Friedensabkommen in Serie

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Nun will auch der Sudan seine Beziehungen mit Israel normalisieren und nach Jahrzehnten der Feindschaft das Kriegsbeil begraben. Für manche äthiopische Israelis ist diese Annäherung zwischen beiden Ländern jedoch eine Herausforderung. Und nicht nur für sie…

Von Ralf Balke

Plötzlich ging alles ganz schnell. Gestern noch Feinde und bald schon vielleicht Freunde? Ende Oktober hieß es aus Karthum, dass man bereit sei für den Frieden mit Israel. Dabei hatte der Sudan noch wenige Wochen zuvor erklärt, dass eine Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern derzeit kein Thema sei. Zwar wurde der drittgrößte Flächenstaat Afrikas schon seit Monaten als einer der Kandidaten gehandelt, der über kurz oder lang das Kriegsbeil mit Israel begraben würde, doch waren die Signale aus Karthum immer ein wenig widersprüchlich. Auf der einen Seite hatte sich General Abdel-Fattah Burhan, Chef der sudanesischen Übergangsregierung, im Februar diesen Jahres ganz offen in Uganda mit Israel Ministerpräsident Benjamin Netanyahu getroffen. Kurz darauf wurde auch der Luftraum des Landes für israelische Maschinen geöffnet, wodurch die Flugzeiten zwischen Tel Aviv und Südamerika oder Südafrika um einige Stunden kürzer werden. Als aber dann Haidar Basawi Sadiq, Sprecher des sudanesischen Außenministeriums, im August gegenüber der Presse erklärte, dass sein Land „ein Friedensabkommen mit Israel anstrebt…..eine Beziehung zwischen zwei gleichberechtigten Partner, basierend auf den Interessen Khartums“, da wurde er innerhalb von Stunden vom Außenminister wieder zurückgepfiffen und gefeuert. Und nun die Kehrtwende. Nachdem die Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain Abkommen mit Israel geschlossen hatten, sollte nun auch aus Karthum das Ok zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen kommen.

Dabei sah es vor einigen Jahren noch ganz anders aus. Die Animositäten zwischen beiden Ländern waren so alt wie der Staat Israel selbst. Denn als der israelische Unabhängigkeitskrieg 1948 tobte, schickte auch der Sudan, damals unter anglo-ägyptischer Kontrolle stehend, ein kleines Kontingent an Soldaten, das die Reihen der arabischen Truppen stärken sollte. Umgekehrt revanchierte sich Israel nach der Unabhängigkeit des Sudans 1956, in dem man die Separatisten in der südsudanesischen Region Anyana unterstützte. Weil Kairo in diesem Konflikt an der Seite Khartums stand, hoffte man so, möglichst viele ägyptische Verbände dort fernab von Israel zu binden. 1967 war es dann wieder der Sudan, der Ägypten im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel unterstützen sollte und last but not least unterstützten israelische Militärberater in den 1970er Jahren erneut die Separatisten im südlichen Sudan.

In den späten 1970er und 1980er Jahren geriet der Sudan aus ganz anderen Gründen auf den Radar der politisch Verantwortlichen in Israel. Damals flüchteten Zehntausende äthiopischer Juden in das Land. Der Grund: 1974 hatte der von Moskau und Kuba unterstützte Diktator Mengistu Haile Mariam den äthiopischen Kaiser Haile Selassie gestürzt und ein Einparteien-Regime nach Ostblock-Muster errichtet. Die Folgen waren ein blutiger Bürgerkrieg und der Rote Terror, wobei rund 100.000 sogenannte „Klassenfeinde“ gefangen, gefoltert und auch getötet wurden. All dem wollten viele äthiopische Juden entkommen. Sie hofften, irgendwie weiter nach Israel gelangen zu können, was aber schier unmöglich war, weil der Landweg dorthin durch feindliche Staaten wie dem Sudan und lange Zeit auch Ägypten blockiert war. Zudem wurden sie auf ihrer Odyssee häufig Opfer von Gewalt und Missbrauch durch sudanesische Soldaten sowie in Lagern interniert. 

