Benjamin gegen Benjamin

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Mit dem ehemaligen Generalstabschef Benny Gantz betritt in Israel ein politischer Neuling die Bühne und wirbt um Wählerstimmen. Doch ob er dem amtierenden Ministerpräsidenten wirklich gefährlich werden kann, das weiß man erst nach dem 9. April 2019…

Von Ralf Balke

Eigentlich könne man sich die ganze Sache schenken, schrieb dieser Tage der Kolumnist David Horovitz in der Times of Israel. Gemeint sind die vorgezogenen Neuwahlen in Israel, die am 9. April kommenden Jahres stattfinden sollen. „Wir würden der Wirtschaft auf diese Weise Einbußen in Höhe von 480 Millionen Dollar ersparen und uns rund 100 Tage nerviges Gezänk, in dem wir Netanyahu schon heute zum Sieger erklären.“ Denn in Israels heillos zersplitterter Parteienlandschaft schien lange Zeit Niemand in Sicht, der dem amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu trotz aller Skandale um seine Person irgendwie gefährlich werden könnte. Doch nun wirft Benny Gantz seinen Hut in den Ring. Der 59-Jährige will mit einer neuen Partei unter dem etwas sperrig klingenden Namen „Widerstandskraft für Israel“ ins Rennen um die Wählerstimmen gehen. Ihr Ziel sei „die Stärkung von Israel als einem jüdischen und demokratischen Staat“. Zudem möchte er Verbesserungen in den Bereichen Infrastruktur, Bildung und Landwirtschaft einleiten sowie neue Wege in der Friedens- und Sicherheitspolitik gehen.

Auf den ersten Blick klingt das alles wenig spektakulär und zudem reichlich schwammig, weil keinerlei Informationen darüber verfügbar sind, was genau Gantz denn anders machen würde. Aber das scheint seiner Popularität derzeit keinen Abbruch zu tun. Wenn jetzt Wahlen wären, würde nach den verschiedenen Umfragen der vergangenen Tage seine Liste aus dem Stand heraus zwischen elf und 19 Sitze in der Knesset erobern. Damit hätte „Widerstandskraft für Israel“ das Potenzial, die zweitstärkste Kraft zu werden. „Vielleicht aber auch nur deshalb, weil die meisten Israelis keinerlei Ahnung haben, wofür Gantz politisch überhaupt steht“, versucht Horovitz dieses Phänomen zu erklären. Aktuell dominiert bei vielen Israelis vor allem der Wunsch, Netanyahu los zu werden und „frisches Blut“ in der Politik zu sehen. Und ein ehemaliger Generalstabschef kann dabei zusätzlich von dem Nimbus profitieren, Experte auf dem zentralen Feld der israelischen Politik überhaupt zu sein, nämlich dem Thema Sicherheit.

Aber auch von einer ganz anderen Seite droht dem amtierenden Ministerpräsidenten plötzliches Ungemach, und zwar aus dem nationalistischen Lager. Denn am Samstag hatten Bildungsminister Nafatali Bennet sowie Justizministerin Ayelet Shaked überraschend ihren Austritt aus HaBeit HaYehudi, einem der verbliebenen vier Koalitionspartnern seines Likuds, verkündet. Zugleich riefen sie eine neue Partei mit dem Namen „Die Neue Rechte“ ins Leben. Diese soll sich an eher konservative und religiöse Wähler richten, die einerseits von Netanyahu enttäuscht sind, aber HaBeit HaYehudi aufgrund ultrarechter Politiker wie Bezalel Smotrich und der Nähe zu einigen extremistischen Rabbinern bis dato unwählbar fanden. Einige Kommentatoren wie Sima Kadmon in Yedioth Ahronot sprachen deshalb bereits von einem „neuen Likud“, der da im Entstehen sei. Ersten Umfragen zufolge würde „Die Neue Rechte“ bis zu 14 Sitze in der Knesset erhalten, wenn heute Wahlen wären. Likud, Yesh Atid sowie die beiden Newcomer Gantz und das Gespann Bennet-Shaked wären also in der nächsten Knesset die vier stärksten Parteien, wenn denn nichts Unvorhergesehenes mehr passiert und die Trends Bestand haben sollten.

Gantz ist zudem nicht der erste hochrangige Militär, der nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst in die Politik wechselt. Er tritt damit in die Fußstapfen von Jitzchak Rabin und Ehud Barak. Auch war sein Entschluss keinesfalls spontan. Bereits seit Monaten wurde darüber spekuliert, wann und wie er diesen Schritt wagt. Weil Gantz in der Bevölkerung äußerst bliebt ist, umwarben ihn die etablierten Parteien in der Hoffnung, von seiner Popularität profitieren zu können. Sowohl Avi Gabbay vom Mitte-Links-Bündnis Zionistische Union hatte ihm Avancen gemacht als auch Yair Lapid von der zentristischen Yesh Atid-Partei. Beide versprachen ihm einen sicheren Platz Zwei auf ihrer jeweiligen Liste von Kandidaten für die Knesset. Und Netanyahu soll Gantz für den Fall, dass er sich für den Likud als politische Heimat entscheidet, das prestigeträchtige Amt des Außenministers angeboten haben – auf diese Weise wollte der amtierende Ministerpräsident die einzige Person, die ihm vielleicht gefährlich werden könnte, politisch an sich binden und neutralisieren. Doch alles Umgarnen war vergebens. Am 27. Dezember wurde die neue Partei „Widerstandskraft für Israel“ von Gantz offiziell registriert. „Es geht mich nichts an, wie die Linke sich spaltet“, lautete Netanyahus Reaktion auf die Neugründung.

