„Hitler war meine Lichtgestalt“

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Ein Gespräch mit Axel Reitz über Rechtsextremismus, Ausstieg und Aufklärung…

Von Miriam N. Reinhard

Herr Reitz, Sie waren mal als „Hitler von Köln“ bekannt. Wie kam es dazu?

Meine Karriere im Extremismus begann im Alter von 13 Jahren im Umfeld der NPD und deren Jugendorganisation JN. Schon kurz nach meinem Einstieg in die Szene entwickelte ich mich durch mein Redetalent, gepaart mit fanatischer Einsatzbereitschaft, schnell zum Stichwortgeber, später zum Kader und gefragten Propagandisten verschiedener Kameradschaften und anderer Neonazi-Netzwerke, die ich zum Teil selbst mitbegründet hatte. Ich trat oft bei rechtsextremen Demonstrationen als Redner und Oganisator in Erscheinung. Dabei sah ich wie eine lebendig gewordene Karikatur aus: Braunhemd und Nazi-Insignien, ich trug meinen Bezug zu Hitler offen zur Schau. So nannten mich die Medien irgendwann „Hitler von Köln“. Ich selbst lehnte diesen Titel ab, obwohl Hitler für mich eine Lichtgestalt war.

Als Rechtsextremist sind Sie auch Antisemit gewesen?

Der Antisemitismus gehört nicht immer zum Rechtsextremismus, aber für mich als Anhänger des Nationalsozialismus gehörte er einfach „dazu“. Die in Verschwörungstheorien beliebte Konstruktion des „Weltjudentums“ stellte für mich als Neo-Nazi den Verursacher allen Übels auf der Welt dar. Egal ob Kommunismus, Kapitalismus, Einwanderung, kritische Medien, Christentum, Liberalismus, Psychoanalyse – hinter allem was von uns abgelehnt wurde, stand in unserer verqueren Weltsicht „der Jude“ oder als Synonym der „Zionismus“, der die Fäden zog. Das Judentum wurde dabei als „Rasse“ mit einer genetisch determinierten Weltsicht, Lebenshaltung und Charakteristik betrachtet, weshalb alle Juden pauschal als Feinde galten. Zum Ausdruck brachte ich meinem Antisemitismus u.a. in einer Rede auf einer NPD-Demonstration, die sich gegen Steuergeldausgaben für eine Synagoge in Bochum richtete. Diese Hetzrede führte schließlich zu einer mehrjährigen Haftstrafte.

Und das hat etwas in Ihnen verändert?

Nein, zu diesem Zeitpunkt sah ich mich durch die Verurteilung in meinem antisemitischen Wahn bestärkt. Schließlich war es ja die „Kritik“ an „jüdischen Interessen“, die mich ins Gefängnis gebracht hatte – so dachte ich damals. Anstatt Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen hieß es wieder einmal: „Der Jude ist an allem schuld!“ Heute beschämen und befremden mich solche Positionen, wie mein einstiges nationalsozialistisches Weltbild insgesamt, von dem ich mich nach einem langen Weg der Auseinandersetzung und intensiven Aufarbeitung vollkommen losgesagt habe.

Sie haben sich nicht nur losgesagt, sondern auch mit Hilfe eines staatlichen Aussteigerprogramms und der Ev. Kirche im Rheinland vollständig rehabilitiert. Wie haben die ehemaligen „Kameraden“ auf Ihren Ausstieg reagiert?

Mein Ausstieg war natürlich ein Schock für viele „Kameraden“, sie reagierten bösartig und hasserfüllt. So wurde ich vom „Hitler von Köln“ zum „Judas von Köln“ umgetauft und galt als Verräter, der wahlweise niemals wirklich dabei gewesen ist, nur eine Statistenrolle gespielt hat, gekauft wurde oder einfach charakterlich zu minderwertig gewesen ist, um den „Kampf“ weiterzuführen. Solche Anschuldigungen sind nichts Ungewöhnliches in extremistischen Kreisen, die immer ein Interesse daran haben, Aussteiger und ihre Glaubwürdigkeit zu diskreditieren.

Nach Ihrem Ausstieg wollten Sie in die damals neu gegründete AfD eintreten, die Sie allerdings abgelehnt hat. Sind Sie heute erleichtert, dass das nicht geklappt hat?