Zeitgleich begann Israel im Rahmen von klandestinen Operationen jüdische Flüchtlinge aus dem Sudan herauszuschmuggeln. Unter anderem betrieb der Mossad an der sudanesischen Küste zwecks Tarnung einen Hotelkomplex, der so etwas wie die Drehscheibe bei diesem gefährlichen Menschenschmuggel werden sollte. Äthiopische Juden wurden unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen aus Lagern befreit, dorthin transportiert und heimlich mit Schlauchbooten auf Schiffe gebracht, die sie anschließend nach Israel fahren sollten. All das geschah unter der Nase der sudanesischen Behörden. Verfilmt wurden diese dramatischen Vorgänge 2019 unter dem Titel „The Red Sea Diving Resort“. Und 1984 hatte man erfolgreich den sudanesischen Machthaber General Jaafar Numayri sowie seinen Sicherheitschef bestochen, so dass die Sudanesen alle Auge zudrückten, als Israel weitere 30.000 äthiopische Juden einfach aus Khartum ausflog.

Trotzdem ist das Kapitel für viele Israelis äthiopischer Herkunft weiterhin eine offene Wunde – nicht nur durch die im Sudan erfahrenen Misshandlungen, sondern ebenfalls, weil eine unbekannte Zahl von Menschen dort verschwunden ist. „Die Tatsache, dass Israel und der Sudan jetzt ihre Beziehungen normalisieren wollen, gibt mir eine wenig Hoffnung“, erklärte beispielsweise David Mehart, heute 54 Jahre alt und in Kiryat Gat lebend, gegenüber der israelischen Tageszeitung „Yedioth Aharonoth“. Drei Jahre musste er in sudanesischen Lagern ausharren, bevor man ihn dort befreite. Seine drei Brüder hatten nicht so viel Glück, sie verschwanden für immer. „Vielleicht werde ich jetzt, 40 Jahre später, erfahren, was mit ihnen und meinen ebenfalls damals im Sudan inhaftierten Onkeln geschehen ist.“ Andere teilen diesen Optimismus nicht. Einer von ihnen ist Hex Aissa Jirga, der zusammen mit seiner Familie als Kind fünf Jahre lang im Sudan interniert war. „Es geht dabei nicht nur um meine persönliche Trauer“, betont er. „Die sudanesische Regierung hat reihenweise äthiopische Juden einfach so ermorden lassen.“ Im Alter von zehn Jahren war er dann mit 50 weiteren Juden aus einem Gefängnis ausgebrochen und mithilfe des Mossad sowie des Roten Kreuzes außer Landes gebracht worden. „Es war uns untersagt, uns als Juden erkennbar zu geben, während die Erwachsenen in der Gruppe in die Verhörräume des sudanesischen Gefängnisses verschleppt wurden wurden“, erinnert er sich. „Wir wurden aus dem Sudan erst zurück nach Äthiopien transportiert, wo wir ein weiteres Jahr warten mussten, bis wir endlich nach Israel kamen. Bis heute habe ich Narben in meinem Gesicht von den Schlägen, die ich im Sudan erhielt“, so Jirga. Seine Forderung: „Wir als äthiopische Gemeinschaft sollten uns an den Verhandlungen beteiligen. Man muss mit denen reden, deren Angehörige zu Tausenden im Sudan gestorben sind.“ Ihr Schicksal soll endlich geklärt werden.

