„Israelbezogener Antisemitismus“ – gelungen Einführung zum Thema

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Julia Bernstein legt mit diesem Buch eine systematische Einführung zum Thema dar, welche insbesondere für die politische Bildungsarbeit genutzt werden und dabei gleichzeitig auch als Nachschlagewerk dienen kann…

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus artikuliert sich gegenwärtig vor allem in seiner israelbezogenen Form, währenddessen in der breiten Öffentlichkeit seine rassistische Variante nur noch selten vertreten wird. Dies erklärt sich für Deutschland durch einen formalen anti-antisemitischen Konsens, der angesichts der Erinnerung an den Holocaust entstanden ist. Einschlägige Ressentiments finden daher eher über Umwege ihre Verbreitung. Und das Bild von Israel als „Kollektivjuden“ steht für solche Verzerrungen. Gleichzeitig kann es aber auch differenzierte und legitime Einwände gegen die israelische Politik geben. Doch worin besteht dann jeweils die Differenz zu antisemitischen Vorurteilen? Über all diese Fragen wird immer wieder emotional und polarisiert gestritten. Gleichzeitig mangelte es bislang an einer gesonderten Darstellung eben zu der israelfeindlichen Form der Judenfeindschaft. Eine solche legt nun Julia Bernstein vor. „Israelbezogener Antisemitismus“ heißt ihr Buch zum Thema, das primär für die Bildungsarbeit über „Erkennen – Handeln – Vorbeugen“ informieren will.

Und genau für diese Praxis, die so im Untertitel angekündigt wird, findet man darin den nötigen Stoff. Ausgangspunkt ist die erwähnte Erkenntnis: „Der Antisemitismus manifestiert sich heutzutage so oft mit einem Israelbezug, weil er als ‚Kritik‘ legitimiert wird und somit die soziale Ächtung des Antisemitismus nach dem Holocaust unterläuft“ (S. 15). Was nun Antisemitismus eigentlich meint und worin die Differenz zu Einwänden gegenüber der israelischen Politik besteht, das bildet bei Bernstein den ersten größeren Themenschwerpunkt. Die Autorin nennt dabei formale und inhaltliche Gesichtspunkte, die hier für eine Einschätzung genutzt werden können. Danach geht es um einschlägige Kontinuitäten, wobei zunächst die Formen der Judenfeindschaft angesprochen werden. Dem folgt ein interessanter Bildervergleich mit Karikaturen meist aus der NS-Zeit. Ihnen stellt Bernstein aktuelle Karikaturen gegenüber, so werden die formalen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten zu gegenwärtigen Kontexten angesichts des anschaulichen Materials gut erkennbar.

Danach geht es um das Ausmaß der Judenfeindlichkeit, wobei etwa Basisdaten aus der empirischen Sozialforschung präsentiert werden. Der Blick fällt aber auch auf den politischen Extremismus wie die etablierten Medien. Dabei heißt es etwa: „Die Gewalt gegen Palästinenser wurde … häufig nicht im Kontext ihrer Einstellung betrachtet, sie erschien dagegen als willkürliche Aggression gegen unschuldige Opfer, aber nicht als Verteidigung gegen Angreifer und Terroristen“ (S. 91). Dem folgen dann Ausführungen zur Geschichte des Nahost-Konflikts, immunisiere doch insbesondere das Faktenwissen vor antisemitischen Zerrbildern. Diesem – optimistischen – Ansatz dienen auch die Ausführungen, worin kursierende Aussagen wie etwa „Israel sei ein rassistischer Staat“ oder „Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern“ inhaltlich widerlegt werden. Und schließlich geht es noch um Argumentationshilfen, die gegen einschlägige Narrative mit großer Verbreitung gerichtet sind, auch zu solcher „Israelkritik“ von einzelnen Juden.

In der Gesamtschau hat man es mit einem informativen und materialreichen Werk zu tun, womit erstmals breiter angelegt und systematisch konzipiert auf den „israelbezogenen Antisemitismus“ als neue Form von Judenfeindlichkeit eingegangen wird. Bernsteins Buch kann dabei auch als Nachschlagewerk dienen, etwa wenn es um die Geschichte des Nahost-Konflikts und dabei aufkommende Zerrbilder geht. Sie beschreibt und kommentiert auch kurz die palästinensischen Organisationen, die alle einer antisemitischen Agenda folgten, unabhängig von einer islamistischen oder nationalistischen Orientierung. Ein Einwand kann indessen darauf bezogen formuliert werden, dass die Existenz einer nicht-antisemitischen Israelfeindlichkeit ausgeblendet wird. Berechtigt verweist Bernstein darauf, dass dem Antisemitismus auch bestimmte Strukturmerkmale eigen sind. Diese müssen aber nicht für sich ohne inhaltliche Ausrichtung dann auch immer für Judenfeindschaft stehen. Bilanzierend handelt es sich aber um eine gute Einführung mit Nachschlagewerkcharakter.

Julia Bernstein, Israelbezogener Antisemitismus. Erkennen – Handeln – Vorbeuten, Weinheim 2021 (Beltz Juventa), 266 S., Bestellen?

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