Anfang Oktober haben Unbekannte ein jüdisches Denkmal in Würzburg geschändet. Antisemitische Hintergründe paaren sich mit einer heiklen politischen Lage…
Von Riccardo Altieri
Ende April 2018 wurde in der Kaiserstraße in Würzburg eine Stele eingeweiht, die bereits seit 2016 in Planung war (haGalil berichtete[1]). Anlass der Errichtung eines solchen DenkOrtes[2] war der Wunsch von Nachkommen ehemaliger Würzburger Jüdinnen und Juden, die in der Kaiserstraße ihren Geschäftssitz hatten, ihren Vorfahren, die verfolgt wurden und emigrieren mussten, zu gedenken. Aus diesem Grund entwickelten der Verein „DenkOrt Aumühle“ unter der Federführung von Benita Stolz und das „Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken“ unter Leitung von Dr. Rotraud Ries ein Konzept, bestehend aus einem lokalen DenkOrt und einer App.
Am Kaisergärtchen in Würzburg, das den Eingang zur Kaiserstraße markiert, die den Bahnhof mit der Innenstadt verbindet, befindet sich heute eine gute zwei Meter hohe Stele aus Glas und Stahl. Darauf ist ein Scherenschnitt der Kaiserstraße zu sehen, etwa so, wie sie in einem Katasterplan aussehen würde. Mit Icons des jeweiligen Gewerbes (medizinische Praxis, Kanzlei oder Geschäft) und den Namen der ehemaligen jüdischen Würzburger*innen gibt das Kunstwerk einen Einblick in die Vergangenheit. Ergänzt wurde das physische Denkmal noch um eine App[3], die zu allen Gewerben und deren Eigentümer*innen vertiefte Informationen liefert.
Ziel des DenkOrtes ist es, die Würzburger*innen, aber auch Gäste der Stadt, auf die ehemals starke Präsenz jüdischen Lebens in der Mainregiopole hinzuweisen. Etwa ein Viertel der ehemaligen Gewerbe an der Kaiserstraße waren nämlich in jüdischem Besitz. Daher verwundert es nicht, dass das Projekt von Anfang an durch den Oberbürgermeister Christian Schuchardt, die jüdische Gemeinde, die Stadt Würzburg und viele Organisationen und Verbände unterstützt wurde – auch finanziell.
Anfang Oktober 2018 bemerkte der Künstler des Denkmals, der Würzburger Architekt Matthias Braun, dass die Stele in einem erschreckenden Zustand war. Unbekannte hatten mit einem Gegenstand einen Schlag gegen die Glasscheibe ausgeführt, wodurch die gesamte Glasfläche in spinnennetzförmige Risse zerbarst. Gegenwärtig ist sie zwar noch an Ort und Stelle, doch die dahinter befindlichen Informationen sind größtenteils kaum noch lesbar. Zu allem Überfluss wurde an der rechten Seite durch Gewalteinwirkung eine Plakette entfernt, auf der den diversen Spender*innen gedankt wurde, die das Projekt realisierbar gemacht haben. Erschütternd sind auch die rundum befindlichen Hinweise darauf, dass Menschen gegen das Kunstwerk uriniert haben.
