„Freie Menschen“

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Die Tage der Pessach-Vorbereitung sind immer sehr intensiv. Nebst dem Putzen bereitet man sich sowohl innerlich als auch äußerlich auf die Nacht der kollektiven Erinnerung vom Auszug aus Ägypten – die Erzählung von der Versklavung zur Freiheit…

Von Schmuel Kahn

Gegen Ende der Ausstellung in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem kann man einem Interview von Rabbiner Sinai Adler zuschauen. Rabbiner Adler wurde in Prag geboren, nach Theresienstadt deportiert und von dort weiter nach Auschwitz und Mauthausen. Er hat die Todesmärsche überlebt, wurde im Mai 1945 befreit und hat Alija nach Erez Israel gemacht.

Und so erzählt er über seine Erinnerungen an den Seder im KZ Mauthausen:

«Dies war mein erster Pessach, den ich in einem Konzentrationslager verbringen musste. Am letzten Pessach waren wir noch im Ghetto Theresienstadt, wo wir zusammen als Familie den Seder abhalten konnten. Zugegeben fand auch dieser Seder in einer sehr speziellen Form statt, den in diesen Tagen gab es eine totale Ausgangssperre im Ghetto und nach Anbruch der Dunkelheit wurde das Entzünden von Licht, auch nur von einem Streichholz verboten. Unter diesen Umständen verschoben wir den Seder auf den Tag. Doch ich war immer noch mit meinen Eltern zusammen und auf unserem Tisch waren einige Mazzot und auch ein Tee gemischt mit Konfitüre, als Ersatz für den Wein.

Der Seder in Mauthausen war völlig anders. Zuerst dachte ich, dass ich meine tägliche Brotration, die wir am Vormittag vor Pessach erhielten, für den nächsten Morgen aufbewahre, so dass ich wenigstens auf das Verbot des Chametz-Essen zu Beginn des Festes achte. Doch ein Talmid Chacham (Gelehrter), der mit uns zusammen war, hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass es von der Halacha aus besser ist, das Brot sofort zu essen, denn das Besitzen des Chametz ist verboten.

Nach dem Appell gegen Abend und vor dem Eintritt in die Baracke erhielten wir Zeit, um vor den Baracken herum zu laufen. Einen Freund hatte ich darum gebeten, mit mir ein wenig zu hin und her zu gehen und während des Laufens sagten wir auswendig Teile der Hagadda auf, so viel wir uns erinnerten.

Ein spezieller Seder, ohne Mazzot und Wein, ohne ein Festessen, an welchem die ganze Familie gesättigt an einem Tisch sitzt, sondern eine Sedernacht im Laufen. Unsere Körper waren gedemütigt und versklavt, doch unseren Geist konnte man nicht wieder versklaven. Uns so konnten wir auch unter diesen Zuständen sagen:

Sklaven waren wir Pharao in Ägypten und G’’tt unser EWIGER erlöste uns von dort – denn trotzt allem fühlten wir uns wie ‚freie Menschen.»

In der Hoffnung, dass jeder von uns eine spezielle Seder-Nacht haben wird – trotz all der Umständen und den daraus neuen Situationen, die sich ergeben haben. Eine Nacht, in der wir uns mit der Auszugsgeschichte verbinden und uns als freie Menschen fühlen.

Schmuel Kahn ist Reiseleiter in Israel.