicher Ausrichtung. Aktuell scheinen allerdings die Meuthen-Gegner in der Mehrheit zu sein (vgl. Bauer/Fiedler 2021), was die überraschende Wahlniederlage bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 (- 3,2 %) erklären könnte. Besorgniserregend: Der Verzicht selbst in neu-rechten Think Tanks um Kubitschek, diese Niederlage nicht etwa, selbstkritisch, mit nicht vorzeigbarem Personal (etwa Oliver Kirchner) zu erklären, sondern mit von Donald Trump her bekannten Wahlbetrugs-Argumenten und Verschwörungstheorien à la Oliver Janich, Vorwürfe, die u.a. von Caroline Sommerfeld auf Sezession (etwa am 9. Juni 2021, 10:20) orchestriert werden. [passim]

 

Agte, Patrick (*1965). Neonazi und SS-Apologet, Herausgeber u. Redakteur der die SS verherrlichenden Zeitung Der Freiwillige, ehemals Organ der HIAG, für diesen Ungeist zeugend ist A.s Hagiographie Joachim Peipers (1998) im rechtsradikalen Vowinckel-Verlag, dessen Inhaber in den 1960er Jahren der GfP zugehörte und der Teil der Verlagsgemeinschaft Berg ist, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. (vgl. Westemeier 2014: 646) A. organisierte einen von zwei Dutzend Neonazis in Wehrmachtsuniform staffierten Marsch nach Belgien auf den Spuren Peipers (Malmedy-Massaker, s. Erik Lehnert, Essay Nr. 13.4) und hat Kontakte zur inzwischen verbotenen Heimattreuen Jugend und steht wohl auch hinter dem neonazistischen Munier-Verlag in Pluwig. (vgl. Schulz 2011; Westemeier 2014: 16, 253, 342, 646, 716) [425]

 

Akte Nr. 462a (auch: Das Buch Hitler). 2005 erstmals veröffentlichtes Geheimdossier des NKWD für Stalin von 1948/49, basierend auf den Verhörprotokollen von Hitlers Kammerdiener Heinz Linge sowie seinem persönlichen Adjutanten Otto Günsche. Es gibt unverstellte Einblicke in Interna, etwa den Pervitin-Abusus Hitlers betreffend (vgl. Eberle / Uhl 2005: 187), und es trägt Anekdoten vor, wie die vom Sturmbannführer Kurt Meyer, der, um seinen von einem Splitter tödlich verletzten Hund zu rächen, „über 30 friedliche Bewohner zusammentreiben ließ, die er eigenhändig erschoss.“ (ebd.: 153) Als Höhepunkt gilt eine Szene (ebd.: 123), die uns Hitler und Göring im Juni 1940 als duo infernale vom Typ Psychopathen offenbart, das sich diabolisch weidet am ferneren Schicksal zweier von Göring aus nichtigem Anlass (verletzte Eitelkeit) ins KZ expedierter (und dort 1942 zu Tod gekommener) katholischer Geistlicher, Johannes Schulz und Josef Zilliken. Allein diese Szene entlarvt die NS-Nähe des Vatikan-Bischofs Alois Hudal sowie die 2012 zu Papier gebrachte Fürsprache für eben diesen durch den wissens- und gewissenlosen Neonazi Fred Duswald, der 2019 den Huttenpreis der 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären begründeten GfP bekam, mit André Poggenburg und Dirk Bavendamm als Festrednern. (s. Essay Nr. 13.5)

 

Aktion T4. Nach der Adresse der zuständigen Dienststelle (Tiergartenstrasse 4) benannte systematische Ermordung von mehr als 70.000 Behinderten zwischen 1940 und 1941 als Teil der Krankenmorde (bis 1945 ca. 200.000) als „lebensunwert“ unter dem von Hitler mit der Leitung beauftragten Arzt Karl Brandt (vgl. Schmidt 2009: 177 ff.; Neumann / Eberle 2009: 101 ff.), meist per Gas in Tötungsanstalten unter Einschluss von Kindereuthanasie, auch in eroberten Ostgebieten durchgeführt, wie der Fall Karl Thums zeigt. (s. Essay Nr. 23.3) Auch bei Syphilitikern, selbst bei erkrankten Parteigenossen. (s. Essay Nr. 12) Auch nach offizieller Einstellung der A. im August 1941 nach einer mutigen Predigt des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galens (1878-1946) stillschweigend als Erwachsenen-Euthanasie weitergeführt, etwa durch Tötung von 20.000 Häftlingen oder als „wilde Euthanasie“. [384 f., 463, 616, 619, 680]