Allerdings. Damals haben mich die wirtschaftspolitischen Überlegungen von Bernd Lucke und die Forderungen nach mehr direkter Demokratie beeindruckt – doch Lucke ist es nicht gelungen, die rechtsradikalen Kräfte, die sich in der Partei breitmachten, zurückzudrängen. Nachdem dann auch Frauke Petry ausgetreten ist, haben die dadurch möglich gewordenen weiteren Radikalisierungsschübe in der Partei dazu geführt, dass sie heute absolut verdient kurz davor steht zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes zu werden. Damit sollte die AfD auch für den letzten gutgläubigen und naiven Bürgerlichen als politische Alternative aus dem Rennen sein. Übrigbleiben werden die Radikalen und Radaubrüder, die jetzt die komplette Partei zum Spielball ihres Fanatismus machen können, ohne dabei parteiintern auf Widerspruch zu stoßen. Es wird eine NPD 2.0 dabei rauskommen, die mit meinen heutigen Vorstellungen von einer liberalen Gesellschaft überhaupt nicht mehr vereinbar ist. Ja, ich bin wirklich froh, dass ich nicht dort gelandet bin!

Inzwischen engagieren Sie sich gegen Extremismus, betreiben u.a. einen eigenen You-Tube Kanal. Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?

Ich engagiere mich ehrenamtlich in der Extremismus-Prävention, halte Vorträge zum Thema Deradikalisierung und kläre über die rechtsextreme Szene auf. So komme ich auch regelmäßig mit ausstiegswilligen Angehörigen der Szene in Berührung und unterstützte diese aktiv bei der Rückkehr in die demokratische Gesellschaft. Ich selbst kann natürlich nicht die Arbeit leisten, die ein Aussteigerprogramm anbietet, aber ich bereite den Weg dorthin. Für den gemeinnützigen Verein „Extremislos e.V.“ bin ich als Vortragsredner, Referent und Ansprechpartner tätig. Auf meinem You-Tube Kanal „Der Reitz-Effekt: Klare Kante gegen dumpfe Parolen“ bespreche ich aktuelle Ereignisse aus den Themenbereichen Politik, Gesellschaft und Extremismus.

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erleben wir wieder verstärkt Antisemitismus in den sozialen Netzwerken. Attila Hildmann etwa propagiert auf Telegram, Merkel sei „Satanistin und Jüdin“ und wolle gemeinsam mit Verschwörern, die Welt in der „NWO“ versklaven. Kann man mit solchen Menschen reden?

Hildmann ist ein besonders krasses Beispiel für enthemmten Antisemitismus und aggressive Verschwörungstheorien. Mit diesem Mann ist meiner Meinung nach nicht zu reden, da er viel zu fanatisiert und gefangen in seinen eigenen Wahnvorstellungen ist. Neben ihm gibt es aber immer mehr Menschen, die für Verschwörungstheorien anfällig sind. Um auf sie einzuwirken bedarf es Geduld und Empathie – und man muss die Fragen stellen: Was machen solche Theorien so attraktiv? Oft stehen Gefühle von Angst, Verlust und Desorientierung dahinter, wenn einfache Deutungen für komplizierte Sachverhalte gesucht werden. Es sollte deshalb, solange es individuell möglich ist, der persönliche Dialog gesucht werden, ohne dabei in eine krasse Abwehrhaltung zu verfallen. Wenn die Betreffenden sich ernst genommen fühlen, werden sie zugänglicher für Fakten, die ihre Vorstellungen ins Wanken bringen. Und dann beginnt der lange steinige Weg der Aufklärung.

Wenn Sie heute den Axel Reitz von damals treffen könnten, was würden Sie ihm sagen?

Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich zu meinem damaligen Ich durchdringen könnte, aber ich würde ihm sagen: „Junge, zieh Dich nicht selbst und jeden um Dich herum runter. Du verbaust Dir Dein Leben für nichts und wieder nichts, dabei könntest Du problemlos glücklich und zufrieden sein ohne Hass, Fanatismus, Hetze und Brutalität und anderen Menschen wirklich helfen, ohne sie zu etwas zwingen und bevormunden zu wollen, das willst Du für Dich ja auch nicht!“

Foto: privat