US-Tankstelle – US-Chapel

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Als ich kürzlich für ein paar Tage in Würzburg zu Besuch war, konnte ich in der MAIN-POST einen recht interessanten Bericht über das ungewisse Schicksal der US-Tankstelle in den ehemaligen Leighton Barracks lesen. Da mich die Angelegenheit interessierte  beschloss ich, mir das Objekt näher anzusehen. Als ich in das Gebiet der ehemaligen Leighton Barracks durch das frühere Haupttor fahren wollte musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass die Leighton Chapel – das frühere Sakralgebäude der US-Armee recht neben dem Eingangstor zur Kaserne – nicht mehr vorhanden war…

Von Judith Bar-Or-Schwierz, Har Halutz/Israel 

Mit der US-Chapel verbinden meine Familie und mich ganz starke Erinnerungen, und nicht nur uns, sondern sehr viele jüdische und nichtjüdische Armeeangehörige und deren Verwandte, die einst in Würzburg gewohnt haben. Ich habe natürlich eine ganz besondere Bindung zu der Chapel, denn hier war mein Vater – Rektor i.R. Israel Schwierz über 30 Jahre lang als Lay leader ( = Vertreter des Militärrabbiners) tätig.  Er war übrigens der einzige deutsche Lay Leader in einer Jüdischen Gemeinde der US-Armee, und zwar auch nur deshalb, weil er Offizier der Bundeswehr war.

Das zweigeschossige Sakralgebäude der US-Armee, lange nicht eingezäunt und für jeden zugänglich, war ein ganz besonderes Bauwerk. Während sich auf der oberen Ebene im Hauptschiff der große Gebets- und Gottesdienstraum für die vielen christlichen Bekenntnisse, die es in der US-Armee gab, befand, war im rechten Seitenanbau ein Raum nur für Katholiken zu finden, während im linken Anbau – auch von außen zu erreichen – ein Gebetsraum für die Jüdische Gemeinde der US-Armee zu finden war, der auch von der Moslemischen Gemeinde und einigen Christlichen Kirchen genutzt wurde. Hier war übrigens auch der tragbare Toraschrein zu sehen, der schon während des 2. Weltkrieges für die jüdischen Feldgottesdienste in der 3.US-Armee des berühmte Generals Patton  benutzt worden war.

Im unteren Geschoss war führte ein Gang in einen großen Saal am Ende des Gebäudes, in dem die verschiedenen Feiertage und Feste der jeweiligen Religionsgemeinschaften begangen wurden: Hier feierten die Juden den Pessach-Seder, aber auch Purim, Hanukka und andere Feiertage. Hier wurden auch Beschneidungen, Taufen, Hochzeiten und andere Festlichkeiten durchgeführt. Rechts und links des Ganges, der zu dem Festsaal führte, waren eine Küche, ein Zimmer für Kinder, zahlreiche Amtsräume der in Würzburg stationierten Militärgeistlichen und auch Zimmer zum Unterbringen von notwendigen Sakralgegenständen zu finden. Rechts neben dem großen Saal war ein Raum mit einem Taufbecken und anderen religiösen Gegenständen, links ebenfalls ein großer Raum mit zahlreichen Schränken, in denen Gebet- und andere Bücher aller Religionsgemeinschaften zu finden waren, die die Chapel als Gebets- und Begegnungsstätte nutzten.

All‘ diese Fakten gingen mir durch den Kopf, als ich den leeren Platz neben dem früheren Haupteingang zu  den Leighton Barracks sah, wo einst die Chapel gestanden hatte.  Wie konnte es dazu gekommen sein, dass dieses geschichtlich und religiös so bedeutende Bauwerk, in dem alle in der US-Armee etablierten Religionsgemeinschaften problemlos miteinander zurechtkamen und das erst kurz vor dem Abzug der US-Armee aus Würzburg gründlich renoviert worden war, sang- und klanglos abgerissen worden war, während man sich heute wegen der Tankstelle große Gedanken macht ?  Ich werde das nie verstehen können, auch anderen Leuten, die mit der Leighton Chapel zu tun hatten, geht es ähnlich. Ich glaube aber, dass eines Tages der schnelle, ja fast überhastete Abriss des meiner Meinung geschichtlich wie religiös doch sehr bedeutenden Bauwerks der Stadt Würzburg – und hier besonders den für die Durchführung des Abrisses Verantwortlichen – zur Schande  gereichen wird.

Bild oben: Tor in der Rottendorfer Straße, Leighton Barracks, (c) Jan, wikicommons