Bibis Triumph

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Für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ist Regierungschef Benjamin Netanyahu sogar bereit, die Annexionspläne für das Westjordanland wieder in der Schublade verschwinden zu lassen. Damit verblüffte er Freund und Feind zugleich…

Von Ralf Balke

Für Überraschungen war er schon immer gut. Als Benjamin Netanyahu am Donnerstagmittag mitten in der Kabinettssitzung plötzlich aufstand und aus dem Raum stürmte, hatte keiner der Anwesenden auch nur die leiseste Ahnung, was den Regierungschef gerade dazu veranlassen sollte. „Ihr werdet später noch erfahren, warum“, erklärte er einer sichtlich verdutzten Ministerrunde beim Hinausgehen und deutete an, dass es sich dabei um eine wichtige Angelegenheit von nationaler Bedeutung handeln würde. Mehr war erst einmal nicht zu erfahren. Wenige Stunden später dann die Sensation: Die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel hätten sich darauf verständigt, in Kürze diplomatische Beziehungen aufzunehmen, hieß es. Der erste, der mit der Neuigkeit aufwarten sollte, war US-Präsident Donald Trump. „Riesiger Durchbruch heute“, twitterte er. „Historisches Friedensabkommen zwischen unseren beiden großartigen Freunden Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten.“

Wenige Minuten später folgte Netanyahu, der diesen Tweet mit der Überschrift „ein historischer Tag“ teilte. Etwas nüchterner dagegen Kronprinz Mohammed bin Zayed al-Nahyan, der de facto-Herrscher in Abu Dhabi. „Die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel haben sich auf eine Zusammenarbeit verständigt und verfassen nun eine Roadmap mit dem Ziel der Aufnahme bilateraler Beziehungen.“ Im Vorfeld des Ganzen verspricht Israel, alle Pläne zur Ausweitung seiner Souveränität auf Teile des Westjordanlands, erst einmal auf Eis legen. Denn genau das war die Vorbedingung, die die Vereinigten Arabischen Emirate von Israel verlangten, um diesen Schritt zu wagen.

Vom Himmel gefallen war die Entscheidung, bald schon Botschafter auszutauschen, Direktflüge aufzunehmen oder gemeinsam wissenschaftliche Forschungsprojekte wie die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs zu stemmen, nicht wirklich. Seit Monaten bereits kursierten Gerüchte, dass einer oder vielleicht sogar mehrere sunnitische Staaten in der arabischen Welt demnächst diplomatische Beziehungen mit Israel aufnehmen könnten. Kandidaten wurden gleich mehrere gehandelt, wie beispielsweise Oman, Bahrain oder sogar Saudi Arabien. Mit allen unterhält Jerusalem seit Jahren schon inoffizielle Kontakte, über die aber wenig gesprochen wird, vor allem auf arabischer Seite. Denn so lange der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nicht gelöst werde, so das Mantra in Abu Dhabi, Maskat oder Riad, könne es auch keine Anerkennung, geschweige Normalisierung des Verhältnisses geben. Nun aber sind die Vereinigten Arabischen Emirate vorgeprescht und aus dieser Phalanx ausgebrochen. Auch schien sich das irgendwie seit Wochen anzudeuten.

Denn am 12. Juni bereits hatte Yousef al-Otaiba, Botschafter der Vereinten Arabischen Emirate in Washington in einem Meinungsstück auf der Titelseite der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth darüber geschrieben, dass die geplante Annexion von Teilen des Westjordanlandes vielleicht keine so gute Idee sei – allein das erregte Aufmerksamkeit, weil es ein Novum, war, dass ein so wichtiger Vertreter eines arabischen Landes, das keine diplomatischen Beziehungen mit Israel pflegt, sich direkt an die Israelis wandte. Die Chancen einer Normalisierung mit arabischen Staaten wie dem seinen würden dadurch schwinden, so al-Otaiba. Vielleicht sollte sich Jerusalem mal ein paar Gedanken darüber machen, wovon man langfristig mehr profitieren könnte: einer problematischen Landnahme oder engeren Kontakten mit der sunnitischen Welt. Diese Botschaft scheint jedenfalls bei Netanyahu angekommen zu sein – schließlich gehört eine Allianz zwischen Israel und den arabischen Staaten, die sich ebenfalls von der expansionistischen Politik des Irans bedroht fühlen, zu seinem großen außenpolitischen Konzept. Und genau dieses geriet aufgrund der umstrittenen Annexionspläne langsam aber sicher in Gefahr.

Zugleich öffnete sich für die Vereinigten Arabischen Emirate eine interessante Option, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen, ohne dass gleich der komplizierte Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zuvor gelöst werden müsste, indem man das Ganze an die Aufgabe der Annexionspläne knüpfte. Auch war Jerusalem so nicht gezwungen, Land für Frieden zu opfern, sondern einfach nur ein Vorhaben, das angesichts der gigantischen Probleme, die die Coronavirus-Krise mit sich brachte, sowieso in Israel kaum jemanden interessiert. Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn und zugleich Sonderbeauftragter für den Nahen Osten, wäre da etwas sehr Cleveres gelungen, wie es Itamar Rabinovich, Historiker und ehemals israelischer Botschafter in Washington, auf den Punkt brachte. „Er hat einen Aktivposten quasi aus dem Nichts geschaffen, den Israel für Frieden mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eintauschen konnte.“ Abu Dhabi kann nun nach außen behaupten, die Israelis von ihrem Plan einer Annexion abgebracht zu haben.  So vermag man sich ebenfalls als Retter der Palästinenser vor einem israelischen Zugriff zu inszenieren, die das dortige Herrscherhaus eigentlich schon lange nicht mehr interessieren.