 

Aktion Widerstand (auch Aktion W). Von Bernhard Wintzek 1970 mitbegründeter, in SA-Manier agierender außerparlamentarischer Zweig der NPD mit giftigen Parolen („Brandt an die Wand“), die auch in der AfD widerhallen. Nach einem Jahr wg. Widerstand auch aus der NPD aufgelöst. (vgl. Dudek/Jaschke 1989, Bd. 1: 291 ff.; Müller 1989: 14; s. Essay Nr. 13.5)

 

Albrecht, Franco (auch Franco A.). Bundeswehr-Oberleutnant, 2009 Studium an Militäruniversitäten in Deutschland u. Frankreich, 2014 Masterarbeit, die, unbeanstandet, rechtsextremen Denken Ausdruck gab. 2016 Anerkennung als syrischer Flüchtling, um unter dieser Identität Terroranschläge, die man jenem Flüchtling anlasten würde, zu begehen. Im Februar 2017 am Flughafen Wien mit illegaler Waffe entdeckt, aber erst im April 2017 in Rahmen eines Ausbildungskurses der Vereinten Nationen der Bundeswehr in Hammelburg in Verwahrung genommen. Vor dem OLG Frankfurt/M. muss sich A. seit Mai 2021 wg. Planung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten. A.s Planung erinnert an Fememorde zu Beginn der Weimarer Republik, darunter jenen unter der Beteiligung der Neu-Rechts-Ikone Ernst von Salomon vollzogenen an Walther Rathenau. Ängstigend, aber passend zum Justiz- und Staatsversagen (vom NSU-Skandal bis zum Fall Amri) ist das Versagen der Bundeswehr, die seit 2014 über Hinweise auf A.s Rechtsradikalismus hatte, aber auch das Versagen des MAD bei zwei Sicherheitskontrollen A.s in acht Jahren, die keine Auffälligkeit aufwiesen. Vielleicht ist eben dies die neue Normalität, ebenso wie des Militärhistorikers Sören Neitzels Lesart: A. fällt für ihn aus der „lieb gewordenen Vorstellung vom Soldaten als global social worker“ heraus und gäbe eher Zeugnis für „eine ganz andere Berufsidentität: jene des Kämpfers, der sich in eine weit zurückreichende Ahnenreihe des Kriegers stellt“ (Neitzel 2020: 11) – eine fatale Einordnung, da Neitzel dieser (vergessenen?) Tradition neuen Rang zu verleihen sich bemüht, womit A., ein gefährlicher Rechtsterrorist, zur Avantgarde des neuen, bellizistisch gestimmten Bundeswehr-Mainstream vom Typ Neitzel geriete. Sorge muss in diesem Zusammenhang vor allem der Applaus machen, auf den Neitzel trifft, neben dem dadurch durchaus nicht mehr privaten Umstand, dass Neitzel seit 1996 einen prominenten Schwiegervater hat: den rechtradikalen Historiker Dirk Bavendamm. (s. Prolog Nr. 15; Essay Nr. 13.5; Glosse Nr. 23; vgl. Laabs 2021: 137 ff.; Niemeyer 2021d) [92, 456, 767 f.]

 

Alldeutscher Verband (ADV). Der ADV wurde 1891 gegründet, Gründungsmitglied war Carl Peters, wichtiger Unterstützer der (späterer) Hitler-Förderer Alfred Hugenberg, was erlaubt, den Aufstieg Hitlers als einen durch ADV-Inspiratoren begünstigen zu deuten. Zentraler Programmpunkt des ADV war die Förderung des Kolonialismus. (s. Essay Nr. 10) [224, 318-320, 354, 567, 571, 606, 610, 616]

 

Amri, Anes (1992-2016), aus Queslatia/Tunesien. Islamistischer Terrorist, verantwortlich für den LKW-Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016, zwecks dessen er den LKW-Fahrer ermordete. Der Anschlag forderte elf Tote und 55 Verletzte. Der Fall offenbarte, erneut, ein unfassbares Versagen der Sicherheitsbehörden, auch beim damaligen BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen, der bei seiner Aussage vor einem Untersuchungsausschuss einen V-Mann im Umfeld von A. verschwiegen haben soll. [684]

 