Als Mitte November eine erste offizielle israelische Delegation nach Karthum reiste, schien die Geschichte der äthiopischen Juden jedenfalls kein Thema gewesen zu sein, das zur Sprache kommen sollte. Laut Außenministerium in Jerusalem waren es eher Punkte wie landwirtschaftliche Entwicklungshilfe und der Ausbau der Handelsbeziehungen. Und natürlich Migration. Rund 20 Prozent der über 33.000 Asylsuchenden aus Afrika stammen aus dem Sudan, und es ist kein Geheimnis, dass Israel sie gerne wieder loswerden möchte. Das wiederum könnte schwierig werden. Denn fast alle von ihnen stammen aus Konfliktregionen wie Darfur. Auch wenn die afrikanischen Flüchtlinge nichts gegen ein Friedensabkommen zwischen Israel und dem Sudan haben, so stehen sie General Abdel-Fattah Burhan mehr als skeptisch gegenüber. Zwar hatte dieser 2019 das Regime des alten Diktators Omar al-Bashir gestürzt und demokratische Reformen angekündigt. Doch ist Burhan ihnen suspekt, weil er als Militärkommandeur des alten Regimes an den Massakern gegenüber der Zivilbevölkerung in Darfur beteiligt gewesen war und sie von ihm deshalb wenig Gutes erwarten.

Zudem erfolgte der Systemwechsel in Karthum vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Interne Konflikte, Korruption und Misswirtschaft hatten den Sudan in den Ruin getrieben. Das Land gehört heute zu den zehn höchstverschuldeten Ländern der Welt, die Inflation ist dreistellig und die Coronavirus-Krise tut ihr Übriges. Genau das dürften die eigentlichen Motive sein, warum sich die aktuellen Machthaber auch für eine Normalisierung mit Israel entschieden haben. Auf diese Weise will der Sudan seinen Status als Pariah-Staat wieder abschütteln, den er sich in den vergangenen drei Jahrzehnten erworben hatte. Denn mit der Machtübernahme von Bashir damals im Jahr 1993 hatte Washington das Land sofort auf die Liste der Terror unterstützenden Staaten gesetzt, was zahlreiche Wirtschaftssanktionen mit sich brachte. Der Sudan galt nicht nur als Rückzugsort für Osama bin Laden und al-Quaida. Von dort aus wurden auch die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania verübt.

Und der Sudan war stets ein enger Verbündeter der Mullahs in Teheran, weshalb Waffen aus dem Iran an die Hamas oder den Islamischen Jihad oftmals den Weg über sein Territorium fanden. Das wollten die Israelis verhindern, weshalb sie seit 2009 immer wieder Luftangriffe auf entsprechende Militärkonvois flogen, die im Sudan unterwegs waren. 2012 kam es ebenfalls zu einem israelischen Militärschlag auf eine Munitionsfabrik in Karthum selbst. Doch bereits Bashir leitete den außenpolitischen Umschwung ein, als er 2015 ziemlich abrupt nach Jahrzehnten die Allianz mit den Mullahs aufkündigte und sich im Jemen-Konflikt auf die Seite von Saudi Arabien schlug – Riads Reichtümer schienen verlockender als der gleichfalls wirtschaftlich marode Iran.

„Das war der eigentliche Wendepunkt“, erklärt Brigadegeneral Assaf Orion vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv. „Und zwar, als der Sudan nicht länger mehr die Drehscheibe für Waffen aus dem Iran in der Region war und außenpolitisch einfach auf die andere Seite des Golfs wechselte.“ Die Iraner dürften darüber nicht begeistert gewesen sein. „Und wenn es für Israel nun ein diplomatischer Sieg, um so besser“, so Orion. Dore Gold, ehemaliger Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, ergänzt, dass mit der Normalisierung der Beziehungen auch eine effektivere Kontrolle über Port Sudan, dem einzigen Seehafen des Landes, möglich ist und Teheran damit seine strategische Präsenz am Roten Meer endgültig verloren habe. Darüber hinaus sagte er: „Ich denke, es gibt jedes Mal eine kumulative Wirkung, wenn ein anderes Land dazukommt, das mit uns Frieden schließt – insbesondere wenn es von seiner Geographie und Bevölkerung her eines der größten Länder Afrikas ist.“ Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, wann der nächste Kandidat für ein Friedensabkommen mit Israel bekannt wird.

Bild oben: Abdel Fattah al-Burhan in Sochi, 2019, Foto: Kremlin.ruCreative Commons Attribution 3.0 Unported license.