Judenhass in literarischen Samtpantoffeln

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Das Unbehagen mit den Juden… man trifft es allerorten. Natürlich auch in der Literatur. Dort verkleidet es sich oft als sensible Seele, zärtelt dabei auf Samtpantoffeln durch die Seiten und knüpft doch ganz eindeutig an alte, unselige Traditionen an…

Von Ramona Ambs

Zum Beispiel, an die Werke von Gustav Freytag „Soll und Haben“ oder den “ Hungerpastor“ von Wilhelm Raabe. Gerade im Hungerpastor kam der Antisemitismus auch schon in Samtpantoffeln um die Ecke. Litererarische Helden sind nämlich selten tumbe Antisemiten, meist sind es nachdenkliche, stille Figuren, die sich (wie ihre Erfinder) oft sogar gegen den dumpfen Judenhass aussprechen, aber am Ende von den bösen Juden doch verraten werden. Im Hungerpastor stellt sich der Protagonist Hans Unwirrsch anfangs gegen die judenfeindlichen Hep-Hep-Krawalle, freundet sich schließlich sogar mit dem reichen (!) Nachbarsjungen Moses an, der ihn aber immer wieder intellektuell übertrumpft, für eine gut bezahlte Stelle konvertiert und im Verlauf der Geschichte einer Frau gegenüber sexuell übergriffig wird- und damit alle antisemitischen Klischees in sich vereint. Dass gerade die Konstruktion der Hauptfigur Hans, als moralische Instanz und toleranter Judenfreund, angelegt ist, untermauert umso mehr die negativen Eigenschaften seines jüdischen „Antagonisten“.

Ganz ähnlich verhält es sich in vielen modernen Erzählungen. Die letzte, die mir dazu in die Hände fiel, und die noch nirgends in dieser Hinsicht kritisch rezensiert wurde, ist die Erzählung Eliah von Stephan Valentin. Held der Geschichte ist nicht Eliah, sondern dessen Babysitter Tim, der ganz wie sein Erschaffer und Autor Stephan Valentin, Schauspiel in Paris studiert. „Du weißt, dass ich Jude bin?“ startet die Erzählung… „Und ich Deutscher“ liegt es dem Protagonisten auf der Zunge, aber das sagt er nicht, sondern er erklärt, wie unwichtig Religionen sind und freut sich, dass der kleine Junge genau so blond ist, wie er selbst. Und dann fragt er sich, wie Eliahs Mutter ihm wohl „beigebracht hat, dass sie jüdisch ist. Und er auch. Und dass es Menschen gibt, die ihn deshalb nicht mögen könnten, (…)“ – Und schwups steckt der Protagonist Tim in der gleichen Position wie 1864 Hans Unwirrsch aus dem Hungerpastor. Denn die Abneigung gegen Judenhass und gleichzeitig die Zuneigung zu dem kleinen Juden Eliah, der ihm doch so ähnlich ist, spricht aus jeder Zeile. Aber Eliah ist nur das Kind. Die eigentliche Antagonistin ist Diane, Eliahs Mutter. In ihr vereint der Autor alle negativen jüdischen Klischees, die ihm eingefallen sind,- oder rausgefallen vermutlich eher. Denn die lieblose Diane ist geizig, sexuell bedrohlich, Geld und Prestige-geil, ihre Religion ist nur Mittel zum Zweck und selbstverständlich will sie, dass ihr Sohn der Beste ist! All dies wird jedoch immer nur in Andeutungen, also literarischen Samtpantoffeln, erzählt.

Der Geiz sieht beispielsweise so aus: 

Der ehrgeizige Wunsch der Jüdin, der Sohn möge etwas Besseres sein äußert sich neben den Markenklamotten, die der Junge tragen soll, auch in den übersteigerten Erwartungen, die Valentin wie folgt beschreibt:  „Eliah, fünf Jahre, ist kein Künstler. Diane kauft ihm Malstifte und gutes Papier.(…) Diane sechsundvierzig Jahre, hat viele Falten. Sie ist unzufrieden. Ein Picasso weniger. Zwei Tage später hängt der Clown gerahmt in der Küche.“

Der kleine Eliah wird mehr und mehr zum Opfer seiner jüdischen Mutter. Aber auch Tim fühlt sich vor ihr nicht sicher: 

Die jüdische Religion ist auch hier nur Mittel, um Eliah zu demütigen und Diane -wie allen Juden- keinesfalls wirklich wichtig. Denn alle jüdischen Familien in der Geschichte haben Weihnachtsbäume, was den Protagonisten spürbar negativ berührt. Gleichzeitig behauptet er, der junge Eliah „müsse sich zu Hanoukka schwarz-weiß kleiden, obwohl er doch Farben so liebt.“ Es gibt zwar keine jüdische Vorschrift, sich an Chanukah schwarz weiß zu kleiden, aber Fiktion darf ja alles. Und Diane wird auf diese Weise zur modernisierten Neuauflage des Juden Moses aus dem Hungerpastor. Und Tim alias Hans wird zum Opfer: Am Ende wird er einfach ausgetauscht: 

„Warum versucht ein Romanerzähler, die Gefühle der Leser gegen seine jüdische Figuren zu mobilisieren? Warum schürt er den Verdacht, »der Jude« stünde unserem Glück im Wege? Die Antwort ist so verschlungen wie erschreckend. Das positive Eigene der deutschen Nation wird über das Negativ des Juden konstruiert. Jüdische Figuren werden so zugerichtet, dass sie als moralischer Vorwurf erscheinen als Ursache für das Leiden der Nation an sich selbst. Juden sind Täter – Deutschland ist ihr Opfer.“ schrieb Thomas Assheuer 2007 in der Zeit über Martin Walsers Roman Tod eines Kritikers. Man könnte es jedoch auch hier genau so als Schlussanalyse gelten lassen. Und nicht nur hier, sondern leider immer und immer wieder in Büchern- und im realen Leben… Gegen den offensichtlichen Judenhass sind viele. Sich jedoch mit dem eigenen Unbehagen gegenüber dem Jüdischen auseinanderzusetzen – die Bereitschaft findet man kaum. Auch nicht in der Literatur. 

Abschließend noch ein Funfact: 

Selbst in Rezensionen, die den Antisemitismus in der Literatur klar und deutlich benennen, wird schließlich der Jude dennoch selbst wieder für den Antisemitismus verantwortlich gemacht. So schreibt der Theologe Hans-Jürgen Benedict in einer Rezension u.a. über den Hungerpastor am Ende denn doch: „Nun ergeben Umfragen, dass antisemitische Vorurteile und Stereotypen in der Bevölkerung eher zu- als abnehmen. Es wird weniger die Literatur als die Nahostpolitik Israels dafür in erster Linie verantwortlich sein. Trotzdem: Deutsche Schriftsteller müssten darüber aufklären und mit ihren sprachlichen Fähigkeiten berechtigte Kritik von Vorurteilen unterscheiden helfen, auch in ihren Romanen.“ – Anders gesagt: die Schriftsteller sollten wirklich vorsichtiger schreiben, aber die Juden sind letztlich am Antisemitismus eben doch selbst schuld. Wir sind offenbar immer schuld. Auf keinen Fall jedoch die Antisemiten… 

Die Erzählung Eliah von Stephan Valentin erschien in dem Buch Vielfarben und kann hier online nachgelesen werden.