Antaios Verlag. Wie das IfS hat dieser neu-rechte, 2000 von Götz Kubitschek gegründete Verlag seinen Sitz auf dem Rittergut Schnellroda in Steigra. In diesem Verlag „erscheint die Zeitschrift Sezession, er betreibt auf YouTube den ‚Kanal Schnellroda‘ und vertreibt […] das […] Staatspolitische Handbuch sowie die Reihe Kaplaken.“ (Schudoma 2018a: 142) [25, 33, 53, 67, 72, 135, 142, 152, 156, 171, 258, 371 f., 397, 399, 449, 540, 547, 657, 685-687, 705]

 

Antiamerikanismus. Weitverbreitet bei der völkischen (Jugend-)Bewegung zumal nach dem Ersten Weltkrieg, etwa als Teil von Modernitätsverachtung und rückwärtsgewandter Glorifizierung als deutschspezifisch gelesener Lebensweisen (etwa bei Hermann Burte) (vgl. Niemeyer 2013: 43 ff.), dominierend im Dritten Reich als Teil der damit auch antisemitisch konnotierten, von Hitler konturierten Figur des „Weltjudentums“, die zumal nach dem Kriegseintritt der USA kulminierte. „Der Amerikaner ist“ – so Bernhard Ramcke 1944 an die Soldaten der Festung Brest – „das Kampfinstrument der internationalen Judenclique, die in der Wallstreet in New York ihren Sitz hat und von dort […] die Welt unterjochen will.“ (zit. n. Stimpel 2009: 254) Von daher nicht überraschend, dass A. bei Ewiggestrigen unmittelbar nach 1945 dominierte (vgl. Harwardt 2019), insbesondere bei Alt-Nazis, etwa als Teil des Protestes gegen „Siegerjustiz“ und „Reeducation“ in der Line Caspar von Schreck-Notzings, danach, aus ganz anderen Gründen, etwa dem Vietnamkrieg („Ami go home!“), bei den 68er resp. der Studentenbewegung weltweit. In den 1980er Jahren Bombenanschläge in US-Kasernen-Wohnvierteln durch eine Terrorgruppe um den Neonazi Odfried Hepp. (vgl. Kulick/Staud 2009: 119) Nach nine/eleven hierzu passend der Spruch Horst Mahlers: „Endlich sind sie mal im Herzen getroffen.“ (zit. n. Kulick/Staud 2009: 117) 2005 bei der NPD, die an einer US-Militärbasis ein „anti-amerikanisches Kulturfest“ veranstaltete und auf 68er Parolen zurückgriff. (ebd.) Aktuell erfährt der A. im Mix aus Israelfeindschaft und Antisemitismus neuen Auftrieb bei der Neuen Rechten (vgl. Ackermann 2016), wobei Donald Trump vom A. ausgeschlossen ist, nicht aber Joe Biden, heißt: A., insbesondere jener der AfD, steht im Wesentlichen für Demokratieverachtung, ist insofern, wie die Putin-Nähe dieser Partei zeigt, durchaus vereinbar mit Diktatorenverherrlichung. [259, 398, 422]

 

Anti-Antisemitismus. Eine von Nietzsche expressis verbis am 7. Februar 1886 gegenüber seiner Schwester (7: 147) für sich reklamierte, im Zuge seiner Wagnerüberwindung Gestalt gewinnende, gegen den Antisemitismus gerichtete weltanschauliche Haltung, die sehr von äußerst positiv und produktiv wahrgenommenen Begegnungen mit Juden, insbesondere mit dem Philosophen und Arzt Paul Rée (1849-1901), Nietzsches besten Freund zwischen 1878 und 1882, profitierte. (s. Essay Nr. 23; Niemeyer 2021c) [144, 232, 236, 254, 260, 280, 369, 523, 525, 538, 542-544, 551, 553, 558, 561, 567, 573, 587, 695, 704]

 

Antigermanismus, auch: Deutschenfeindlichkeit. Der A. als Teil eines gegen autochtone Deutsche gerichteten Rassismus bezeichnet ursprünglich, etwa in der rechtskonservativen Lesart Caspar von Schrenk-Notzings (1965/1996: 277), ein bei den Alliierten nach 1945 verbreitetes anti-deutsches Ressentiment, etwa in Gestalt der US-Siegerjustiz à la Robert Kempner. An dieser Tradition anknüpfend, wertete Rolf Peter Sieferle den A. als eine Art Ungeheuerlichkeit, verbreitet bei der Antifa. Der A. gehört in dieser Charakteristik fest zum Agitationsrepertoire der äußersten deutschen Rechten“ (Weiß 2020: 135) im Bereich der Zuschreibung von Negativhaltungen mit Krankheitswert insbesondere bei Migranten bezogen auf Deutsche und festgemacht am angeblichen Mobbing deutscher durch muslimische Schüler*innen. Evidenzbasiert ist diese durch und durch ideologische Debatte allerdings nicht. (vgl. Steinke 2016) [152, 281, 520]

