Das Geld im jüdischen Sprichworte

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Der nächste Beitrag der Serie jüdischer Sprichwörter stammt ebenfalls von Binjamin Segel und sammelt jüdische Sprichwörter zum Thema Geld, Armut und Reichtum…

Binjamin Segel wurde 1866 in Rohatyn geboren und wuchs in Galizien auf. Er sammelte ostjüdische Folklore, die er, wie auch im vorliegenden Beitrag, in deutschen, polnischen, hebräischen und jiddischen Publikationen veröffentlichte. Immer wieder widmete er sich auch der sog. Judenfrage und der antisemitischen Verfolgung von Juden. Mit „Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet. Eine Erledigung“ (1924) versuchte er erstmals, das antisemitische Werk, das zum Leitfaden alles Verschwörungstheorien werden sollte, zu entkräften. Segel starb 1931.

Ost und West“, die sich als „Illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum“ verstand und im Kontext der „Jüdischen Renaissance“ dem westjüdischen Publikum die kulturellen Leistungen der sog. „Ostjuden“ vorstellte.

DAS GELD IM JUEDISCHEN SPRICHWORTE

Von Binjamin Segel
Ost und West, Heft 7, 1903

A. Wert und Unwert des Geldes.

Ehre und Geld regieren die Welt.
Ehrgeiz und Goldgier sind die Triebfedern aller Handlungen.

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Auf drei Dingen steht die Welt: auf Geld, auf Geld und auf Geld.
Offenbar eine fürwitzige rationalistische Nach­bildung des bekannten thalmudischen Ausspruchs: Auf drei Dingen ruht die Welt: auf der Lehre, dem Dienst Gottes und der Uebung der Barm­herzigkeit.

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Ohne Geld — was ist das für eine Welt?

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Geld geht zu Geld.

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Geld ist Staub, aber Staub ist kein Geld.

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Gold hat einen schmutzigen Vater, und doch hält man’s für edel.

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Der Dukat ist klein, aber gewichtig.

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Von einem goldnen Wägelchen fällt ein goldnes Nägelchen (herab).

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Ein jeder hasst das Geld, aber nur so lange es beim Andern ist.

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Ein jeder bittet um ein Stückchen Brot und denkt dabei an ein Gläschen Wein.

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Anstatt Hungers zu sterben, esse ich schon lieber Weissbrot.

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Nimmt Gott einem das Geld, so folgt der Verstand nach.

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Nicht genug, dass ich mein Geld verloren, nennen mich die Leute noch einen Narren.

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Es ist nicht so gut mit dem Gelde (wenn man Geld hat), als schlecht ohne Geld.

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Umsonst giebt’s in dieser Welt nur Wasser zu trinken.

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Auf „wollt’ ich“ und „sollt’ ich“ borgt man kein Geld.

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Ein Sparer ist mehr als ein Verdiener.

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Ein Bissel, ein Bissel — bald ist’s eine volle Schüssel.             •

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Besser ein regelmässiger Groschen, als ein seltener Dukat.

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Besser ein koscherer Groschen, als ein trefener Dukat.
„Koscher“ hat hier den Sinn von redlich, „trete* bedeuted unredlich, betrügerisch.

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Der Goj (Bauer) ist trefe, aber sein Groschen ist koscher.

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Der Dukat gilt, so lange er nicht ausgewechselt.
Dieses Sprichwort wird häufig angewandt, um Leute zu tadeln, die ihren Adel um Geld ver­kaufen. Manchmal bedeutet es auch so viel wie: „So lange einer nicht abtrünnig geworden ist, hat sein Judentum als voll zu gelten“.

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Borge einem Geld, und Du hast Dir einen Feind gekauft.

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Alles ist für Geld zu haben, nur nicht Gesund­heit, Verstand und Freundschaft.

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Für Geld kauft man diese Welt, aber nicht jene.
Eine andere Variante dieses Sprichwortes besagt: „Für Geld kauft man sowohl diese als jene Welt“. Gemeint ist das Verdienst der Wohltätigkeit.

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Den Reichtum bringt man nicht mit sich auf diese Welt und nimmt ihn nicht mit sich aus dieser Welt.

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Thachrichim (Grabgewänder) haben keine Taschen (um das Geld aufzubewahren).