Ferner zeigen die Ereignisse vom Donnerstag, dass der amerikanische Friedensplan für den Nahen Osten wohl doch noch mit Leben gefüllt werden kann. Bahrain, das als nächster Kandidat für einen Frieden mit Israel im Gespräch ist, begrüßte jedenfalls die Entscheidung der Vereinigten Arabischen Emirate, ebenso wie Ägypten, Oman und andere arabische Länder. Dass durch diesen Schritt eigentlich der Konsens aller arabischer Gipfel der vergangenen Jahrzehnte über Bord geworfen wurde, nämlich keine Normalisierung der Beziehungen mit Israel einzuleiten, so lange es keinen Rückzug aus allen besetzten Gebieten inklusive Ostjerusalems sowie einen palästinensischen Staat gibt, wurde von ihnen geflissentlich ignoriert. Wer auf jeden Fall froh über die Entwicklung sein dürfte, ist König Abdallah von Jordanien. Die Annexionspläne hätten ihn noch mehr unter Druck gesetzt, das unbeliebte Friedensabkommen mit Israel zu kündigen, und den Befürchtungen weiter Auftrieb verliehen, dass sein kleines Wüstenkönigreich in den Planungen anderer Mächte der Palästinenserstaat werden könnte.

Wenig überraschend zeigten sich die Mullahs in Teheran als die größten Kritiker der geplanten Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, weshalb man dort von einem Dolchstoß gegen alle Muslime sprach und nun eine „Achse des Widerstands“ in der Region aufbauen möchte. Auch die Türkei bezichtigte Abu Dhabi des Verrats an der Sache der Palästinenser und drohte, seinen Botschafter von dort abzuberufen. Diese sahen sich einmal mehr mit der Realität konfrontiert und verloren eines der wenigen Asse, die sie noch in ihrem Ärmel glaubten. Denn Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hoffte, dass es die reichen Golfstaaten sind, die Druck auf Israel ausüben können, um Konzessionen für sie durchzusetzen.  Jetzt fühlen sich die Palästinenser „von unseren Freunden verkauft“, wie es die frühere PLO-Unterhändlerin Hanan Ashrawi formuliert. Abbas in Ramallah jedenfalls schäumte vor Wut und forderte die anderen Golfstaaten dazu auf, die Vereinigten Arabischen Emirate mit Sanktionen zu belegen. Genau das werden sie garantiert nicht machen.

Aber eine weitere Gruppe fühlt sich gerade gewaltig vor den Kopf gestoßen, und zwar die Siedlerbewegung. Zwar sahen sie mit den Annexionsplänen, wie Netanyahu sie angekündigt und verwirklichen wollte, nur einen Teil ihrer Forderungen erfüllt – schließlich gab es immer nur den Plan, Teile des Westjordanlandes zu annektieren, aber nicht das ganze, was wiederum die Befürchtung aufkommen ließ, dass am Ende doch noch ein Palästinenserstaat entstehen könnte. Und den wollen die Siedler auf keinen Fall. Jetzt aber müssen sie erkennen, dass Netanyahu ihre Bewegung genauso fallen lassen kann, wenn es andere Prioritäten gibt, wie vor rund 15 Jahren Ariel Sharon, der als ihr einstiger Verbündeter die Räumung von Siedlungen aus dem Gazastreifen durchsetzte. Seine Erklärung, die Annexionspläne seien nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben, glauben die wenigsten. David Elhayani, Vorsetzender des Siedlerrats Yesha jedenfalls sagte nicht nur, dass er sich von dem Ministerpräsidenten hintergangen fühlt, sondern forderte deshalb bereits: „Netanyahu muss weg!“

Und es gibt eine weitere innenpolitische Dimension in der Geschichte. Zwar betonte Netanyahu, dass das Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten „in keinem Zusammenhang mit politischen Deadlines oder Wahlen steht“, was angesichts des Dauerstreits zwischen ihm und seinen Koalitionspartnern von Blau-Weiß über den geplanten Haushalt und seinen schlechten Umfragewerten schwer zu glauben ist. Denn zugleich erklärte der Regierungschef, dass der Deal mit Abu Dhabi ohne das Wissen von Außenminister Gabi Ashkenasi und dem alternierenden Ministerpräsident sowie Verteidigungsminister Benny Gantz zustande gekommen sei. Beide seien bis zuletzt darüber im Dunkeln gelassen worden, „um den Erfolg des Abkommens zu schützen“, wie es Netanyahu erklärte. Mehr Misstrauen und Geringschätzung gegenüber seinen Koalitionspartnern ist schwer möglich.

Bild oben: Das Rathaus von Tel Aviv erstrahlte gestern Abend in den Farben der Flagge der Vereinten Arabischen Emirate (c) MFA