 

Antiintellektualismus. Auf Thomas Hobbes zurückgehendes, sich in der Gegenaufklärung formierendes Ideologem, wonach Wissen Macht sei und deswegen im Interesse der Herrschaftssicherung besser exklusiv bleibe, ersatzweise, etwa qua einer Politik des Pejorativen, in Bann getan werde. Bei der Alten als auch Neuen Rechten weit verbreitet als ein eng mit dem Antisemitismus verschwistertes zentrales Ideologem der Völkischen Bewegung, etwa in Gestalt der Polemik Hans-Georg Maaßens (sowie seines Co-Autoren Johannes Eisleben) über „Geisteswissenschaftler, Journalisten, Berufspolitiker“, die „eine tiefe Verachtung für normale […] Menschen“ (Maaßen / Eisleben 2020/21) präge – ein AfD-Argument, das bis in die Vorgeschichte der NS-Bücherverbrennungen zurückreicht. Von hier aus erklärt sich wohl auch das neu-rechte Wiederanknüpfen an das schon bei der Vorkriegsjugendbewegung beobachtbare Engführung des Lektürekanon auf das den eigenen Ideologien und Absichten nützliche, also eine Art ‚kalte‘ Bücherverbrennung im Blick auf das Unerwünschte bei gleichzeitigem konzentrierten Aufbau einer eigenen Bibliothek neu-rechter Ideologen, gruppiert um den von Götz Kubitschek aufgebauten Verlag Antaios (vgl. Gebhardt 2020) und dem Institut für Staatspolitik in Schnellroda. Diese Subkultur wird forciert durch gleichgesinnte Verlage resp. Editionen, wie etwa die insbesondere durch Michael Klonovsky zum Erfolg geführte Edition Sonderwege der Manuscriptum Verlagsbuchhandlung. Hier erschien zuletzt eine Kolonialismus-Apologie des neu-rechten US-Politologen Bruce Gilley, der Michel Foucault – nur dieses Beispiel für A. sei genannt – als „Oberguru“ und „Schutzheligen des postmodernen akademischen Blödsinns“ (Gilley 2021: 60) abfertigte, wohlgemerkt: ohne jedes Argument. Auf diese Weise und unter gleichzeitiger Benennung einiger bodenständiger und geistig nicht überfordernder Ersatzhelden (wie Joachim Fernau oder Ernst von Salomon) für von Nazis ‚verbrannte‘ Autoren (wie Carl von Ossietzky) entsteht allmählich, zumal unter Berücksichtigung erfolgreicher Blogs resp. Zeitschriften wie Sezession, jene um Begründungszwänge entkernte Scheuklappenmentaliät, auf welche die Neue Rechte angewiesen ist, um erfolgreich zu sein. Langfristig dürfte solcherart A. einem neuen Höhepunkt zutreiben eingedenk der sich mehrenden Zeichen in Richtung Beiseitesetzung des Mittels des Diskurses als eines unnötigen und hemmenden bezüglich des eigenen Willens zur Veränderung. Schlimmes lässt hier das bereits zitierte (s. Prolog Nr. 20) Credo Götz Kubitscheks erahnen: „Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“ (zit. n. Speit 2018: 41) [259-261, 263, 266, 269, 307, 493, 501, 509]

 

