Zwischen Flucht und Neubeginn: Kontinuität, Brüche und Vielfalt jüdischer Musik    

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Die Werke geflüchteter jüdischer Komponist*innen einem breiten Publikum vorzustellen, steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Jubiläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. In fünf Programmen präsentiert die Konzertreihe LIVING MUSIC 2021 Werke jüdischer Komponist*innen – mit Uraufführungen, Neuentdeckungen, persönlichen Geschichten und erstmals mit Orchester.

Familiengeschichten und generationenübergreifende Begegnungen für die Gegenwart – das sind die Akzente, LIVING MUSIC 2021 mit seinen Konzerten setzen will. Gelang es der Musikreihe 2020, unter strengsten Hygieneregelungen vier Kammerkonzerte in Potsdam und Brandenburg aufzuführen, sind in diesem Herbst fünf Programme mit insgesamt vier Konzerten und einer Radiosendung vorgesehen. Auch der interkulturelle Dialog, gestartet 2020 mit dem Jugendprojekt „Kaleidoskop“, wird fortgesetzt.

Musik sei der Schlüssel zum Verständnis, sagt die Künstlerische Leiterin von LIVING MUSIC, Mimi Sheffer: ob in der Kooperation mit jungen Musikern, Flüchtlingseinrichtungen und Musikhochschulen oder in persönlichen Familiengeschichten wie denen des Flötisten Avner Geiger und des Cellisten Ramón Jaffé. Erstmals bezieht LIVING MUSIC 2021 zudem Orchestermusik ein und führt damit das Publikum an bunte, lebendige und ausdruckvolle Musik heran, die sonst ungehört in Archiven liegt.

Jüdisches Neujahrskonzert. Erstmals wird auch ein Werk der israelischen Komponistin Rachel Galline aufgeführt – ein Stück zu vier Gebeten zu den Hohen Feiertagen. „Ich habe das Stück von Rachel Galline zufällig gefunden“, erzählt Festivalleiterin Mimi Sheffer. „Als ich Kontakt zu ihr aufnahm, habe ich zwei Dinge entdeckt: Ihre Mutter überlebte Ravensbrück, und das Stück ist von einem Besuch in Berlin zu den Hohen Feiertagen inspiriert worden. Es kombiniert traditionelle liturgische Motive mit der Musik des 20. Jahrhunderts – und klingt ziemlich modern!“ Dieses Werk dem des Komponisten Louis Lewandowski (1821-1894) gegenübergestellt, der seinerzeit genau das Gleiche machte, indem er Tradition und Romantik verband, sei für die Konzertreihe „ein echter Glücksgriff“.

Mimi Sheffer und Ramón Jaffé musizieren gemeinsam mit Waltraut Elvers und Heidemarie Wiesner. Ein Werk von Louis Lewandowski präsentiert kunstvoll die bekannten und beliebten Motive der jüdischen Feiertage rund um das Jahr. „Gebet“, ein Solo-Violinstück der jüdischen Komponistin Lera Auerbach, und das Cellostück  „Kol Nidrei von Max Bruch bringen besondere frische Klänge ins liturgische Konzert. Abgerundet wird das Programm mit einem Liebeslied der israelischen Komponistin Gila Gilboa (der Mutter von Mimi Sheffer) zum Hohelied. 

Die Insel der Vergessenheit. Am 9. November ist unter dem Motto „Die Insel der Vergessenheit“ eine Radiosendung geplant, diesmal mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg – ein Novum. Denn die fünf Lieder „Mein Volk“ von Erich Walther Sternberg zu Gedichten der deutsch-jüdischen geflüchteten Dichterin Else Lasker-Schüler werden erstmals in dieser orchesterbegleiteten Form aufgeführt, ebenso wie Musik jüdischer geflüchteter Komponisten sowie Komponistinnen wie Ursula Mamlok und Rosy Wertheim. Deren Werke und Biografien stehen exemplarisch für den Bruch der Schoa, aber auch für das reiche musikalische jüdische Erbe in der Welt, das zu bewahren und zu vermitteln LIVING MUSIC sich zur Aufgabe gemacht hat.