Die Situation in Würzburg ist aus unterschiedlichen Gründen hochgradig bedenklich. Nicht erst bei der bayerischen Landtagswahl vom 14. Oktober 2018 hat sich gezeigt, dass mehr als jede zehnte in Bayern lebende Person einer undemokratischen, judenfeindlichen Partei zugeneigt ist, die derartige antisemitische Vorfälle wahrscheinlich maximal als „Vogelschiss“[4] in der Geschichte dieses Landes bezeichnen könnten. Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der den Antisemitismus und die AfD entschieden bekämpft, hat neben seiner wichtigsten Funktion auch das Amt des jüdischen Gemeindevorstandes in Würzburg inne. Das dortige Gemeindezentrum „Shalom Europa“ hat seit Monaten seine Sicherheitsvorkehrungen immer weiter verschärft. Zumeist folgenlose Vorfälle mit zufällig oder absichtlich vor dem Gemeindezentrum abgestellten Objekten haben nicht nur polizeiliche Großeinsätze provoziert, sondern auch das subjektive Unsicherheitsgefühl der Gemeindemitglieder erhöht.[5]
Erschwerend kommt hinzu, dass ausgerechnet ein Würzburger Universitätsprofessor – noch dazu ein Historiker – dadurch von sich reden macht, dass er antisemitische Parteien wie die AfD verharmlost und entsprechende Resolutionen des „Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands“ in jüngster Vergangenheit attackiert hat.[6] Seine früheren Intentionen, die Geschichtswissenschaft müsse auch eine Kultur des Vergessens etablieren, um Schulkinder vor den Grausamkeiten der deutschen Geschichte zu verschonen, ebneten bereits den Weg für das heutige Kokettieren dieses Professors mit der Grauzone. 2015 äußerte dieser, „dass jede Generation das richtige Maß an Vergessen und Erinnern für sich selbst neu entdecken müsse und das niemande[m etwas] vorgeschrieben werden dürfe und er gespannt in die Zukunft blickt, was da noch so auf uns zukommt.“[7]
Derartige Marginalisierungen historischer Ereignisse führen in einer Gesellschaft zu Indifferenz gegenüber Vergangenem, Unverständnis für die Gegenwart und Angst vor der Zukunft. In Würzburg hat sich diese fehlgeleitete Angst eines oder einer Unbekannten nun gegen einen jüdischen DenkOrt gerichtet, der lediglich an ehemalige Bürger*innen der Stadt erinnern möchte, die aufgrund ihrer Religion, die zur „Rasse“ stilisiert wurde, verfolgt und auch ermordet wurden.
Riccardo Altieri ist ehem. wiss. Volontär des Johanna-Stahl-Zentrums.
[1] Israel Schwierz, “Neue Gedenkstätte an die Shoa in Würzburg“, 18.05.2018, https://www.hagalil.com/2018/05/gedenkstaette-wuerzburg/ (15.10.2018).
[2] Unter dem Begriff „DenkOrt“ firmieren in Würzburg mehrere Gedenkprojekte, die an das ehemalige jüdische Leben erinnern sollen. Der groß angelegte „DenkOrt Aumühle“ zum Gedenken an sämtliche aus Unterfranken deportierten Jüdinnen und Juden ist derzeit im Entstehungsprozess. Mehr Infos finden Sie hier: https://www.johanna-stahl-zentrum.de/aktuelles/15282.DenkOrt-Aumuehle—Unterfranken-gedenkt-seiner-deportierten-Juden.html (15.10.2018).
[3] Die derzeit im Aufbau befindliche App wird in Kürze unter folgender URL abrufbar sein: https://www.johanna-stahl-zentrum.de/kooperationen/erinnerungsweg/auswahl-jueddenkorte/index.html (15.10.2018).
[4] Frei nach Alexander Gauland (AfD), der mit diesem Begriff die NS-Geschichte beschrieben hat. Vgl. statt vieler den Artikel „Gauland: Hitler und Nazis nur ein Vogelschiss – Kramp-Karrenbauer reagiert sofort“, Focus Online, 02.06.2018, https://www.focus.de/politik/deutschland/bundeskongress-der-jungen-alternative-hitler-und-nazis-nur-ein-vogelschiss-gauland-relativiert-ns-zeit_id_9028845.html (15.10.2018).
[5] Vgl. zuletzt „Verdächtiges Paket am Shalom Europa – Entwarnung nach Sperrung und Evakuierung“, TV Mainfranken, https://www.tvmainfranken.de/verdaechtiges-paket-am-slalom-europa-entwarnung-nach-sperrung-und-evakuierung-171512/ (15.10.2018).
[6] Vgl. Dominik Geppert / Peter Hoeres: Zwei Historiker wenden sich gegen die Resolution aus Münster, FAZ, 12.10.2018, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/hoch-schule/zwei-historiker-wenden-sich-gegen-die-resolution-aus-muenster-15828216.html (15.10.2018).
[7] „Europa als Erinnerungsgemeinschaft“, 23.06.2015, http://europastipendium.de/europa-als-erinnerungsgemeinschaft/ (15.10.2018). Weitere politische Äußerungen aus dem Grauzonenbereich finden sich unter http://inrur.net/wiki/Peter_Hoeres (15.10.2018), wo Nachweise stetig aktualisiert und ergänzt werden.