Antisemitismus. Der A. ist in erster Linie das „Gerücht über die Juden“ (Adorno 1951, GS 4: 125), als dessen infamstes die in den (gefälschten) Protokolle der Weisen von Zion (1903) zu gelten hat, ‚die‘ Juden neigten zu Ritualmorden und trügen letztlich auch Schuld an der russischen Revolution. (vgl. Bronner 1999: 9 ff.) Gerüchte wie diese legten den Grund für zahllose Judenpogrome und gehören als Teile weiterer Vorurteile über das ‚dem‘ Juden – im schlimmsten Fall als „Rasse“ (Rassen-A.) – eigene Böse zur conditio sine qua non von Auschwitz, also zu einem die Judenvernichtung ermöglichendes und angeblich rechtfertigendes völkisches Ideologem. (s. Essay Nr. 7.1.1) Als solches war es konstitutiv für die auf Vernichtung abstellende Judenpolitik Hitlers, ist aber aller vordergründigen Absetzung von dieser zum Trotz auch bei den Neuen Rechten und deren Ideologen wie Politikern weit verbreitet, gehört gleichsam zur DNA der AfD. (s. Essay Nr. 22) Die Geschichte des A. mit zentralen Verfechtern wie Paul de Lagarde (s. Essay Nr. 8) oder Julius Langbehn (s. Essay Nr. 9) weist einen zurück auf Heinrich von Treitschke und Nietzsches Urteil über diesen, des Weiteren auf Theodor Fritsch und dessen Bemühen, Nietzsche für die Sache des A. zu gewinnen, vor allem aber auf Nietzsches Abwendung von Richard Wagner als Verfechter des A., dem Nietzsche seine Gegenposition, den Anti-Antisemitismus, entgegenstellte. (s. Essay Nr. 4) Des Weiteren in der Printversion ausführlich behandelt: Der verbreitete A. schon im Steglitzer Wandervogel, der die Hinwendung wichtiger Teile der Jugendbewegung hin zur Hitlerjugend zu erklären vermag, ebenso wie, wohl aus Scham, die Hinwegerklärung dieser Zusammenhänge nach 1945. (s. Essay Nr. 23) So betrachtet überrascht nicht die Bagatellisierung des A. bis in die Gegenwart hinein, wie anhand der AfD ebenso ausweisbar wie am Beispiel von deren ‚Jugendbewegung‘, heiße sie nun Junge Alternative oder Identitäre Bewegung. (s. Essay Nr. 5) (vgl. Goldhagen 1996; Vennmann/Lattrich 2016) [61, 121, 130, 144, 212, 220, 227, 232, 234, 259-261, 266-269, 278, 280, 287, 308, 335, 453, 468, 523-525, 538-579, 581, 584-588, 594, 596, 601, 608, 620, 632]

 

Antislawismus. Der A. – unter Einschluss des nach dem Ersten Weltkrieg greifenden Antibolschewismus (Puschner 2007: 63) – ist ein zentrales Ideologem der Völkischen Bewegung und findet Widerhall bei der Alten wie Neuen Rechten, wie in der Printversion ausführlich gezeigt. (s. Essay Nr. 7.1.4) Deswegen hier nur so viel: Der A. muss der Vorgeschichte des deutschen Überfalls auf Polen vom 1. September 1939 und insoweit der des ‚Generalplan Ost‘ (vgl. Madajczyk 2008) zugerechnet werden. Insoweit gewinnt der neuerdings zu besichtigende, mithilfe von ‚Polenwitzen‘ getarnte neu-rechte A., etwa jener Michael Klonovskys, einige Brisanz. Dies gilt zumal wenn er, wie in diesem Fall, einem auf breiter Basis anhebenden Geschichtsrevisionismus zugerechnet werden muss, der nicht nur, in der Linie Christopher Clarks, die Schuld der Deutschen am Ersten, sondern auch am Zweiten Weltkrieg in Frage zu stellen geneigt ist. (s. Essay Nr. 13) Der A. steht für ein in der NS-Zeit wahnhaft entgleitendes Ressentiment im Sinne eines „tief in der deutschen Volksseele verwurzelten Polenhasses, wie er hauptsächlich im konservativen Preußen jahrhundertelang geschürt worden war.“ (Kater 1971: 588) Ein Zeugnis hierfür gibt Paul de Lagarde (s. Essay Nr. 8), ein Gegenzeugnis Nietzsche, der von Theodor Fritsch als „Polenfreund“ verdächtigt wurde, wohl, weil er gegen die „bei den Deutschen von Heute“ verbreiteten, mal anti-französischen, mal anti-jüdischen, mal anti-polnischen – summarisch gesprochen: anti-europäischen – „Benebelungen des deutschen Geistes und Gewissens“ (V: 192) protestiert hatte. Wie verbreitet der A. in der Jugendbewegung war, offenbart die Artamanenbewegung (s. Essay Nr. 21), zumal nun, nach dem Krieg, im Soge des während desselben anhebenden Siedlungsbewegung sowie des als ungerecht empfundenen Versailler Vertrags, der Blick der Völkischen Bewegung verbreitet gen Osten ging, wie am Weißen Ritter ablesbar, aber auch anhand der von Dietrich Bernhardi 1928 in Die Kommenden vorgetragenen Pointe, die Besiedlung Russlands durch Deutsche sei die einzige Möglichkeit, „um die unter den industriellen Lebensbedingungen zum Untergang verurteilte nordische Rasse […] zu retten.“ (zit. n. Breuer/Schmid 2010: 249) Der Beginn dieser Entwicklung ist zu setzen mit den in der Artamanenbewegung folgenreich gewordenen antipolnische Ressentiments nach dem Muster Willibald Hentschels, die sich später via Hans Grimm auch dem mit diesem befreundeten Pädagogen Herman Nohl mitteilten (s. Essay Nr. 14) und in der NS-Zeit auf zumeist barbarische Art und Weise in den eroberten Ostgebieten folgenreich wurden, insbesondere als Ideologem, das die Tötungshemmung bezogen auf den slawischen Untermenschen, ob Jude oder nicht, außer Kraft setzte. (vgl. Goldhagen 1996: 548 ff.) [269, 271-273, 352, 358, 597 f.]