Musik war ihre Sprache. „Das Besondere an diesem Programm ist“, sagt Mimi Sheffer, „dass einige Komponist*innen in unserer Reihe schon gespielt wurden – damit konnte das Publikum deren Lebenspfade aufgreifen und weiterverfolgen.“ Das zeige, meint die Künstlerische Leiterin, wie wichtig Kontinuität sei. 2021 werden zu den bereits bekannten nun neue Komponisten vorgestellt: Joachim Stutschewsky, Abel Ehrlich und Zvi Avni. Dieses Programm bestreitet Sopranistin Mimi Sheffer zusammen mit dem deutsch- israelischen Else Ensemble, zu dem Shelly Ezra (Klarinette), Petra Schwieger (Violine), Valentin Scharff (Violoncello) und Naaman Wagner (Klavier) gehören.

Spielende Bilder meiner Familie. Gemeinsam mit Yehuda Inbar (Klavier) erzählt Avner Geiger (Querflöte) in diesem Programm die Geschichte seiner Familie in Amsterdam, einer Geschichte über Verlust, Trauer und die Kraft der Kunst. Ein Film über die Geschichten, Gemälde und Bildende Kunst seiner Tante, einer Schoa-Überlebenden, wird dem Konzert vorangestellt. Eingebettet in diese persönliche Geschichte präsentiert das Konzert jüdische Komponist*innen aus den Niederlanden, deren inspirierende Lebenspfade die Musikreihe mit ihrem Publikum verfolgt, darunter Rosy Wertheim, Henriette Bosmans, Marius Flothuis, Fanja Chapiro und Leo Smit.

Im Geiste von Anne Frank. Um Familiengeschichte geht es auch in dem Konzert von Ramón Jaffé (Violoncello), Serafina Jaffé (Harfe) und Monica Gutman (Klavier). Es zeichnet die musikalischen Wege jüdischer Komponist*innen der vergangenen 100 Jahre nach. Sie alle präsentieren die Vielfalt jüdischer Schicksale. Das Besondere dabei: die Familiengeschichte der Jaffés. Don Jaffé, ein geflüchteter jüdischer Komponist, sein Sohn Ramón, ein Cellist und Professor, und Enkelin Serafina, eine Harfenistin, erzählen sie in diesem Konzertprogramm musikalisch.

„Die Besucher können sich auf Bekanntes und Beliebtes freuen, ebenso wie auf Neu- und Wiederentdeckungen“, fasst Mimi Sheffer die Highlights der diesjährigen Konzertreihe zusammen, die bereits das siebte Mal in Folge das Publikum begeistert. Vor allem freue sie sich nun auf den musikalischen Austausch und die Begegnung mit den Besuchern – selbstverständlich unter Einhaltung aller Hygienevorschriften.

KONZERTTERMINE: 17. Oktober, 9./13./14./27. November

Das jüdische Neujahrskonzert Hebräische Melodien“ mit anschließendem Neujahrsempfang am 17. Oktober um 17 Uhr im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9. Mitwirkende: Mimi Sheffer, Sopran; Waltraut Elvers, Violine; Ramón Jaffé, Violoncello; Heidemarie Wiesner, Klavier

Spielende Bilder meiner Familie am 13. November im Schloss Reckahn m Rahmen der Havelländischen Musikfestpiele, Reckahner Dorfstraße 27 in Lehnin. Mitwirkende: Avner Geiger, Flöte; Masha Yulin, Klavier

Im Geiste von Anne Frank am 14. November im „Burg Beeskow“, Beeskow, Frankfurter Straße 23; Mitwirkende: Ramón Jaffé, Violoncello; Serafina Jaffé, Harfe; Monica Gutman; Klavier

Musik war ihre Sprache am 27. November im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9. Mitwirkende: Mimi Sheffer, Sopran; Else Ensemble