Angetreten war Gantz direkt mit einem ganzen Team alter Hasen, die in Sachen Wahlkampf viel Erfahrung haben wie Itai Ben Horin oder Tal Alexanderovich. Auch meldeten sich sofort erste prominente Stimmen, die ihre Bereitschaft für eine Unterstützung der neuen Partei signalisierten, allen voran Michael Biton, der prominente Bürgermeister von Yeruham, der aus der tristen Entwicklungsstadt im Negev so etwas wie eine kleine Boomtown gemacht hat, sowie Professor Jitzchak Kreiss, Direktor des Sheba Medical Center. Im Gespräch ist auch Yoaz Hendel, Direktor des Institute for Zionist Strategies und einst ein enger Vertrauter Netanyahus, der sich aber mit ihm überwarf. Und am Samstag gab in Haifa Ex-Verteidigungsminister Moshe Ya’alon seine Absicht bekannt, sich ebenfalls mit Gantz zusammenzutun. Ein weiterer Pluspunkt für Gantz ist die Tatsache, dass er als politischer Neuling – zumindest für den Moment – keinerlei Makel aufweist, die schädlich für sein Image sein könnten. Denn bis dato hat der 1959 geborene Zwei-Meter-Mann und Vater von vier Kindern eine weiße Weste – auch wenn sein von ihm gegründetes Startup-Unternehmen The Fifth Dimension gerade wieder die Segel streichen musste, weil versprochene Gelder des russischen Milliardärs Viktor Vekselberg, der wiederum im Zusammenhang mit den russischen Interventionen im US-Wahlkampf in den Fokus der US-Ermittlungsbehörden geraten ist, ausblieben. Zudem gilt der Sohn einer Shoah-Überlebenden, die 1945 in dem Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit wurde, als bescheiden und charismatisch zugleich. Damit hebt er sich in den Augen vieler Israelis wohltuend von der Riege bekannter Gesichter ab.

Als ehemaliger Generalstabschef – zu dem Job kam Gantz 2011 eher durch Zufall, weil Yoav Galant, der eigentliche Kandidat, nicht ganz legal Land, das dem Staat gehört, seinem Privatgrundstück zugeschlagen hatte – hat er selbstverständlich eine dezidierte Meinung zu wichtigen Fragen wie der Bedrohung durch den Iran. „Ich weigere mich, bei diesem Thema hysterisch zu werden“, hatte Gantz noch 2016 wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Militär im Jahr 2015 in einem Interview erklärt. „Ich weiß um Israels Stärke und kenne unsere Fähigkeiten, uns zu verteidigen. Ich kenne aber auch unsere Fähigkeiten, in die Offensive zu gehen und habe deshalb allergrößtes Vertrauen in unsere Streitkräfte.“ Auch seine Einschätzung der Palästinenser ist äußerst nüchtern und realitätsbezogen. Über die Autonomiebehörde in Ramallah macht er sich jedenfalls keinerlei Illusionen. Er kennt ihre Hasspropaganda gegen Israel, weiß aber auch, dass Abbas & Co. sehr wohl an einer Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit interessiert sind, weil ihr politisches Überleben mit davon abhängt. Gantz, der übrigens in den Vereinigten Staaten und in Israel Geschichte sowie Politik und Logistik studiert hatte, lässt sich daher kaum als ein Haudegen bezeichnen.

Bereits 2016 hatte Gantz auch die soziale Frage in Israel angesprochen. „Ich glaube nicht, dass wir alles immer aus der Perspektive der Sicherheit betrachten müssen“, erklärte er damals in demselben Interview. „Es muss auch eine gerechte und moralische Gesellschaft geben.“ Für ihn ist Israel einerseits eine „Hightech-Großmacht“ und zugleich der Beschützer des gesamten jüdischen Volkes. „Und wenn sie mich fragen“, lautete sein Fazit, das sich gleichzeitig wie eine Empfehlung seiner Person für die Politik liest. „Dann ist der israelische Ministerpräsident stets mit den größten Herausforderungen in der jüdischen Welt konfrontiert. Und in den Verantwortungsbereich seines Generalstabschefs fallen nicht wenige davon.“ Wenn es Gantz gelingt, einen Teil seiner Aura als erfahrener und besonnener Ex-Militär mit einem Gespür für die wahren Alltagssorgen der Israelis im nun beginnenden Wahlkampf aufrecht zu erhalten, könnte er der kommende Star in der Politik sein, heißt es in der israelischen Presse.

Doch ebenso weiß man um die Fallhöhen solcher mit viel Vorschusslorbeeren ins Rennen gegangenen Kandidaten, die wie Löwen antraten und als Bettvorleger endeten. Nur allzu gut sollte allen noch das Schicksal von Amnon Lipkin-Shahak in Erinnerung sein. Auch er war einmal Generalstabschef gewesen, bevor er mit seiner eigens gegründeten Zentrum-Partei, die sich sowohl gegen Netanyahu als auch gegen den damals amtierenden Ministerpräsidenten Ehud Barak positioniert hatte, in den Umfragen erst hoch gehandelt wurde und dann eine Bauchlandung hinlegte. Denn auch in Israel gilt die Regel: Erst am Abend des Wahltages kennt man Sieger und Verlierer.

Bild oben: Benny Gantz bei einer Konferenz am Sapir College, 2015, (c) Sapir College