 

Antiurbanismus. Der A. ist ein zentrales Ideologem der Völkischen Bewegung (s. Essay Nr. 7.1.3) und schlug sich u.a. „in der Blut-und-Boden-Ideologe rassisch gewendeter konservativer agrarromantischer Überzeugungen“ sowie „in Forderungen nach vornehmlich landwirtschaftlich nutzbaren Lebensraum […], in spezifischen Gartenstadt-Konzepten und vor allem in der völkischen Siedlungsbewegung nieder.“ (Puschner 2007: 64) Der Zusammenhang dieser Ideologeme findet sich ausgesprochen vor allem bei Paul de Lagarde (s. Essay Nr. 8) und gewann in der Folge in den der Völkischen Bewegung zurechenbaren Gruppierungen übermächtige Gestalt, dies etwa auch im 1914 gegründeten Deutschen Mädchen-Wanderbund (DMWB), in deren Organ Der Landfahrer Luise Walbrodt 1918 Verwahrung einlegte gegen die „schwüle[n] Vergnügungsstätten der Großstadt“, die einem Leben in „Nichtigkeit und Tand“ (zit. n. Harms 2006: 205) zuarbeiteten. In ähnliche Richtung weist der A. der Artamanenbewegung, dies nun als Teil der für sie kennzeichnenden Blut-und-Boden-Ideologie. (s. Essay Nr. 21) Dem zur Seite stehen Rassenideologie und Antisemitismus sowie Verachtung von „Parlamentarismus, Kapitalismus, Bolschewismus und anderen Begleiterscheinungen der modernen Industriegesellschaft, die man als korrupte Auswüchse der Zivilisation abtat und in ein scharfes moralisches Werturteil einbezog.“ (Kater 1971: 601) Das Ergebnis dessen ist zu besichtigen etwa in Artur Dinters Roman Die Sünde wider das Blut (1917), in welchem der nordische Romanheld, ein deutscher Bauer, im Gegensatz steht zu dem gänzlich unbäuerlichen Makler Levinsohn, mit der Folge, dass insbesondere den Artamanen „der Jude als das Symbol der korrupten Stadt schlechthin [erschien], der den guten Elementen des bäuerlichen Landes zum Verhängnis werden würde – dagegen galt es sich zu wehren.“ (ebd.: 599) [259, 267-269, 570, 594]

 

ARES Verlag. Rechtslastiger Verlag in Graz von Wolfgang Dvorak-Stocker, der, in Analogie zu Götz Kubitschek (Antaios Verlag und Sezession), gleichfalls mit Neue Ordnung über ein Periodikum verfügt mit mehrheitlich neu-rechten Autoren wie Menno Aden, Thierry Baudet, Alain de Benoist, Felix Dirsch, Olaf Haselhorst, Frank Lisson, Armin Mohler, Helmut Roewer, Johannes Rogalla von Bieberstein, Caspar von Schrenck-Notzing, Andreas Vonderach, Thor v. Waldstein, Thomas Wawerka, Karlheinz Weißmann und Alfred de Zayas sowie, seit 2018 im Angebot und besonders skandalös sowie passend zur Erinnerungspolitik des Erik Lehnert: die Lebensbeichte des Nazi-Fluchthelfers aus dem Vatikan, Alois Hudal, kommentiert vom Neonazi Fred Duswald. (s. Essay Nr. 13.5) [449, 452]