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Jeder Knauser zahlt doppelt. Jeder Träge geht zweimal.

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Ein reicher Geizhals ist der ärmste Arme.

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Wird ein Knauser freigebig, so kocht er Grütze mit Graupen.

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Wird ein Knauser freigebig, so gilt ihm ein fremder Dukaten für nichts.

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So lange der Mensch lebt, ist alles für ihn zu wenig, nach dem Tode hat er an einem Häutlein Staub genug.
Zu Häupten des Toten wird nach jüdischem Ritus ein kleines Säcklein Erde in das Grab gelegt.

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Der weiteste Weg ist der zur Tasche.

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Geldes-Dienst ist Götzendienst.

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Geld hält sich nur im groben Sack.
Schlusspointe einer sehr hübschen humoristischen Volkserzählung (von mir mitgeteilt in „Aus fremden Zungen“, 1902, Heft 3).

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Willst reich werden? — Sei sieben Jahr‘ ein Schwein.

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„Spuck mir ins Gesicht, aber gieb mir Geld“ — spricht der Habsüchtige.

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„Schwein! Hast Geld? Sei mein Gevatter!“ — spricht der Habsüchtige.
Anstatt „Gevatter“ heisst es im Original: „Mechuthan“.

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Hat der Geizige wenig Geld, ist er des Geldes Knecht, hat er viel, ist er’s erst recht.

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Vom Nichtnehmen ist noch keiner reich ge­worden.

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Kahals Groschen ist ein Magnet.
„Kahal2 die Gemeinde, die Oeffentlichkeit.

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So mancher goldne Becher ist voller Tränen.

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Wegen des Geldes (der Mitgift) wird kein Schidduch aufgehoben.
„Schidduch“ – Partie.

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Geld-Schidduchim (um des Geldes willen ge­schlossene Partien) haben keinen Bestand.

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Mitgift und Köst dauern nur über die Fröst.
Die Eltern der Neuvermählten gewährten diesen in ihrem Hause einige Zeit hindurch den ganzen Lebensunterhalt; das nannte man „Köst“.

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Gold und Silber lässt man stehen, wenn Gott befiehlt, von dannen zu gehen.

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Wer sein Geld nicht mit Jubel ausgiebt, giebt es mit Stöhnen aus.

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Und ist der Dukaten noch so rot, du giebst ihn aus um’s Stückchen Brot.

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In der Hölle kostet der Ochse einen Groschen, aber den Groschen hat keiner.

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Geld verloren, halb verloren; Mut verloren, alles verloren.

 

B. Armut und Reichtum.1)

Armut ist keine Schande — aber auch keine besondere Ehre.

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Armut und Faulheit sind Schwestern.

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Armut schafft Unzuverlässigkeit.

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Verwandte erkennst du, wenn sie reich werden.

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Wenn die Armut sich zur Türe hereinschleicht, entflieht die Freundschaft zum Fenster hinaus.

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Ein Armer gleicht einem löcherigen Sack (den man nie anfüllen kann).

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Leichter ist’s, einem Betrunkenen, als einem Armen auf die Beine zu helfen.

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Der Arme ist schlimmer dran, als der Tote, denn er hat die Augen offen.

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Unglück, wohin gehst du? — Zum armen Mann.
Vergl.: Baba kama 93a. Baba bathra 174a.

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Der Arme fallt auf den Rücken und schlägt sich die Nase platt.

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Wann freut sich Gott? — Wenn ein Armer dem Andern schenkt.

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Leichter ist’s einen Berg, als einen Armen von der Stelle zu bringen.

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Wann freut sich Gott? Wenn ein Armer gefundenes Gut zurückerstattet.

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Wann freut sich ein Armer? — Wenn er das Verlorene findet.

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Jeder Arme ist freigebig.

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Arme Leute haben gute Herzen.

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Der Satte glaubt dem Hungernden nicht.

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Hunger kennt kein Gesetz.

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Not bricht Eisen — Dalles (er)- bricht Schlösser.

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An einem Armen kann man sich leicht versündigen.

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Arme und Kranke haben stets die Oberhand.

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Ein Reicher hasst Ehrenbezeu­gungen — gleich wie die Katze den Rahm.

