„Juden in der AfD“ – Der schlechteste jüdische Witz seit Langem

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„Es treffen sich ein Jude, ein Russlanddeutscher und ein AfD-Sprecher …“ Der schlechteste jüdische Witz seit Langem ist schnell erzählt. Am 7. Oktober werden einige Juden eine Vereinigung „Juden in der AfD“ gründen. Die Hauptcharaktere sind der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Der Kreis der Beteiligten ist mehr als überschaubar. Der Lärmpegel – sehr hoch…

Von Sergey Lagodinsky
Zuerst erschienen in: Die Welt v. 27.09.2018

Mazal Tov, deutsche Juden! Das hat uns gerade noch gefehlt.

Medial kommt dieser „Witz“ der Geschichte gut an, wie so vieles, was AfD und was Juden in diesem Land betrifft. Ich erinnere mich: Zur Gründung des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokrat/innen war ich 2006 auf der Suche nach Mitgliedern jüdischer Herkunft durch viele deutsche Städte gereist, wir hatten uns in Vorrunden getroffen, die Gründung konzeptionell und politisch vorbereitet, wir hatten nach politischen Verbündeten in den jüdischen Gemeinden gesucht, nach Anschlussfähigkeit an neue politische Ideen.

Bei der AfD herrscht hingegen Goldgräberstimmung. Jeder kann die garantierte Medienaufmerksamkeit anzapfen: Hauptsache AfD, noch besser mit einer Prise Juden! Normalerweise muss sich die AfD doch etwas bemühen, um den Judenbezug auszuschlachten: Immerhin musste der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon erst ein Buch über die Judaisierung der Welt schreiben, die Partei ein Ausschlussverfahren gegen ihn führen und ergebnislos abschließen.

Eine Relativierung der Verantwortung für Israels Existenz oder die Bekundung des Stolzes über die Taten der Wehrmacht bettete der Vorsitzende Gauland immerhin in Reden ein und relativierte anschließend umfangreich. Hier waren Fleiß, politisches Geschick oder argumentativer Eiertanz gefordert: ein Kitzeln der deutschen Schuldkomplexe, aber so, dass man nicht als Nazi dasteht; ein Streifen an deutschen Tabus, aber so, dass man sich später herausreden kann.

Die Gründung des Männervereins „Juden in der AfD“ (bisher sind keine Frauen in Sicht!) ist platter: Man nehme ein paar echte und ein paar Möchtegernjuden, stelle sie vor eine Wand mit AfD-Logo – und fertig ist der Vogelschiss der Geschichte. Wer sind diese Leute? Und was haben sie mit Judentum zu tun? Egal, das politische Statement ist schon längst da. Dass einer der Gründer, der sich als „Maschinenbauingenieur jüdischen Glaubens“ beschreibt, auf seinen Internetseiten fröhlich Jesus feiert (für alle jüdische Menschen unvorstellbar!), geht dabei unter.

Kein Wunder, dass auch Begründungen für die Verbindung zwischen Judentum und „Aefdeentum“ eher dürftig ausfallen: Ganz selbstverständlich erklären die Gründer die Nähe zwischen AfD und Juden mit Kritik „an islamischen religiösen Dogmata“ und dem Festhalten an „klassischer Familie“ im Judentum.

Allesamt falsch, wenn man die Vielfalt des heutigen Judentums wirklich kennt –samt religiöser Überschneidungen mit muslimischen Bräuchen und Prinzipien oder samt der Frauen- und Schwulenemanzipation in großen Teilen des weltweiten Judentums. Eine Verengung des Judentums auf die AfD-Hetze gegen Moslems und Gendermainstreaming kann nur durch den Blick aus einer russisch-hessischen Provinzblase erklärt werden.

Ja, Deutschlands Juden sind verunsichert: Die Angriffe auf jüdische Menschen nehmen zu, das Unverständnis gegenüber Israel in der Öffentlichkeit nehmen viele Juden persönlich. Und auch die Flüchtlingspolitik, die Menschen aus konfliktreichen, israel- und judenfeindlichen Gesellschaften nach Deutschland bringt, bereitet vielen Bauchschmerzen. Vielen, nicht allen. Aber auch das ist ihr gutes Recht.

Koscherstempel für den eigenen Hass

Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Besorgnis und Dummheit. Nur weil man sich nachts im Walde fürchtet, legt man sich nicht mit Hyänen schlafen. Außer … Außer den Protagonisten ist nicht am jüdischen Wohlergehen gelegen, sondern an Wirkungen, wie sie sich die AfD wünscht: eine Mischung aus politischer Effekthascherei und einem Koscherstempel für den eigenen Hass und Geschichtsrevisionismus.

Schon im Wahlkampf 2016 saß ich mehrmals auf öffentlichen Podien einem AfD-Bundestagskandidaten gegenüber, der auf seine jüdische Herkunft verweisen konnte. Er trug seine jüdischen Großmutter wie eine Monstranz vor sich her und machte sie zum Persilschein für Flüchtlingshetze. Doch der überwiegende Teil der Jüdinnen und Juden empfand und empfindet trotz politischer Verunsicherung einen Ekel beim bloßen Gedanken der möglichen Annäherung an eine geschichtsrevisionistische Partei mit klaren rechtsradikalen Tendenzen, wie die AfD es ist.

Mehr ist zum Thema nicht zu sagen: Die ominöse Gründung ist angesichts der Unwichtigkeit der Beteiligten bedeutungslos, angesichts ihrer Inhalte unappetitlich und angesichts ihrer ideologischen Verblendung politisch unhygienisch. Die Beteiligten haben aber sicherlich eines erreicht – sie haben sich medienwirksam ein Denkmal der Schande gesetzt.

Amen.

Der Autor Sergey Lagodinsky (geboren 1975 in Russland), ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und leitet das Referat EU/Nordamerika bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist auch Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.