 

Arierparagraph. Teil des am 7. April 1933 erlassenen Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentum“, der vom Beamten den „arischen Nachweis“ verlangte (vgl. Zentner 1994: 109) und dieser Bestimmung wegen zur Entlassung aller Juden aus dem öffentlichen Dienst führte, als erstes Zeichen für die nun anhebende nationalsozialistische Judenverfolgung, die in Auschwitz gipfelte. Der A. ist nicht von den Nazis erfunden worden, sondern geht auf die völkische Bewegung zurück. Entsprechend gab es einen A. beim 1909 gegründeten Deutsch-Völkischen Studentenverband (vgl. Puschner 2001: 51), aber auch bei den Fahrenden Gesellen, einer 1909 gegründeten (wandervogelähnlichen) Jugendorganisation. (ebd.: 63; Winnecken 1991: 39) In der Folge gab es auch beim im Juni 1914 gegründeten Deutschen Mädchen-Wanderbund A., ebenso wie bei den Adlern und Falken, den Artamanen, dem Bundschuh, der Schilljugend oder auch der Deutschen Falkenschaft. (vgl. Breuer/Schmidt 2010: 143). Ganz auf dieser Linie lag auch der österreichische Wandervogel, dessen Führer Fritz Kutschera ein „verspäteter Schönerianer“ war, der „die Bewegung […] entsprechend [indoktrinierte].“ (Pross 1964: 172) Grundgelegt war damit eine Tendenz, die auch im und nach dem Ersten Weltkrieg bestimmend war und, als Gegenreaktion, die jüdische Jugendbewegung als eigenständige Form etablieren half. [261, 565, 585]

 

Arndt, Ernst Moritz (1769-1860), aus Rügen. Dt. Publizist u. Patriot m. anti-franz., anti-semitischer u. rassistischer Ausrichtung, die ihn zu einer NS-Ikone geraten ließ. Spektakulär der jüngere Streit um die Umbenennung der nach A. benannten Universität Greifswald (2018 in Kraft getreten). [609]

 

Arndt, Hans-Joachim (1923-2004), aus Magdeburg. Politikwissenschaftler, Schüler Carl Schmitts, Lehrstuhl an der Universität Heidelberg ab 1968, Geschichtsrevisionist um Armin Mohler sowie Die Republikaner des Frank Schönhuber und den Kreis um Caspar von Schrenck-Notzings Crititicón, zuletzt engagiert im Streit um die – von Eike Wolgast heftig kritisierte – Dissertation über die Neu-Rechts-Ikone Ernst von Salomon von Markus Josef Klein, der ihm am 22. Juni 2004 in der Jungen Freiheit einen Nachruf hielt. 2012 rechnete Karlheinz Weißmann A. das Verdienst zu, die Grundlagen gelegt zu haben für eine dem Geist der Reeducation entsagende deutsche Geschichtskonzeption. (SH 3: 13) Insgesamt gilt A. als ein ‚Vordenker‘ der Neuen Rechten.

 

Artamanenbewegung, s. Essay Nr. 21.

 

Aschenauer, Rudolf (1913-1983), aus Regensburg. Jurist. SA 1933, aus gesundheitlichen Gründen Austritt 1934, NSDAP 1937, Blockleiter, 1939-1945 Reichspropagandaamt, nach zweifelhafter Entnazifizierung (vgl. Westemeier 20014: 480 f.) Karriere als aggressiver NS-Kriegsverbrecher-Anwalt, etwa von Otto Ohlendorf oder Walter Funk (1890-1960), vor allem im Zusammenhang des Massakers in Malmedy. 1951 Mitbegründer der „Stillen Hilfe“ (s. Essay Nr. 13.4) 1964 Verteidiger von Karl Wolff, 1965 von Wilhelm Boger, 1966 Kontakt zu Franz-Josef Strauß wg. Hilfe für Herbert Kappler, 1968 Co-Verteidiger von Wilhelm Rosenbaum, Veröffentlichungen in Nation und Europa sowie in der rechtsextremistischen Verlagsgesellschaft Berg.

