Paraschat haSchawua: Bschalach

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Mir fällt immer wieder eine Geschichte meines Vaters ein. Er erzählte mir, als er in der Jeschiwa (bei seiner Ausbildung zum Rabbiner) lernte, habe man die Tora so gut wie gar nicht studiert. Das mag für Uneingeweihte merkwürdig klingen, jedoch für uns sollte es doch einleuchtend sein. Denn so wie ich die Paraschot in der letzten Zeit behandle und bespreche, ist es für gläubige Menschen schwierig, damit zurechtzukommen…

Exodus, Kap. 13-17 Parascha Bschalach Schabbat 30. Jan. 2021

Die Problematik ergibt sich, sobald man den Tora-Text einfach wörtlich zu verstehen versucht. Dann tauchen Fragen auf, die dem gutmeinenden, unreflektierten Gläubigen Schwierigkeiten bereiten.

Zum Beispiel: In unserer Parascha (Kap. 17) geht es um den Krieg gegen Amalek (das Volk der Amalekiter) im Sinai, vor der Ankunft und der Besiedlung von Kanaan. „Und Josua überwältigte Amalek und sein Volk durch das Schwert“. Das ist eine klare Aussage. Danach heißt es „Und Jahwe sprach zu Mose: Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein; denn ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen“, also will Israels Gott das Volk der Amalekiter total (wie man heute sagt) vernichten. Und eine Zeile weiter heißt es zur Bekräftigung des „Austilgens“, „Er sagte: … Krieg hat Jahwe mit Amalek von Generation zu Generation“. Wobei man hier anstandshalber sagen muss, dass der hebräische Text in einem Punkt nicht eindeutig ist. Man kann nicht sicher sein, ob die letzten Worte „von Generation zu Generation“, von Moses oder von Gott zu Moses gesagt wurden.

Einerlei, Gott will die Erinnerung an Amalek austilgen. Wieso, fragt man sich, kann Gott das nicht mit einem einzigen Krieg vollbringen? Wie kommt es, dass Amalek nach jeder Generation wieder aufersteht und zum bedrohlichen Feind für Israel werden kann, und für Gott eine immerwährende Aufgabe wird? Wie in der vorigen Parascha, als wir zu dem Schluss kamen, dass nicht Gott all die Plagen auf die Ägypter
gebracht hatte, sondern es von dem biblischen Autor (oder den Autoren) so formuliert wurde, dass Wünsche und Taten auf Gott projiziert wurden, so wird es wohl auch bei den Amalekitern zutreffen.

Dieses Problem taucht wieder in der Tora auf (in 5. Moses Kap. 25), als Moses das Volk an die Ereignisse der Vergangenheit erinnert: „Denke daran, was dir Amalek tat auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zogt, wie sie dich unterwegs angriffen und deine Nachzügler erschlugen, alle die Schwachen, die hinter dir zurückgeblieben waren, als du müde und matt warst“. Die Nachzügler, die fliehenden Schwachen (vermutlich auch Kranke etc.) zu erschlagen ist wahrhaftig verdammungswürdig, jedoch könnte man einwenden, dass es im Altertum so üblich, mindestens nicht ungewöhnlich war. Zumal wir im Buch Josua über ein ähnliches Verhalten bei den Israeliten lesen. Josua, Moses‘ Jünger, der die Bewohner Kanaans während der Besiedlung bekämpfte, ordnet vor einer der vielen Schlachten, seinen Kämpfern an: „Ihr aber bleibt nicht stehen, sondern verfolgt eure Feinde und schlagt auch ihre Nachzügler! Lasst sie nicht bis zu ihren Städten gelangen“ (Josua 10, 19).

Wer immer auch den Text des Buches Josua geschrieben hat, kannte auch die Tora und wusste, dass Moses die Amalekiter wegen der „Nachzügler-Geschichte“ verdammt hatte. Doppelmoral? Bemerkenswert wäre noch, dass das Volk der Amalekiter trotz allem noch lange überlebt hat. Etwa zweihundert Jahre danach kämpfte König Saul, der die israelitischen Stämme zu einem Volk vereinigte, gegen Amalek. Er wurde vom Propheten Samuel angewiesen, alle Amalekiter zu vernichten, als er jedoch aus Überlegungen der rationalen Staatsführung Gefangene nahm, wurde er von Gott verstoßen. Ein anderer, nämlich David, wurde auserwählt, an seiner statt König zu werden.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.de heraus.

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