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Was würden die Reichen an­fangen, wenn es keine Misrachwand gäbe?
Die Ost- (Misrach) Wand in der Synagoge gilt als der vor­nehmste Platz und ist das Ziel des Ehrgeizes des Reichen, ähn­lich wie Ehrenämter und dgl.

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Einen reichen Vater begräbt man gern.

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Arm sein ist wie gestorben sein, aber reich sein heisst noch lange nicht — leben.

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Arm und reich, liegen unter der Erde gleich — aber auf der Erde liegen die Reichen bequemer.

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Am Ende isst der Reiche keine Dukaten und der Arme keine Steine zur Suppe.

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Isst ein Armer ein Huhn — so ist er krank oder das Huhn.

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Lieber ein herabgekommener Reicher, als ein emporgekommener Armer.

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Ein Emporkömmling hasst die alten Leute.
Weil diese ihn noch als armen Teufel kannten.

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Von einem geizigen Reichen und einem fetten Bock geniesst man erst nach ihrem Tode.

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Reib dich an reichen Leuten — — und du bekommst ein Loch.

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Wenn die Reichen kränken, sie der Armen gedenken.
Sie spenden milde Gaben für sie. („Kränken“ kranksein.)

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Wann erquickt sich ein Armer? Wenn er in Ohnmacht fällt.
Dann reicht man ihm nämlich Erquickungen.

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Wer da hat die Meôth, der hat die Deôth.
„Meôth“ Hunderte, Bank­scheine; „Deôth“- Ansichten, Meinungen. Sinn: Wer Geld be­sitzt, der hat zu befehlen, dessen Ansichten dringen durch.

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Der Arme fürchtet keinen Dieb.

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Der Arme hat drei Hoffnungen.
Entweder er wird einmal so reich, wie sein Nachbar, oder sein Nachbar wird so arm, wie er, oder aber, sie sterben beide als arme Teufel.

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Der Eine hat keinen Appetit zum Essen, der Andere kein Essen zum Appetit.

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Sorgen und Kümmernisse sind leichter zu er­tragen, beim vollen Magen.

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Der Reichen Dummheit gilt mehr, als des Armen Klugheit.

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Der Arme bezahlt seine Kartoffelsuppe teurer, als der Reiche seinen Braten.

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Eine reiche Frau kann sich’s leisten, zweimal im Jahre zu gebären.

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Mit dem Gelde stopft man den Leuten den Mund.

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Mit Gold wäscht man den Bastard rein.
Vgl. Kidduschin 71 a.

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Was bei einem Reichen in den Winkeln ver­gessen wird, könnte mancher Arme sich wünschen, im Vermögen zu besitzen.

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Ein herabgekommener Reicher und ein empor­gekommener Armer gleichen sich noch immer nicht aus.

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Anstatt eine reiche Köchin, heirate man lieber eine arme Haustrau.

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Wenn zwei Arme tanzen wollen, springt an der Fiedel die Saite.

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Wenn eine arme Braut ein Tänzlein machen will, brauchen die Musikanten gerade auf die Seite.

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Beim Armen wachsen die Kinder dichter.

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Der Reiche trägt seinen Gott in der Tasche, der Arme im Herzen.

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Der Starke behält immer Recht.

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Aschiruth macht Geviruth.
„Aschiruth“ Reichtum; „Geviruth“ Uebermacht.

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Wer kein Geld in der Tasche hat, frage nach dem Preis (einer ausliegenden Ware) nicht.

1) Mehrere hierher gehörige Sprichwörter verdanke ich der freundlichen Mitteilung des Herrn Ignatz Bernstein in Warschau.

 

C. Thalmudisch.

Man schmeichelt nicht dem Reichen, sondern seinem Gelde.

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Die Teurung bekommt keiner so zu spüren, wie der Arme.

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Der Arme macht Teurung und Wohlfeilheit.
Weil er zur Unzeit kaufen und verkaufen muss.

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Arme Leute schlafen im Dunkeln.

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Arme Leute haben hübsche Töchter.

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Der Arme und der Bucklige tragen ihre ganze Habe auf sich.

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Dem Armen bläst der Wind immer in die Augen.

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Armes Dach, was krachst du!

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Man versetze das Hemd vom Leibe, um nur reich zu sein.
Scherzhaftes Sprichwort, dessen Komik auf der contradictio in adjecto beruht.

* * *

Dem Reichen steht alles hübsch zu Gesicht.