 

Aubin, Hermann (1885-1969), aus Reichenbach/Böhmen. [622]

 

Aula, die. Rechtsextremes österr. Nachrichtenmagazin, 1951 als Sprachrohr rechter Studentenverbindungen gegründet. FPÖ-nahe, 2018 eingestellt. [451]

 

Auschwitz. Stadt (poln. Oswiecin) m. (1939) 12.000 Einwohnern zwischen Kattowitz (30 km) und Krakau (60 Km), legendär wg. eines dort sowie im angrenzenden Dorf Birkenau errichteten KZ unter Leitung von Rudolf Höß. Kasino „Haus der Waffen-SS“ (vorm. Bahnhofshotel). Erster Häftlingstransport am 14. Juni 1940, Krematorium 1940, erste Gaskammer im Herbst 1941, Ausbau Birkenau ab Herbst 1941, Umbau zweier Bauernhäuser in Vergasungsstätten 1942, Krematorien I-IV 1943, Bahnanschluss, Rampe mit drei Schienensträngen 1944, zahllose Menschenversuche, unvorstellbare Grausamkeiten, Zwillingsforschung (Josef Mengele), Selektion, fabrikmäßige Vergasung unter Vortäuschung von Hygienemaßen. Herabwürdigung des Menschen zum Rohstoffträger (Zahngold etc.). (vgl. Klee 2001) A. ist zum Symbol geworden für einen bis dato nicht für möglich gehaltenen Zivilisationsbruch, basierend auf einer menschenverachtenden Ideologie und begangen von – dies ist der eigentliche Hintergrund für die auf Hannah Arendt zurückgehende Rede von der „Banalität des Bösen“ unter Bezug auf Adolf Eichmann – scheinbar ganz normalen Menschen, deren Tötungshemmung durch die Vorstellung, der Andere sei minderen Wertes, herabgesetzt wurde. Allein in A. wurden 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen ermordet, in der großen Mehrheit (90 %) Juden und Jüdinnen, aber auch 8.000 sowj. Kriegsgefangene plus 10.000 in Mauthausen sowie zwischen 13.000 und 18.000 in Sachsenhausen im Herbst 1941 „in einer Genickschussanlage, die den Mordvorgang standardisieren sollte“ (Ohler 2015: 268), des Weiteren in Buchenwald nach einer besonders brutalen, Stalin entlehnten Mordmethode. (vgl. Snyder 2011: 195 f.) Unübertroffen allerdings die jüd. Opferzahlen: 900.000 in Treblinka, 600.000 in Belzec, 250.000 in Sobibór, 152.000 in Kulmhof, 60.000 bis 80.000 in Majdanek, 535.000 durch Einsatzgruppen der SS, wobei die Wehrmacht logistisch unterstütze und, nach Sönke Neitzel (2020: 226), selbst 50.000 Juden umbrachte, hinzugerechnet 2,5 Millionen Juden in Ghettos und Zwangsarbeit, Unterernährung, Misshandlungen etc. Eine wichtige Quelle, was A. angeht: Höß‘ Aussage in Nürnberg, den Passus enthaltend, Himmler habe ihn im Sommer 1941 einbestellt und als „Geheime Reichssache“ mitgeteilt, Hitler habe „die Endlösung der Judenfrage befohlen“ (IMN, Bd. XI: 440) und dafür A. aus bahntechnischen Gründen als geeignet bestimmt. So betrachtet war die Vergasung à la A. eine gleichsam technische Neuerung, um nach der Brutalität der Massenerschießungen durch die Einsatzgruppen an der Ostfront die Täter von den psychischen Belastungen des permanenten Tötens zu befreien. (vgl. Wistrich 2003: 151 ff.) Mit Timothy Snyders bitterem Resümee im Blick auf ein insoweit zweigeteiltes A.: „Für die Juden in den baltischen Staaten, im östlichen Polen und in der Sowjetunion gab es Kugeln und Gruben, für die Juden in West- und Zentralpolen Abgase und Öfen.“ (Snyder 2015: 226) [20, 46, 61, 65, 89, 92, 109, 146 f., 169, 178, 192, 204, 214, 261-263, 352, 371 f., 375, 400, 405, 408, 423, 438, 442, 448, 467, 498, 538-540, 553, 578, 583, 622, 629, 632, 645, 677, 686, 788 f.]

 

[Zum Autor: Christian Niemeyer, Prof. (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Zum Text: Dieses Lexikon wurde, wie die noch ausstehenden Folgen, wurde dem Online-Material (S. 21-106) meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz 1). Mit Online-Materialien. Weinheim Basel 2021 entnommen. Der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Beltz Juventa.]

Bild oben: V.l. Otto Abetz, Die Protokolle der Weisen von Zion, Götz Kubitschek ((c) Metropolico.org / CC BY-SA 2.0)