Ahmad Mansours neuere Betrachtungen zu Antisemitismus und Rassismus

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Der Psychologe Ahmad Mansour veröffentlicht in seinem neuen Buch „Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass“ zehn ganz unterschiedliche Texte zum Thema. Dazu gehören persönliche Erfahrungsberichte wie politische Reflexionen, die besonderes Interesse verdienen, weil sie kritisch in mehrere Richtungen gehen…

Von Armin Pfahl-Traughber

Ein kurzes Buch, das „Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass“ überschrieben ist, erweckt klischeehafte Erwartungen. Der Autor könnte sich über das Genannte empören, mehr Solidarität einfordern – und das war es dann. Es gibt auch solche Bücher. Nach der Lektüre fühlen sich die meisten wohl. Und das war es dann auch. Dies ist indessen bei einem Autor wie Ahmad Mansour nicht so, was mit seinem Leben und seinen Positionen zusammenhängt. Er wurde 1976 als arabischer Israeli geboren und lebt seit 2004 in Berlin. Dort arbeitet der Diplom-Psychologe für unterschiedliche Projekte gegen Radikalisierung. In seinen bisherigen Büchern teilte er gut in viele Richtungen aus. Denn der Autor kritisierte sowohl Denkweisen in der Mehrheitskultur wie unter Migranten, wodurch er nicht in ein bestimmtes Schema passt. Dies ist auch in den Beitragen des neuen Buchs so. Es handelt sich um zehn einzelne Abhandlungen unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher Themensetzung. Direkt haben sie nicht unbedingt etwas miteinander zu tun.

Da geht es zunächst um Erfahrungen in Klassenzimmern, die nach dem Anschlag in Hanau gemacht wurden. Zum Agieren heißt es: „Unsere Methode ist es, nachzufragen, mitunter auch zu verunsichern, aber niemals anderen unsere Meinung aufzuzwingen oder andere Menschen abzuwerten“ (S. 18). Und dieser Ansatz durchzieht auch die Berichte, die etwa über Gefängnis- wie Schulkurse formuliert wurden. Man findet auch kurze Beschreibungen zu einzelnen Personen, sei es über einen somalischen Flüchtling, der im Alltagsleben diskriminierende Sprüche hören musste, sei es über einen jüdischen Schüler, der von arabischstämmigen Mitschülern mit „Mörder“-Sprüchen für Israels Politik mit verantwortlich gemacht wird. Darüber hinaus beschreibt der Autor konkrete Erfahrungen, die er bei verschiedenen Projekten wie etwa Rollenspielen an Schulen machen konnte. Hier wird wohl für viele Leser aus einer ganz anderen Welt berichtet. Manche Beschreibungen haben einen reportageartigen Charakter, was indessen nicht den Erkenntnisgewinn trübt.

Daneben stehen allgemeinere Erörterungen zu Themen, die um Antisemitismus, Gewalt, Identität oder Rassismus kreisen. Sie sind meist sehr freihändig und meinungsstark und persönlich formuliert. Aber auch hier lohnt die Aufmerksamkeit für die gewählte Denkperspektive. So gibt es etwa eine Betrachtung zur Entstehung von Hass, worin Mansour bemerkt: „Man kann die Biographien jeglicher Attentäter anschauen: Ihnen wurde als Kind die Möglichkeit verwehrt, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln“ (S. 48). Dies mag als Erklärung eindimensional sein, ist aber auch nicht falsch. Auf die Bedeutung elterlicher Erziehung wird hier durchaus berechtigt hingewiesen. Der längste Beitrag behandelt dann Identitätsfragen, wobei auch der Kollektivismus linker Identitätspolitik von Mansour kritisch angesprochen wird. Es gebe fatale Gemeinsamkeiten mit rechter Identitätspolitik: „Beide Ideologien arbeiten mit Vorstellungen von homogenen Gruppen und mit Opferkonkurrenz. Beide nutzen fixierte Feindbilder und Opferrollen …“ (S. 95).

Derartige Auffassungen haben dem Autor immer wieder falsche Vorwürfe eingebracht. In einem Bericht wurde der gläubige Muslim gar als „islamophob“ tituliert. Mit derartigen Etiketten wird immer wieder versucht, menschenrechtliche Einwände zu muslimischen Kontexten zu diskreditieren. Dies gilt auch für den dort präsenten Antisemitismus, worauf Mansour bereits in früheren Zusammenhängen immer wieder hinwies. Er beklagt berechtigterweise den Alltagsrassismus auch in der deutschen Gesellschaft, kritisiert aber ebenso eine Instrumentalisierung einschlägiger Vorwürfe. So würden „Linksextreme die Debatte um Racial Profiling bei der Polizei dazu nutzen, um das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und undifferenzierte Kritik an der Polizei zu üben“ (S. 29). Derartige Anmerkungen dienen einem bestimmten Meinungsmilieu dazu, für Mansour eine unangemessene Zuordnung zu treffen. Dass er seine Kritik in viele Richtungen verteilt, macht den Autor dann aber gerade zu einem lesenswerten Publizisten.

Ahmad Mansour, Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hasse, Frankfurt/M. 2020 (S. Fischer-Verlag), 122 S., 12 Euro, Bestellen?